TOP VII: Tätigkeitsbericht der Bundesärztekammer

3. Tag: Donnerstag, 25. Mai 2006 Nachmittagssitzung

Dr. Rütz, Nordrhein: Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Sehr geehrte Damen und Herren! Man muss ja sagen: Endlich hat dieses Thema auch den Ärztetag erreicht, nachdem es schon so viele Jahre in der Diskussion war, wie Herr Professor Hoppe Ihnen dargestellt hat. Dieses Papier ist sicherlich ein erster und wichtiger Schritt, diese Wirrungen und Irrungen, die mittlerweile in der IGeL-Szene um sich gegriffen haben, wieder einzufangen.

Die Zeit ist allerdings über den Begriff "IGeL" hinweggegangen. Wir haben eben gehört, dass "individuellvertragliche Vereinbarungen" ein besserer Begriff wäre als "individuelle Gesundheitsleistungen". Ich denke, an der Begrifflichkeit sollten wir noch etwas feilen. Nach Auffassung der Antragsteller des Änderungsantrags sind die IGeL-Leistungen eigentlich der Ausdruck einer souveränen Arzt-Patient-Beziehung im Gegensatz zur teilentmündigten Arzt-Patient-Beziehung im Bereich der GKV. Ich komme gleich noch auf den Begriff der souveränen Arzt-Patient-Beziehung zurück.

Ich möchte Ihnen zuvor an einem plastischen Beispiel zu verdeutlichen versuchen, was man unter IGeL-Leistungen versteht. Ich möchte Sie an ein Urteil des Bonner Landgerichts erinnern, das schon etliche Jahre alt ist, das aber damals maßgebliche Standesvertreter dazu gebracht hat, über dieses Thema intensiv nachzudenken, insbesondere auch was die Abgrenzung von Leistungen oder Nichtleistungen der GKV angeht. Die PSA-Bestimmung ist ohne Zweifel eine Leistung, die von der GKV bezahlt wird. Die Bestimmung der PSA ist zweifellos keine Vorsorgeleistung. Sie wird erst dann eine Leistung der gesetzlichen Krankenversicherung, wenn sich ein suspekter rektaldigitaler Tastbefund ergibt. Jetzt zu dem vor dem Bonner Landgericht verhandelten Fall. Es geht um einen Urologen, den ich persönlich kenne. Ein Patient, GKV-versichert, erschien zur Vorsorgeuntersuchung. Er wurde nach den Regeln der gesetzlichen Krankenversicherung untersucht. Es wurde kein suspekter Tastbefund erhoben. Daraufhin wurde auch keine Bestimmung des PSA veranlasst. Der Urologe sagte dem Patienten: Es ist alles in Ordnung, Sie können wieder nach Hause gehen.

Zwei Jahre später meldete sich dieser Patient wieder bei dem Urologen - ob persönlich oder in Person seines Anwalts, weiß ich nicht -, weil in der Zwischenzeit bei dem Patienten ein metastasierendes Prostatakarzinom festgestellt worden war. Dieser Patient hat den Kollegen verklagt. Er warf ihm mangelnde Sorgfaltspflicht vor. Das Verfahren wurde vor dem Bonner Landgericht verhandelt.

In der Verhandlung fragte der Richter den behandelnden Urologen, was er denn gemacht habe. Der Kollege hat den Fall geschildert: Ich habe die Vorsorgeuntersuchung durchgeführt, so wie es nach den Buchstaben des SGB V erforderlich ist, habe den Tastbefund als nicht suspekt befundet und habe auch keine PSA-Bestimmung durchgeführt.

Der Richter fragte: Ist das denn der Stand der medizinischen Wissenschaft Ihrer Fachgesellschaft? Woraufhin der Urologe wahrheitsgemäß antwortete: Nein, der wissenschaftliche Stand ist, dass man auch bei nicht suspektem Tastbefund, aber bei der Fragestellung Vorsorgeuntersuchung die Bestimmung einer PSA durchführen sollte. Auf die Frage des Richters, warum er es nicht gemacht habe, sagte der Kollege: Das ist ein GKV-Patient, da wird das nicht honoriert.

Dann stellte der Richter fest: Auch wenn im Leistungskatalog der gesetzlichen Krankenversicherung die Bestimmung des PSA keine Vorsorgeleistung ist, hätten Sie zumindest den Patienten darauf hinweisen müssen, dass dies nicht mehr dem Stand der Wissenschaft entspricht, damit der Patient hätte entscheiden können, ob die Untersuchung durchgeführt werden sollte oder nicht. Dann hätte der Patient unter dem Ergebnis zu leiden gehabt oder auch nicht.

Dieser Kollege ist verurteilt worden. Hier herrscht ein ganz schwieriges Spannungsfeld zwischen informierten Patienten, den medizinischen Möglichkeiten, die wir mittlerweile haben, und unserem Praxisalltag. Dieses Spannungsverhältnis durchzieht auch die Änderungsanträge, die wir zu diesem, wie Herr Hoppe es genannt hat, Kodex gestellt haben. Darauf möchte ich vor dem Hintergrund der eben geschilderten Überlegungen kurz eingehen.

Im Vorstandsantrag heißt es auf Seite 3 unter Nr. 2 "Zulässige Leistungen":

Das Angebot individueller Gesundheitsleistungen muss sich beziehen auf Leistungen, die entweder erforderlich oder aus ärztlicher Sicht empfehlenswert . sind.

Wir sind der Meinung, man sollte den Begriff "erforderlich" durch den Begriff "notwendig" ersetzen. Das ist zwar sprachlich und auch juristisch dasselbe,
aber es ist GKV-Jargon. Wir empfehlen, diese Änderung vorzunehmen, damit klar wird, dass die gesetzliche Krankenversicherung kein Monopol auf die Durchführung notwendiger medizinischer Leistungen hat.

Ferner heißt es unter derselben Nummer:

Es darf sich nicht um gewerbliche Dienstleistungen handeln.

Ich glaube, anhand des geschilderten Beispiels, was individuelle Gesundheitsleistungen sein können oder sein sollen, ist klar, dass es sich auf keinen Fall um gewerbliche Leistungen handelt. Auf die steuerlichen Aspekte möchte ich überhaupt nicht eingehen.

Eine weitere Änderung schlagen wir in Nr. 5 "Aufklärung" vor. Die Kollegen, die aus dem Praxisalltag kommen, wissen, wie es dort zugeht. Es sollte auf jeden Fall nicht dazu kommen, dass die Aufklärung eines Patienten bei der Durchführung einer individuellvertraglichen Gesundheitsleistung zu einer Doktorarbeit wird, weder für den Arzt noch für den Patienten. Es kann nicht sein, dass die Aufklärung mit seitenlangen Broschüren oder langen Gesprächen die sinnvolle Ergänzung der medizinischen Untersuchung und Behandlung verhindert, weil der Patient sagt: Das verstehe ich sowieso nicht. Deshalb wollen wir die Formulierung

Eine besondere ärztliche Darlegungslast besteht bei Leistungen, die durch Beschluss des Gemeinsamen Bundesausschusses von der Leistungspflicht der GKV ausgeschlossen sind .

entfernt haben. Die Aufklärung würde ja schon damit beginnen, dass ich dem Patienten erklären muss, was der Gemeinsame Bundesausschuss ist. Ich finde, es ist nicht erforderlich, dass wir ausdrücklich begründen müssen, warum der Gemeinsame Bundesausschuss bestimmte Leistungen nicht in die GKV übernommen hat. Manchmal sind es ja auch Gründe, die man gar nicht so richtig nachvollziehen kann.

Der folgende Text

oder die aus ärztlicher Sicht nicht als empfehlenswert oder sinnvoll zu betrachten sind

sollte ebenfalls gestrichen werden. Das gehört nicht dorthin. Wir sollten niemanden auf die Idee bringen, dass wir überhaupt Sinnloses oder ärztlich nicht Vertretbares empfehlen.

Damit komme ich zur Nr. 6 "Angemessene Informations- und Bedenkzeit". Ich bin sehr dafür, dass sich die Patienten eine zweite Meinung einholen. Das gehört heute zum informierten Patienten dazu. Ich bin sehr dafür, dass das im Antragstext stehen bleibt. Es heißt in Nr. 6 auch:

Ebenfalls sollten sie darüber informiert werden, dass sie leistungsrechtliche Fragen ggf. mit ihrer Krankenkasse oder mit Dritten klären können.

Liebe Kolleginnen und Kollegen, ich finde, das gehört dort überhaupt nicht hin.

(Beifall)

In diesem Zusammenhang komme ich auf die Frage zurück, was ich unter einer souveränen Arzt-Patient-Beziehung verstehe. Es geht doch nicht an, dass ein Patient, der sich uninformiert fühlt, zu Mami und Papi läuft und sagt: Erkläre mir das mal! Es ist richtig, dass sich der Patient informiert. Das geschieht heutzutage sehr viel intensiver als früher, insbesondere auch bei jüngeren Jahrgängen.

Wesentlich ist auch, dass er sich den Arzt seines Vertrauens aussucht, den er mit seinem Anliegen aufsucht. Schließlich entscheidet der Patient nach Abschluss der Untersuchung oder der Behandlung, ob das Vertrauen in den Arzt gerechtfertigt war, was die Indikationsstellung, die Durchführung und auch die Honorierung angeht. Ich finde, das gehört zu einer souveränen Arzt-Patient-Beziehung. Der Ausgangspunkt aller Überlegungen ist: Das ist die Grundlage für marktwirtschaftliche Strukturen im Gesundheitswesen, über die man redet, nicht abzocken, abkassieren.

Um die Ausführungen von Herrn Professor Hoppe in seinem Referat während der Eröffnungsveranstaltung zu wiederholen: souveräne Arzt-Patient-Beziehung, der Patient ist informiert, er sucht sich den Arzt seines Vertrauens aus und beurteilt dessen Tätigkeit auch anhand seiner Rechnung.

Unter Nr. 6 heißt es weiter:

In jedem Falle muss vor Abschluss des Behandlungsvertrages eine der Leistung angemessene Bedenkzeit gewährt werden.

Wir schlagen vor, die Worte "in jedem Falle" zu streichen und es dabei zu belassen, dass dem Patienten eine angemessene Bedenkzeit gewährt werden muss. Es gibt ja Leistungen, die kaum das Portemonnaie des Patienten überfordern. Es gibt sicherlich auch Leistungen oder Therapien, die angemessen und teurer sind. Da sollte die Bedenkzeit durchaus länger sein. Die Formulierung "in jedem Falle" ist, glaube ich, für den Alltag ein bisschen überzogen.

Nr. 7 "Schriftlicher Behandlungsvertrag" ist okay.

Damit bin ich bei Nr. 8 "Koppelung mit sonstigen Behandlungen". Ich weiß, dass es Änderungsanträge gibt, das zu streichen. Dagegen hätte ich nichts. Auf jeden Fall sind wir dagegen, dass formuliert wird:

Von Ausnahmen abgesehen sollten individuelle Gesundheitsleistungen nicht in Zusammenhang mit Behandlungsmaßnahmen zulasten der GKV, sondern grundsätzlich davon getrennt erbracht werden.

Das ist im Grunde genommen richtig, aber die Wirklichkeit ist doch eine andere. Der Patient sucht doch nicht mehrfach die Praxis auf, um die eine individuelle Gesundheitsleistung und dann die GKV-Leistung und wieder eine IGeL-Leistung und dann die GKV-Leistung in Anspruch zu nehmen, sondern das geschieht doch in aller Regel in einem einzigen Vorgang, indem der Arzt sagt: Wir haben noch die Möglichkeit, Ihnen folgende Ergänzungen zu dem, was Sie eigentlich möchten, anzubieten.

Von daher schlage ich vor, dass Sie entweder die Änderung, die wir Ihnen vorschlagen, akzeptieren, nämlich

Individuelle Gesundheitsleistungen sollten möglichst nicht mit Behandlungsmaßnahmen zulasten der GKV, sondern grundsätzlich davon getrennt erbracht werden

oder dem Antrag zustimmen, diesen Passus zu streichen.

Die Einhaltung der Gebietsgrenzen war in der letzten Stunde ebenfalls ein Diskussionsgegenstand unter den Delegierten. Natürlich sollten sich die Kollegen an die Grenzen des Fachgebiets halten, obwohl es nicht zwingend erforderlich ist. Wir halten es schon für vernünftig, dass der Schuster bei seinem Leisten bleibt und nicht der Hals-Nasen-Ohrenarzt anfängt, unterhalb der Gürtellinie Leistungen durchzuführen - vielleicht auch umgekehrt.

Nr. 9 trägt die Überschrift "Einhaltung von Gebietsgrenzen und Qualitätsstandards". Herr Josten, der dem einen oder anderen von Ihnen bekannt ist, kam mit geschwollenem Hals auf mich zu und sagte: Was soll das denn? Wie kommen wir dazu, plötzlich von Standards zu sprechen? Unser Vorschlag lautet, dass es heißt: "Einhaltung von Gebietsgrenzen und Qualität".

Der letzte Satz von Nr. 9 lautet:

Qualitätsanforderungen der GKV sind zu beachten, wenn sie zugleich dem medizinischen Standard entsprechen.

Ich frage mich: Wenn sie es nicht tun, was machen wir denn dann? Ich schlage vor, diesen Satz zu streichen.

Damit bin ich mit der Begründung unserer Änderungsanträge zu Ende und hoffe, dass wir zur Verabschiedung eines Papiers kommen und dass viele unserer Änderungsanträge von Ihnen akzeptiert werden.

Vielen Dank.

(Beifall)

Präsident Prof. Dr. Dr. h. c. Hoppe: Schönen Dank. - Jetzt hat sich Herr Mayer zur Geschäftsordnung gemeldet. Bitte schön.

© 2006, Bundesärztekammer.