Präsident Prof. Dr. Dr. h. c. Hoppe: Damit kommen wir
zum zweiten Teilthema unter Tagesordnungspunkt VII: Zum
Umgang mit individuellen Gesundheitsleistungen. Dazu habe ich ein kleines
Einführungsreferat zu halten. Ich bin mit der Frage konfrontiert worden, ob wir
als Ärztinnen und Ärzte Patienten, die keine individuellen Gesundheitsleistungen
empfangen, sondern sich in der normalen Versorgung befinden, nicht als
Individuen betrachten und damit gegenüber denjenigen, die individuelle Gesundheitsleistungen
empfangen, negativ erscheinen lassen. Ich habe darauf geantwortet, dass das
eine Verkürzung ist, dass es statt "individuelle Gesundheitsleistungen"
eigentlich "individuellvertragliche Gesundheitsleistungen" im Gegensatz zu
kollektivvertraglichen Gesundheitsleistungen wie im System der GKV heißen muss.
Ich würde mich freuen, wenn sich dieser Ausdruck durchsetzte. Man muss das
nicht immer so formulieren, man kann ja "IGeL" sagen. Aber dabei ist gemeint,
dass individuelle Verträge mit den Patientinnen und Patienten geschlossen
werden, die natürlich auch ansonsten geschlossen werden, aber dann auf dem
Boden eines Kollektivvertrags, während hier wirklich ein individueller Vertrag
vorliegt. So sehen es auch die Juristen.
Wie ich weiß, haben einige Kammern schon früh Hinweise für den
Umgang mit diesen individuellen Gesundheitsleistungen verfasst und Flyer
produziert. Ich will keine Namen nennen, weil ich niemanden vergessen möchte.
Dieses Thema war ab 2002 umstritten, weil manche inhaltlichen
Leistungen umstritten waren. Es wurde behauptet, es würden Leistungen als
individuelle Gesundheitsleistungen angeboten, die in Wirklichkeit unter die
Erstattungspflicht der GKV fallen, und dass damit Missbrauch getrieben werde.
Ferner wurde behauptet, der Umgang unserer Kolleginnen und Kollegen, die
individuelle Gesundheitsleistungen vorhalten, mit ihren Patientinnen und
Patienten sei nicht immer ganz korrekt. In der Kammer Nordrhein ist als
häufigster Fall registriert worden, dass sich vor allen Dingen Patientinnen
darüber beschweren, dass ihnen in der Praxis bereits am Empfang gesagt wurde:
Wenn Sie nicht dieser oder jener individuellen Gesundheitsleistung, die Sie
selbst bezahlen müssen, zustimmen, brauchen Sie gar nicht erst in das
Ordinationszimmer des Arztes zu gehen, denn dann ist er nicht bereit, Ihre
Behandlung oder Vorsorgeuntersuchungen durchzuführen. Das wurde also von der
Inanspruchnahme einer individuellen Gesundheitsleistung abhängig gemacht.
Das geht natürlich nicht, denn die Inanspruchnahme von Ärzten
durch Patientinnen und Patienten muss auch ohne die Inanspruchnahme von
individuellen Gesundheitsleistungen prinzipiell gewährleistet sein. Dabei ist
klar, dass beide Partner - sowohl Patient als auch Arzt - die Freiheit haben,
den individuellen Behandlungsvertrag einzugehen oder auch nicht. Man muss immer
wieder darauf hinweisen: Außer in Notfällen sind Ärztinnen und Ärzte nicht
verpflichtet, Behandlungsverträge einzugehen. Aber das zu konditionieren und
von Bar-Transferleistungen abhängig zu machen, geht zu weit. Es gab Beschwerden
von Patienten und Krankenkassen, diese Thematik werde überdehnt. Es gab einige
nicht unerhebliche Medienauseinandersetzungen. Auch die Politik und hier nicht
zuletzt die Patientenbeauftragte der Bundesregierung hat sich zu diesem Thema
geäußert. Das kann man ja alles noch hinnehmen, aber wenn man in den Kammern
überprüft, was wahr ist und was nicht, muss man feststellen, dass manche der
getroffenen Feststellungen zu weit gehen.
Wie Ihnen sicher bekannt ist, hat es zu diesem Thema auch
Literatur gegeben. Im Deutschen Ärzte-Verlag ist ein Buch mit Beiträgen
verschiedener Autoren erschienen, herausgegeben von Frau Renate Hess und Frau
Dr. Regina Klakow-Franck von der Bundesärztekammer. Es haben sehr viele andere
an diesem Buch mitgewirkt. Es ist im Frühjahr 2005 erschienen.
Wir konnten schon davor die Entwicklung beobachten, dass
langsam, aber sicher das Angebot und die Empfehlung von
individuellvertraglichen Gesundheitsleistungen gegenüber Patientinnen und
Patienten und deren Ausführung ein bisschen - verkürzt gesagt, damit es absolut
klar ist - in die Schmuddelecke gebracht wurden. Das hat uns auf den Plan
gerufen, in der Bundesärztekammer zu sagen: Wir müssen uns um dieses Thema
kümmern.
Wir haben im Jahre 2004 vor dem 108. Deutschen Ärztetag eine
Arbeitsgruppe zur Vorbereitung eines Diskussionspapiers für den vorjährigen
Berliner Ärztetag eingesetzt. Mitglieder dieser Arbeitsgruppe sind Herr
Professor Raspe, ein Medizinsoziologe, Frau Dr. Machnik, Vizepräsidentin der
Ärztekammer Schleswig-Holstein, Dr. Potthoff, ein Gynäkologe aus Königswinter,
der lange Zeit im Vorstand der KV Nordrhein und auch lange im Vorstand der
Ärztekammer Nordrhein war und sich mit diesem Thema besonders intensiv
beschäftigt hat. Von juristischer Seite waren aus den Landesärztekammern Frau
Hirthammer aus Nordrhein und Herr Dr. Schiller von der Bayerischen
Landesärztekammer vertreten, der Hauptgeschäftsführer der Bundesärztekammer,
Herr Professor Fuchs, Frau Dr. Klakow-Franck, die eben genannte Mitherausgeberin
des Buches, und Frau Rechtsanwältin Wollersheim aus der gemeinsamen Rechtsabteilung
von Kassenärztlicher Bundesvereinigung und Bundesärztekammer. Ich selbst hatte
den Vorsitz dieser Arbeitsgruppe. Wir haben bis zum vorjährigen Ärztetag in
Berlin sechsmal getagt und ein Papier verfasst, das sehr umfangreich ist, das
wir diesem Ärztetag mit der Bitte ausgehändigt haben, es nicht auf dem Berliner
Ärztetag zu diskutieren und etwa zu verabschieden, sondern dieses Papier nur
mit nach Hause zu nehmen, es innerhalb der Kammern zu ventilieren und zu
diskutieren und sich Gedanken über eine Weiterentwicklung zu machen.
Diese Beratungen auf dem Ärztetag und die anschließenden
Beratungen haben dazu geführt, dass weitere Versionen erstellt wurden. Im Juli
2005 haben wir das weiterentwickelte Papier an alle 17 Landesärztekammern mit
der Bitte um Stellungnahme versandt. Zwischen August und November 2005 haben
neun Landesärztekammern zu diesem Papier Stellung genommen, und zwar
Baden-Württemberg, Bayern, Berlin, Bremen, Hessen, Nordrhein, Rheinland-Pfalz,
Sachsen und Sachsen-Anhalt.
Die Arbeitsgruppe hat am 22. November 2005 in unveränderter
Zusammensetzung die eingetroffenen Stellungnahmen beraten, eingearbeitet und
die nächste Version verfasst. Einige Tage später, am 25. November 2005, haben
wir alle wissenschaftlichen Gesellschaften und Berufsverbände auf dem Boden der
Beratungen dieser Arbeitsgruppe angeschrieben mit der Bitte, aus ihrer Sicht
bis zu drei typische fachlich begründete individuelle Gesundheitsleistungen zu
benennen. Bisher sind vier Antworten eingetroffen. Das ist meines Erachtens
nicht zu beklagen, weil die wissenschaftlichen Fachgesellschaften und die Berufsverbände
offensichtlich nicht wollten, dass sich die Vorstände allein oder vielleicht
nur einzelne Personen mit diesem Thema beschäftigen und Antworten geben. Man
wollte vielleicht auch Abstimmungen zwischen der wissenschaftlichen
Gesellschaft und dem Berufsverband der jeweiligen Fachgesellschaft durchführen.
Wir rechnen damit, dass noch weitere Antworten eintreffen werden. Die vier
Berufsverbände, die geantwortet haben, sind die Berufsverbände der
Hals-Nasen-Ohrenärzte, der Gynäkologen, der Augenärzte und der Dermatologen.
Die Frauenärzte haben eine Benennung von bis zu drei individuellen Gesundheitsleistungen
abgelehnt, weil ihr Katalog viel größer sei. Sie wollten die Intention, bis zu
drei individuelle Gesundheitsleistungen zu benennen, nicht akzeptieren. Wir
wussten natürlich auch, dass der Katalog viel größer ist. Aber wir wollten gern
wissen, welches die drei wichtigsten individuellen Gesundheitsleistungen sind,
um zu erkennen, was eine typische individuelle Gesundheitsleistung ist und was
möglicherweise umstritten ist. Hier müssen wir halt noch weiter miteinander
reden.
Die anderen Angeschriebenen und Antwortenden haben jeweils
drei Leistungen benannt. Die anderen Organisationen haben auch Stellung
genommen, beispielsweise die Dermatologen und die Gynäkologen.
Weil das Prozedere noch nicht abgeschlossen ist und dieses
Papier, das wir weiterentwickelt haben und das eine Liste der drei wichtigsten
Leistungen, die wir als Bundesärztekammer gegengecheckt haben, enthalten soll,
noch nicht fertig gestellt sein kann, wir andererseits versprochen haben, dass
wir hier auf diesem Ärztetag das Thema etwas intensiver vortragen und Ihnen zur
Beratung überantworten wollten, haben wir uns gedacht: Wir arbeiten an dem
Papier weiter. In diesem Papier stehen zehn Punkte, die einen Kodex darstellen
könnten. Diese zehn Punkte sind in dem Ihnen vorgelegten Antrag des Vorstands
der Bundesärztekammer enthalten. Es gibt in diesem Antrag einen beschreibenden
Teil und einen Zehn-Punkte-Teil, der Ratschläge für den Umgang mit individuellvertraglichen
Gesundheitsleistungen enthält. Diesen Vorstandsantrag finden Sie auf Drucksache
VII-1. Er umfasst vier Seiten. Es sind mittlerweile einige Zusatzanträge
eingegangen, die darauf abzielen, die Inhalte dieses Papiers zu verändern, zum
Teil gravierend zu verändern. Ich nehme an, dass uns dieses Thema etwas länger
beschäftigen wird. Die Anträge sind von hoher Intensität. Das Vorstandspapier
bekäme einen anderen Charakter, wenn alle Anträge so, wie sie vorgelegt worden
sind, akzeptiert würden. Darüber sollten wir jetzt diskutieren. Ich möchte hier
gar keine Vorschriften machen.
Ich ziehe mich jetzt wieder auf die Rolle des Moderators
zurück und bin gespannt, wie die weitere Diskussion abläuft. Ich hoffe, dass
ich ausreichend in die Vorgeschichte und die Begründung des heutigen Papiers
eingeführt habe.
Wir beginnen jetzt mit der Aussprache. Als erster Redner hat
sich Herr Dr. Rütz von der Ärztekammer Nordrhein auf die Rednerliste setzen
lassen. Bitte schön, Herr Dr. Rütz.
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