Dr. Wurche, Referent: Herr Präsident! Meine Damen
und Herren! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Unter dem Titel "Aktuelle
Positionen der deutschen Ärzteschaft zur Entwicklung der europäischen
Gesundheitspolitik" hat der vorige Deutsche Ärztetag in einer Entschließung
eine Reihe von Aspekten hervorgehoben, die für die ärztliche Berufsausübung im
Rahmen des europäischen Gemeinschaftsrechts maßgeblich sind. Zugleich hat der
Deutsche Ärztetag den Vorstand der Bundesärztekammer gebeten, eine Ständige
Arbeitsgruppe unter Mitwirkung von Vertretern der Landesärztekammern
einzurichten. Der Arbeitskreis soll die schon eingeleiteten und künftigen
Initiativen der europäischen Gesundheitspolitik begleiten und rechtzeitig
Positionen entwickeln, welche in die Politik sowohl in Deutschland als auch in
Europa einfließen können.
Diesen Auftrag hat der Vorstand der Bundesärztekammer im
Sommer 2005 in einer Klausurtagung ausgiebig beraten. Er hat beschlossen, eine
Ständige Konferenz "Europäische Angelegenheiten" einzurichten, und hat mich -
wofür ich mich auch an dieser Stelle herzlich bedanken möchte - zum
Vorsitzenden der Ständigen Konferenz bestellt. Dieser Konferenz gehören
Vertreter aus allen Landesärztekammern an. Die Konferenz hat bisher zweimal
getagt und ein breites Spektrum von Themen abgehandelt. In ihrer ersten Sitzung
hat die Ständige Konferenz ihre Zielsetzung wie folgt beschlossen:
Erstens. Die Ständige Konferenz hat die Aufgabe, den Vorstand
der Bundesärztekammer und die (Landes-)Ärztekammern in europapolitischen Fragen
zu beraten.
Zweitens. Die Ständige Konferenz sollte praktische Anwendungs-
und Umsetzungsvorschläge unterbreiten.
Drittens. Die Ständige Konferenz soll den Ständigen Ausschuss
der Europäischen Ärzte (CPME) über den Stand der Richtlinienumsetzung in den
Kammern informieren.
Der Deutsche Ärztetag befasst sich nicht zum ersten Mal mit
europäischer Gesundheitspolitik und ihren Auswirkungen auf die Berufsausübung
der deutschen Ärzte.
In einer Entschließung mit dem - möglicherweise wieder aktuell
werdenden - Titel "Planwirtschaft oder Strukturqualität - Gesundheitspolitik in
Deutschland und in Europa" griff der 95. Deutsche Ärztetag 1992 in Köln unter
anderem einen Aspekt auf, der uns seither in Zusammenarbeit mit den Ländern
Osteuropas begleitet hat. Er hat uns auch motiviert, Herrn Dr. Jeszenszky aus
Rumänien als einem künftigen Beitrittsland zu bitten, in einem Korreferat auf
die besonderen Aspekte seines Landes im Hinblick auf die Entwicklung einer
freiheitlichen Struktur ärztlicher Organisation aufmerksam zu machen. In der Entschließung
von 1992 ist Folgendes ausgeführt:
Nicht nur in den fünf neuen Bundesländern, sondern mehr
noch in den Ländern Osteuropas müssen die Weichen für ein leistungsfähiges,
selbstverwaltetes und staatsunabhängiges Gesundheitswesen neu gestellt werden.
Das freiheitliche System der gesundheitlichen Versorgung in ganz Deutschland
kann unter den aufgezeichneten Voraussetzungen in seiner Grundstruktur ein
Leitbild für selbstverwaltete, die freie Arztwahl und ärztliche Berufsausübung
garantierende Systeme der Gesundheitssicherung auch in Osteuropa darstellen.
Neben rasch wirkender Nothilfe, die jedoch nicht durch eine "Konkurrenz" der
Helfenden erschwert oder gar gefährdet werden darf, ist deshalb ein
Know-how-Transfer für den zügigen Aufbau beitragsfinanzierter und selbstverwalteter
Gesundheitssysteme in Osteuropa notwendig. Die positiven Erfahrungen des
partnerschaftlichen Aufbaus der Selbstverwaltung in den neuen Bundesländern
können hier nützlich sein, um Fehler zu vermeiden und möglichst bald in den
Ländern Osteuropas Lebens- und Arbeitsbedingungen zu schaffen, wie sie in den
westlichen Demokratien seit langem selbstverständlich sind. Dies liegt nicht
nur im Interesse der Menschen dort, sondern in unserem gemeinsamen Interesse.
Riesige Wanderungsbewegungen von Ost nach West sind nur zu vermeiden, wenn die
Menschen künftig auch in ihrer Heimat in Frieden, Freiheit und sozialer
Sicherheit leben können.
Warum müssen wir uns mit der Europäischen Union, ihrer Politik
und ihrer Rechtsetzung befassen?
Thema 1: Gesundheitspolitik. Anders als in den meisten
völkerrechtlichen Organisationen - zum Beispiel die UN - zeichnet sich die
Europäische Union dadurch aus, dass ihr durch partiellen Souveränitätsverzicht
ihrer Mitgliedstaaten selbst Rechtsetzungskompetenz und Rechtsprechungskompetenz
eingeräumt worden sind. Allerdings ist die Europäische Union nur befugt, dort
Recht zu setzen und Maßnahmen zu ergreifen, wo sie eine entsprechende
Ermächtigung hat.
Für das Gesundheitswesen - ebenso wie für die Sozialsysteme -
hat die Europäische Union keine - ich unterstreiche: keine -
Harmonisierungskompetenz. Die Verantwortung liegt vielmehr bei den
Mitgliedstaaten, auch heute noch. Für das Gesundheitswesen ist jedoch das so
genannte gesundheitspolitische Mandat wichtig, das der Europäischen Union in
Art. 152 des Europäischen Gemeinschaftsvertrags eingeräumt ist. Es stellt eine
Ergänzungs-, Förderungs- und Koordinierungskompetenz im Hinblick auf die
primäre Verantwortung der Mitgliedstaaten für die Gesundheit ihrer Bevölkerung
dar. In Art. 152 Abs. 1 Satz 2 EGV ist dies einleuchtend beschrieben:
Die Tätigkeit der Gemeinschaft ergänzt die Politik der Mitgliedstaaten
und ist auf die Verbesserung der Gesundheit der Bevölkerung, die Verhütung von
Humankrankheiten und die Beseitigung von Ursachen für die Gefährdung der
menschlichen Gesundheit gerichtet. Sie umfasst die Bekämpfung der
weitverbreiteten schweren Krankheiten; dabei werden die Erforschung der
Ursachen, der Übertragung und der Verhütung dieser Krankheiten sowie die Gesundheitsinformation
und -erziehung gefördert .
Es liegt auf der Hand, dass auf dieser Grundlage die
Europäische Union eine europaweite Pandemieplanung der Mitgliedstaaten
koordinieren kann, aber auch koordinieren sollte. In diesem Artikel ist
allerdings auch eine Regelungskompetenz implementiert, die dem Rat der
Europäischen Union die Möglichkeit gibt, Maßnahmen zur Verwirklichung der Ziele
des Art. 152 zu treffen. Dies betrifft "Maßnahmen zur Festlegung hoher
Qualitäts- und Sicherheitsstandards für Organe und Substanzen menschlichen
Ursprungs" - ein Bereich, der uns derzeit in Deutschland in der Phase der
entsprechenden nationalen Umsetzung nachhaltig befasst und zu kritischen
Bemerkungen der Bundesärztekammer Anlass gegeben hat. Festlegen darf die EU
außerdem Qualitäts- und Sicherheitsstandards für Blut und Blutderivate. Für die
schon angesprochene Eingrenzung gesundheitspolitischer Maßnahmen der
Europäischen Union ist wichtig - und damit möchte ich die Zitate aus dieser
Rechtsgrundlage beenden -, was in Abs. 5 dieser Vorschrift aufgeführt ist:
Bei der Tätigkeit der Gemeinschaft im Bereich der Gesundheit
der Bevölkerung wird die Verantwortung der Mitgliedstaaten für die Organisation
des Gesundheitswesens und die medizinische Versorgung im vollen Umfang gewahrt
.
Dennoch sollte die Bedeutung dieses gesundheitspolitischen
Mandats nicht unterschätzt werden. Die Koordinationsmöglichkeiten der
Kommission, der Informationsaustausch zwischen den Mitgliedstaaten, der
Informationsaustausch auch zwischen den institutionellen Dienststellen gestaltet
sich in der Gemeinschaft zu einem wichtigen Faktor, der diese zu einem
europäischen Wissenszentrum für den Bereich der Gesundheit entwickelt. Damit
stehen auch die nationalen Gesundheitsbehörden und -einrichtungen unter immer
intensiverer Beobachtung der Gemeinschaft. Gleichzeitig wird die Gemeinschaft
wissensmäßig in die Lage versetzt, künftige Prioritäten und Ziele einer
europäischen öffentlichen Gesundheit, die in die Politiken der Gemeinschaft
einfließen kann, zu bilden. Daraus ergeben sich erhebliche Konvergenzeffekte
zwischen den verschiedenen nationalen Systemen, insbesondere auch bei der
Abstimmung der gesundheitsbezogenen Politik in bestimmten Bereichen wie
Forschung und Gesundheit.
Thema 2: Binnenmarkt. Auch wenn Art. 152, den ich erwähnt habe,
eine unmittelbar rechtsverbindliche Einwirkung auf die Gesundheitssysteme der
Mitgliedstaaten nicht zulässt, so ist es der Gemeinschaft nicht verwehrt,
Maßnahmen gesundheitspolitischen Inhalts zu treffen. Vor allem kann die EU
andere Gemeinschaftsziele für die Rechtsetzung derart in Bezug nehmen, dass
dadurch Auswirkungen auch in Form der Rechtsangleichung in Einzelbereichen des
Gesundheitswesens entstehen können. Dies geschieht insbesondere vermittels
Richtlinien und Verordnungen in Ausschöpfung der Kompetenzen für die Herstellung
des Binnenmarkts. Im Verein mit den Zielen der Europäischen Union definiert
sich der Binnenmarkt als "ein Raum ohne Binnengrenzen, in dem der freie Verkehr
von Waren, Personen, Dienstleistungen und Kapital gemäß den Bestimmungen dieses
Vertrages gewährleistet ist". Der Binnenmarkt soll also einen grenzenlosen Raum
umfassen, in dem die so genannten vier Grundfreiheiten des EG-Vertrags voll zum
Tragen kommen. Von diesen Grundfreiheiten sind insbesondere die
Warenverkehrsfreiheit, die Dienstleistungsfreiheit und die
Niederlassungsfreiheit für das Gesundheitswesen insgesamt von Bedeutung, für
die ärztliche Berufsausübung die Dienstleistungsfreiheit und die Niederlassungsfreiheit.
Damit ist auch schon der Bogen gespannt zu der Thematik der Ärzterichtlinien,
die - worauf ich noch eingehen werde - durch die umfassende Richtlinie über die
Anerkennung von Berufsqualifikationen abgelöst worden ist.
Thema 3: weite Themenfelder europäischer Einflussnahme. Die
Wirkungen der europäischen Politik und Gesetzgebung auf die ärztliche
Berufsausübung sowie die Bereiche, die mit der ärztlichen Berufsausübung in
Verbindung stehen, sind weit und von immer größerer Bedeutung. Einige
Stichworte mögen dies verdeutlichen: ärztliche Berufsausübung in anderen Mitgliedstaaten
und gegenseitige Anerkennung der Arztdiplome und Facharzttitel;
grenzüberschreitende ärztliche Dienstleistungen und Inanspruchnahme durch
(versicherte) Patienten; Ausbildung zum Arzt und Weiterbildung und Ausbildung
in der Allgemeinmedizin; Arzneimittelversorgung; Medizinprodukte; Gewebe und
Zellen; Arbeitszeit (so genannte Arbeitszeitrichtlinie); EG-Vergaberecht und
Beihilferecht: Einflüsse auf Rechtsbeziehungen im GKV-Recht sowie Auswirkungen
für Krankenhäuser.
Eine umfassende Aufzählung finden Sie in der schriftlichen
Fassung meines Vortrags. Aber mein Überblick zeigt deutlich, dass europäisches
Handeln heute nahezu alle Bereiche des Gesundheitswesens beeinflusst.
Dazu kommt die rechtsfortbildende Rechtsprechung des
Europäischen Gerichtshofs. Der Gerichtshof hat in den Bereichen der
Berufsanerkennung des Arztes bei Migration, aber auch im Bereich der
Patientenmobilität Entscheidungen getroffen, die von hoher Integrationswirkung
sind. Ich erinnere nur an die Rechtsprechung, die es im Ergebnis versicherten
Patienten in Europa ermöglicht, gegen eine begrenzte Kostenerstattung ihrer
Herkunftskrankenkasse ärztliche Leistungen auch in einem anderen Mitgliedstaat
in Anspruch zu nehmen.
Wie sieht die aktuelle politische und rechtliche Situation für
die Ärzteschaft aus und was kommt auf sie zu?
Aus dem breit gefächerten Themenfeld möchte ich auf drei
Bereiche näher eingehen, die mir besonders aktuell erscheinen: zum einen die
Berufsanerkennungsrichtlinie, zum anderen die Dienstleistungsrichtlinie mit ihren
Vorstellungen zur Patientenmobilität und schließlich die so genannte offene
Methode der Koordinierung.
Zur Berufsanerkennungsrichtlinie (2005/36/EG): Sie ist am 20.
Oktober 2005 in Kraft getreten, sie ist bis zum 20. Oktober 2007 umzusetzen.
Die Richtlinie weist einen sektorübergreifenden Ansatz auf, das heißt
wesentliche so genannte reglementierte Berufe wie zum Beispiel Arzt, Zahnarzt,
Hebamme, Apotheker, auch Architekten und Bauingenieure werden erfasst. Die
Richtlinie ersetzt ab dem 20. Oktober 2007 die bestehenden sektoralen
Richtlinien. Für Ärzte gilt daher für den genannten Übergangszeitraum weiterhin
die Richtlinie 93/16/EWG "zur Erleichterung der Freizügigkeit für Ärzte und zur
gegenseitigen Anerkennung ihrer Diplome".
Die Berufsanerkennungsrichtlinie erfasst sektorübergreifend
sowohl mitgliedstaatliche Regelungen der Berufsausübung als auch solche des
Zugangs zur Berufsausübung.
Die Berufsausübung wird von dem Grundsatz der
Inländergleichbehandlung (Art. 4 Abs. 1 der Richtlinie) bestimmt, wonach
EU-Ausländer und -Inländer im Aufnahmemitgliedstaat gleich zu behandeln sind.
Übereinstimmend mit der bisherigen Richtlinie 93/16/EWG gilt das Zielland- bzw.
Bestimmungslandprinzip. Demnach ist das Verhalten der Berufsträger insbesondere
auf der Grundlage des Berufsrechts und des Berufsaufsichtsrechts des Landes zu
beurteilen, in dem der Beruf ausgeübt wird.
Der Zugang zur Berufsausübung setzt die Anerkennung der
Berufsqualifikation im Zielland voraus. Es gilt das Prinzip der gegenseitigen
Anerkennung von Berufsqualifikationen. Die Richtlinie unterscheidet drei
Anerkennungsverfahren. Ich werde im Folgenden auf die so genannte "automatische
gegenseitige Anerkennung" näher eingehen, die für Ärztinnen und Ärzte gilt.
In den Berufen, in denen die Anforderungen an die Ausbildung
auf Gemeinschaftsebene bereits durch bestehende sektorale Richtlinien
harmonisiert wurden, zum Beispiel die Richtlinie 93/16/EWG, findet der
Grundsatz der automatischen gegenseitigen Anerkennung von Berufsqualifikationen
Anwendung. Dies betrifft auch den Beruf des Arztes. Dieses Verfahren weicht
grundsätzlich nicht von dem in der bisherigen Richtlinie 93/16/EWG geregelten
Verfahren ab, das heißt zuständige Behörden sind in Deutschland für den Bereich
der Ausbildung und der Approbation die Approbationsbehörden sowie für den
Bereich der Weiterbildung die Ärztekammern. Die neue
Berufsanerkennungsrichtlinie gebietet die gegenseitige Anerkennung von
bestimmten Ausbildungsnachweisen, die geregelten Mindestanforderungen genügen.
Auf der Grundlage der Nachweise wird die Aufnahme der beruflichen Tätigkeit des
Arztes mit Grundausbildung oder des Facharztes gestattet und sie werden
innerstaatlichen Ausbildungsnachweisen gleichgestellt. Die Anerkennung ist
dabei an die bisherigen Stichtagsregelungen gebunden.
Unabhängig vom Grundsatz der automatischen Anerkennung (Art.
21 ff.) wird den Ärztekammern über Art. 15 die Mitarbeit im Rahmen von
"gemeinsamen Plattformen" ermöglicht, um wesentliche Unterschiede, die zwischen
den Ausbildungsanforderungen der verschiedenen Mitgliedstaaten für einen
bestimmten Beruf bestehen, auszugleichen. Dies wird im Wesentlichen neue
Ausbildungs- und Weiterbildungsgänge betreffen.
Für alle Fachrichtungen, die zum Zeitpunkt des Erlasses der
neuen Berufsanerkennungsrichtlinie anerkannt waren, wird der Grundsatz der
automatischen Anerkennung der medizinischen Fachrichtung, die mindestens zwei
Mitgliedstaaten gemeinsam sind, beibehalten. Die Erweiterung der automatischen
Anerkennung auf neue medizinische Fachrichtungen wird nunmehr auf diejenigen beschränkt,
die in mindestens zwei Fünfteln der Mitgliedstaaten vertreten sind. Im Übrigen
hindert die neue Richtlinie die Mitgliedstaaten aber nicht daran, untereinander
für bestimmte medizinische Fachrichtungen, die sie gemeinsam haben und die
nicht Gegenstand der automatischen Anerkennung sind, eine automatische
Anerkennung nach ihren eigenen Regeln zu vereinbaren.
Der Zugang zur Berufsausübung setzt das Durchlaufen eines
Anerkennungsverfahrens voraus. Dazu richten die Mitgliedstaaten so genannte
Kontaktstellen zur Information über die Voraussetzungen ein; vergleiche Art.
57. Das Anerkennungsverfahren im Aufnahmestaat ist von der zuständigen Stelle
grundsätzlich binnen drei Monaten abzuschließen - Art. 51 Abs. 2 -, zudem sind
gegen die Entscheidung und gegen eine nicht rechtzeitige Entscheidung
Rechtsbehelfe möglich.
In diesem Rahmen ist es nicht möglich, ausführlicher auf die
Richtlinie einzugehen. Insofern verweise ich auch auf ein Arbeitspapier der
Bundesärztekammer, das sich ausführlich mit den Auswirkungen der
Berufsanerkennungsrichtlinie auseinander setzt und im Einzelfall Hilfestellung
für die Anwendung in den einzelnen Kammern gibt.
In der schon erwähnten Ständigen Konferenz "Europäische
Angelegenheiten" haben wir über die Konsequenzen aus dieser Richtlinie für die
Veränderungen der Kammer- und Heilberufsgesetze, aber auch der
Bundesärzteordnung sowie gegebenenfalls Berufs- und Weiterbildungsordnungen
diskutiert. Dazu wird eine Position eingenommen, die teilweise auch in der
Ihnen vorliegenden Entschließung formuliert wird und für deren Unterstützung
ich schon an dieser Stelle werben möchte.
Ich komme zur so genannten Dienstleistungsrichtlinie. Viel
diskutiert und problematisiert wurde bis vor kurzem der Vorschlag der
Kommission für eine Richtlinie des Europäischen Parlaments und des Rates über
Dienstleistungen im Binnenmarkt, die so genannte Dienstleistungsrichtlinie. Sie
hätte, wenn sie von den Gesetzgebungsorganen der Europäischen Union in der
Fassung des Vorschlags der Kommission beschlossen würde, weit reichende
Auswirkungen auf das Gesundheitswesen, auf die ärztliche Berufsausübung, auf
die vertragsärztliche Tätigkeit im Rahmen der gesetzlichen Krankenversicherung.
Die Bundesärztekammer hat sich von Anfang an dafür eingesetzt,
die so genannten Gesundheitsdienstleistungen, insbesondere die ärztlichen
Leistungen, aus dem Anwendungsbereich der Richtlinie auszunehmen. Denn
insbesondere das so genannte Herkunftslandprinzip wäre wegen der Auswirkungen
auf die Versorgung im Gesundheitswesen mit den erhöhten Anforderungen an
Qualität und Patientensicherheit diesem Sachverhalt nicht gerecht geworden.
Nunmehr hat das Europäische Parlament im Verlauf der Beratungen über den Richtlinienvorschlag
mehrheitlich dafür plädiert, das Gesundheitswesen vom Anwendungsbereich der
Richtlinie auszunehmen. Die Richtlinie soll also keine Anwendung auf die
öffentlichen Gesundheitssysteme finden. Dadurch wird auch der übrige
Richtlinienkontext, der zum Beispiel auch zur Einrichtung von singulären
Anlaufstellen und zur Frage des Herkunftslandprinzips Regelungen enthielt, für
den Bereich der ärztlichen Versorgung in Deutschland entfallen.
Das viel diskutierte Herkunftslandprinzip hätte ohnehin für
die Berufsausübung der Ärzte keine Anwendung gefunden, da nach der schon
erwähnten Berufsanerkennungsrichtlinie Ärzte aus anderen Mitgliedstaaten, die
in Deutschland nur vorübergehend und gelegentlich als so genannte
Dienstleistungserbringer ihren Beruf ausüben, an die deutschen
Berufsrechtsregeln gebunden sind.
Die Kommission hat nun die Beratungsergebnisse des
Europäischen Parlaments aufgegriffen und in ihrem geänderten Vorschlag vom 4.
April 2006 die Gesundheitsdienstleistungen aus dem Anwendungsbereich
herausgenommen. Sie hat allerdings darauf hingewiesen und sich verpflichtet,
eine getrennte Initiative vorzulegen. Gegenstand dieser Initiative wird - wie
angekündigt - die Patientenmobilität sein, auf die ich noch kurz eingehen
möchte. Wir werden sicherlich ein spezielles Augenmerk darauf zu richten haben,
was dort möglicherweise entsteht.
Die Grundlagen zur so genannten Patientenmobilität in Europa
hat der Europäische Gerichtshof in seiner berühmten Entscheidung Kohll/Decker
aus dem Jahre 1998 gelegt. Seitdem urteilt er in ständiger Rechtsprechung, dass
gesetzliche Vorbehalte, welche die Inanspruchnahme von Gesundheitsleistungen in
einem anderen Mitgliedstaat von einer Genehmigung der zuständigen Krankenkasse
abhängig machen, als Eingriffe in die Dienstleistungsfreiheit zu sehen sind.
Grund hierfür ist, dass diese Vorbehalte für die vergleichbaren inländischen
Sachverhalte nicht gelten. Genehmigungsvorbehalte können in aller Regel auch
nicht wegen der Gefährdung der Finanzierbarkeit des Sozialsystems
gerechtfertigt werden. Nur für die Inanspruchnahme von Krankenhausleistungen
sind Genehmigungsvorbehalte nach Ansicht des Europäischen Gerichtshofs wegen
der Notwendigkeit einer Krankenhausbedarfsplanung möglicherweise zu
rechtfertigen. Diese Ausnahme erscheint allerdings wegen der schwierigen
Abgrenzung zwischen ambulanten und stationären Krankenhausleistungen und wegen
der Umstellung auf DRGs zweifelhaft. In der schon erwähnten
Dienstleistungsrichtlinie sollte diese Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs
in dem Sinne festgeschrieben werden, dass die Mitgliedstaaten entsprechende
Regelungen zu treffen hätten. Ob man dagegen einwenden kann, dass dies ein
Eingriff in den autonomen Gestaltungsbereich der Mitgliedstaaten dargestellt
hätte, mag dahinstehen. Jedenfalls ist die Streichung dieser Vorschrift Anlass,
diesen Regelungsgegenstand weiterzuentwickeln.
Die Bundesärztekammer wird sich national ebenso wie im
"Ständigen Ausschuss der Europäischen Ärzte" in die weitere Diskussion
einbringen und darauf achten, dass die Grundregeln der Arzt-Patient-Beziehung
beachtet werden. Dunkle Andeutungen führen immer auch zu dem Hinweis, dass mit
Patientenmobilität auch eine Angleichung der Arzthaftungssysteme verbunden sein
müsse. Dies halten wir nicht für geboten. Dennoch wird auch hier darauf zu
achten sein, ob die Kommission wieder Vorschläge aufgreift, die es schon einmal
gab, zum Beispiel Beweislastumkehr für Behandlungsfehler, und welche sie seinerzeit
wegen des Widerstands der Mitgliedstaaten zurückgezogen hatte.
Weitere Themen: Ständig begleitet sind wir von der Diskussion
um die so genannte offene Methode der Koordinierung. Was bedeutet das?
Die Systeme der sozialen Sicherung sind unverzichtbare
Bestandteile des europäischen Sozialmodells; sie fallen jedoch in die
Zuständigkeiten der einzelnen Mitgliedstaaten. Institutionell ist mit der
Offenen Methode der Koordinierung (OMK) im Bereich der Sozialpolitik ein
innovatives Instrument der Umsetzung und der Verbesserung der EU-Governance
geschaffen worden. Anhand von vereinbarten Zielen und daraus abgeleiteten
Indikatoren werden die nationalen Fortschritte in den verschiedenen Bereichen
der sozialen Sicherung beobachtet und die einzelnen Mitgliedstaaten durch den
Austausch von Know-how bei der schrittweisen Entwicklung eigener Strategien
unterstützt. Für die Bereiche "soziale Eingliederung und Bekämpfung der Armut",
"Renten" und "bessere Arbeitsplätze" wird das Instrument bereits angewandt. Die
Einbeziehung des Bereichs "Gesundheit und Langzeitpflege" wurde beschlossen und
befindet sich ebenso in der Konzeptionsphase wie die Zusammenführung der
verschiedenen Anwendungsbereiche in dem gemeinsamen Sozialschutzbericht.
In diesem Zusammenhang gewinnen so genannte
Gesundheitsindikatoren zunehmend an Bedeutung. Diese Gesundheitsindikatoren
sollten die Gesundheitsberichterstattung in der Gemeinschaft erleichtern. Ihre
Entwicklung stellt ein Projekt im Rahmen des Programms "Öffentliche Gesundheit
von 2003 - 2008" dar. Aus einem Satz von 40 Gesundheitsindikatoren lassen sich
vier Gruppen einteilen: demographische und sozioökonomische Faktoren, Gesundheitszustand,
Gesundheitsfaktoren, medizinische Interventionen: Gesundheitsdienstleistungen.
Hier gibt es viele Fragen, die von der Legitimität dieser
Methode bis hin zur praktischen Anwendung und Entwicklung und den Zielen gehen.
Die Bundesärztekammer wird ihr Augenmerk darauf richten, dass nicht über das
Gesundheitsindikatorenmodell europäische Standards für die Bundesrepublik
Deutschland verbindlich gemacht werden, welche mit unseren ärztlichen
Vorstellungen über die notwendige und bedarfsgerechte Patientenversorgung nicht
in Einklang zu bringen sind.
Allen Mitgliedstaaten sind vermutlich dieselben
grundsätzlichen und zukunftsweisenden Themen und Probleme gemeinsam, mit
welchen sich der Prozess der Offenen Methode der Koordinierung beschäftigen
könnte. Dies ist die Alterung der Bevölkerung, das Problem der Finanzierbarkeit
der Langzeitpflege, ihre sozialverträgliche Gestaltung, Ungleichheiten im
Zugang zu den Gesundheitssystemen und Umstrukturierung des Gesundheitswesens,
wie sie derzeit auch in der Bundesrepublik Deutschland unter dem Stichwort
einer "großen Gesundheitsreform" geprüft werden und wie wir sie kürzlich für
Frankreich und die Niederlande erlebt haben.
Dazu gehört die Finanzierung der Gesundheitssysteme auch im
Zusammenhang mit den Arbeitskosten. Die Qualität der Versorgungsangebote gehört
ebenfalls zu den Problemen, deren Lösungen meistens darauf abstellen, wie Indikatoren
und Qualitätsstandards, die Festlegung von praktischen Leitlinien und die
Einführung von Akkreditierungssystemen entwickelt werden können. Auch stellt
sich das Problem der Koordinierung der unterschiedlichen Versorgungsangebote,
welche bei uns unter dem Stichwort der sektorenübergreifenden integrierten
Versorgung oder aber auch der Koordination durch Hausärzte diskutiert werden.
Nach meiner Ansicht sollte auf diesen Feldern den
Entwicklungen in den einzelnen Mitgliedstaaten Aufmerksamkeit zugewandt werden,
um gegebenenfalls auch "Lernprozesse" auszulösen, aber ohne
Harmonisierungsdruck mit Blick auf bestimmte - von wem auch immer für
vorbildlich erachtete - Muster. Hier müssen wir ein Warnsystem einrichten, um
rechtzeitig erkennen zu können, was eventuell durch die Hintertür an uns
übertragen werden soll, obwohl wir dies nicht möchten.
Wir werden auch mit Aufmerksamkeit den hochrangigen
Reflexionsprozess beobachten, der in verschiedenen Arbeitsgruppen bei der
EU-Kommission geführt wird und zu verschiedenen Feldern diskutiert wird, die
Sie in der Entschließungsvorlage des Vorstands aufgeführt sehen. Es liegen
derzeit nur Zwischenergebnisse vor. Die Themen und Zielumschreibungen lassen
jedoch erkennen, dass hier gegebenenfalls gemeinschaftsrechtliche Maßnahmen
ergriffen werden sollen, die ebenfalls Auswirkungen auf unser Gesundheitssystem
haben.
Ich komme nun zum Ständigen Ausschuss der Europäischen Ärzte
und zu unserer Mitwirkung in den neuen Beitrittsländern nach der
Osterweiterung.
Eine wichtige Rolle spielt für uns auch die Mitwirkung der
deutschen Bundesärztekammer im Ständigen Ausschuss der Europäischen Ärzte, weil
wir auf diese Weise auf die europäische Meinungsbildung und Standpunktbildung
in den verschiedenen politischen und legislativen Prozessen einwirken können.
Es muss einfach hingenommen werden, dass die europäischen Institutionen auch
europäische Organisationen als primäre Ansprechpartner schätzen. Sie werden
neuerdings auch stärker - wie bei der Berufsanerkennungsrichtlinie - in Weiterentwicklungsprozesse
im Rahmen von Richtlinien einbezogen. So ist es wichtig, dass Vertreter der
Bundesärztekammer in verschiedenen Gremien mitwirken, die beiderseitige
Kontakte zwischen Dienststellen der EU-Kommission und den europäischen
Berufsorganisationen ermöglichen. Wir als Bundesärztekammer legen Wert darauf -
ohne dass dies eine Wertung der Arbeit und Betätigung anderer europäischer
ärztlicher Organisationen sein soll -, dass der Ständige Ausschuss der
Europäischen Ärzte eine Art Schirmorganisation des Europas der Ärzte ist. Er
soll und kann die unterschiedlichen Strömungen der speziellen Belange
verschiedener Organisationen, die auf europäischer Ebene auch die deutsche
Vielfalt von Berufsverbänden widerspiegeln, zusammenfassen. Hierfür möchte die
Bundesärztekammer das Forum sein.
Die Bundesärztekammer hat im Zusammenhang mit der
Osterweiterung der Europäischen Union und dem Beitritt der neuen
Beitrittsländer aus Osteuropa - wie mein Eingangszitat belegt -, aber auch
schon viel früher den Aufbau ärztlicher Organisationen entsprechend unseren
Prinzipien freiheitlicher und demokratischer Selbstverwaltung und
Selbstverantwortung gefördert. Daran werden wir, solange dies gewünscht wird,
festhalten. Das stärkt sicherlich die Akzeptanz unserer Art, uns zu
organisieren, im Europa der Ärzte.
Ich freue mich daher auch darauf, was Kollege Jeszenszky aus
der Sicht des kommenden Beitrittslandes Rumänien, aber auch aus der Sicht
anderer europäischer Beitrittsländer hierzu vortragen wird.
Ich danke Ihnen für die Aufmerksamkeit.
(Beifall)
Präsident Prof. Dr. Dr. h. c. Hoppe: Vielen Dank,
Herr Wurche, für diese Einführung und für die Aufklärung. Viele von uns wissen
wahrscheinlich gar nicht, was in Europa geschieht, wie es funktioniert und wie
wir uns dort aufgestellt haben, wie wir in Brüssel vertreten sind und dort die
entsprechende Einflussnahme versuchen und das, was dort passiert, nach hier
transportieren. Darüber wissen wir jetzt besser Bescheid.
Wir kommen nun zu dem Referat von Herrn Kollegen Jeszenszky
aus Rumänien, der uns in deutscher Sprache vermitteln wird, was in seinem Land
geschieht, sozusagen paradigmatisch für die Länder, die bereits EU-Mitglied
sind, was ja für Rumänien noch ansteht. Herzlich willkommen, Herr Jeszenszky!
Bevor Sie Ihr Referat beginnen, darf ich den amtierenden
Präsidenten des Weltärztebundes begrüßen, Herrn Kollegen Dr. Letlape aus
Johannisburg in Südafrika. Herzlich willkommen!
(Beifall)
Ebenfalls anwesend ist der Generalsekretär des
Weltärztebundes, der uns gut bekannte Otmar Kloiber, früher Bundesärztekammer.
Herzlich willkommen, Otmar Kloiber!
(Beifall)
Bitte schön, Herr Jeszenszky.
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