Statements

Dienstag, 24. Oktober 2006, Vormittagssitzung

Wolfgang Zöller, stellvertretender Vorsitzender der CDU/CSU-Bundestagsfrak­tion: Grüß Gott, meine sehr geehrten Damen und Herren! Ich darf mich für die Begrüßung recht herzlich bedanken. Wenn ich ein bisschen zerknittert aussehe, liegt das schlicht und ergreifend daran, dass wir heute Nacht um 3 Uhr noch verhandelt haben,

(Zuruf)

unter anderem auch über den Punkt: Wie sieht es mit der privaten Krankenversicherung aus? Ich sage ganz klar, was hier die Position der Union ist: Wir halten es nach wie vor für das deutsche Gesundheitswesen für notwendig, dass wir die private Krankenversicherung als Vollversicherung erhalten, weil wir genau wissen, dass zum Beispiel ohne die private Krankenversicherung in etlichen Krankenhäusern und in sehr vielen Arztpraxen die finanzielle Situation wesentlich schlechter aussähe.

Wenn 10 Prozent der Versicherten rund 20 Prozent der Kosten im stationären Bereich und
10 Prozent der Versicherten rund 30 Prozent im ambulanten Bereich finanzieren, muss dies auch für die Zukunft ein Angebot sein, wobei gleichzeitig das System bei der privaten Krankenversicherung, dass man Altersrückstellungen bildet, eigentlich auf die gesetzliche Krankenversicherung überlagert werden sollte.

(Beifall)

Meine sehr geehrten Damen und Herren, allerdings muss man auch hier die Realität erkennen: Wenn in der privaten Krankenversicherung heute rund 90 Milliarden Euro Rücklagen gebildet werden, würde das im Umkehrschluss natürlich bedeuten, dass wir in der gesetzlichen Krankenversicherung eine Größenordnung von 700 Milliarden Euro bräuchten. Ich glaube, angesichts dieses Ausmaßes muss man sich fragen, ob das der richtige Weg ist oder ob man nicht andere Wege gehen muss.

(Zuruf: Anfangen!)

- Ich bin für diesen Zwischenruf recht herzlich dankbar. Unsere jungen Abgeordneten haben beispielsweise gesagt: Dann fangt wenigstens einmal mit 2 Milliarden Euro im Jahr an.

(Beifall)

Dann hätten wir das Problem "schon" in 350 Jahren gelöst.

Meine sehr geehrten Damen und Herren, deshalb lasst uns überlegen: Wie können wir die demografische Festigkeit anders regeln? Da gibt es auch Ansätze. Ich bin Herrn Hoppe für den letzten Teil seiner Ausführungen dankbar: Wir sollten gemeinsam versuchen, es ist ja nicht so, dass wir beratungsresistent sind - -

(Lachen - Widerspruch)

- Meine sehr geehrten Damen und Herren, wir werden ja merken, was bei der Anhörung noch alles an Positivem, an Vorschlägen von Ihnen kommt.

Lassen Sie mich bitte auch eines sagen: Wir tun ja gerade so, als würde eine Reform gemacht, weil man unbedingt eine Reform haben will.

(Beifall)

- Ich hätte mir den Applaus lieber bei meinen inhaltlichen Aussagen als an dieser Stelle gewünscht, wie Sie sich vorstellen können.

Versuchen wir doch einmal, die Realität zur Kenntnis zu nehmen. Wir haben heute einen Beitragssatz von durchschnittlich 14,3 Prozent. Wir hätten einen wesentlich niedrigeren Beitragssatz, wenn nicht auch durch Rahmenbedingungen und auch durch falsche gesetzliche Maßnahmen diese finanzielle Entwicklung so entstanden wäre. Ich behaupte nach wie vor: Wir haben im gesetzlichen Gesundheitswesen kein Ausgaben-, sondern primär ein Einnahmeproblem.

(Beifall)

Dann sollten wir unser Augenmerk darauf richten: Wie können wir diese Einnahmeprobleme beseitigen?

Das Erste ist: Allein der Rückgang von rund 1,5 Millionen sozialversicherungspflichtigen Arbeitsplätzen kostet uns auf der Einnahmeseite 5 bis 6 Milliarden Euro. Zur Ehrlichkeit gehört auch: In dem Bestreben, einen ausgeglichenen Bundeshaushalt hinzubringen, ist die Kürzung der Bundesmittel eine zusätzliche Belastung der gesetzlichen Krankenversicherung, die wir gerade als Sozialpolitiker sehr bedauern. Wir versuchen, vielleicht noch im nächsten Jahr dies einigermaßen korrigieren zu können.

Ein weiterer Punkt - da sind alle Parteien betroffen, da nehme ich keine Partei aus -: Wir müssen als Sozialpolitiker endlich mehr Gewicht bekommen, damit endlich Schluss ist mit den Verschiebebahnhöfen zwischen den Sozialsystemen. Bisher wurde nämlich alles zum Schluss zulasten der gesetzlichen Krankenversicherung ausgehandelt. Hier haben wir einen Betrag von rund 5 Milliarden Euro. Wir müssen versuchen, das künftig zu vermeiden. Ich glaube, wir sind parteiübergreifend einer Meinung, dass bei künftigen Gesetzen von vornherein auf die Auswirkungen auf die gesetzliche Krankenversicherung hingewiesen werden muss.

Lassen Sie mich noch einen Punkt ansprechen, der vielleicht zu wenig in der Öffentlichkeit diskutiert wird. Wenn in den letzten fünf Jahren rund 1 Million bestausgebildete Deutsche Deutschland verlassen haben

(Zuruf: Mehr!)

und sich zum großen Teil im Ausland niedergelassen haben, müssen wir die Frage stellen: Wo liegen die Ursachen?

(Beifall)

Die Ursachen liegen bei zwei Punkten: zum einen an der hohen Abgabenquote, die wir haben, und zum anderen an der überbordenden Bürokratie.

(Beifall)

Meine sehr geehrten Damen und Herren, ich will versuchen, an ein paar Punkten klarzumachen, dass man hier etwas gegen die Ursachen tun muss, wenn man eine nachhaltige Finanzierung sicherstellen will. Ich halte nach wie vor eine nachhaltige Finanzierung im Gesundheitswesen deshalb für notwendig, damit wir endlich einmal von diesem Rhythmus wegkommen, alle zwei Jahre eine Gesundheitsreform nur aus Finanzierungsgründen zu machen.

Deshalb wollen wir als ersten Schritt zu einer nachhaltigen Finanzierung eine Abkoppelung der Gesundheitskosten von den Arbeitskosten erreichen. Ich habe Verständnis dafür, dass Kritik kommt, das sei nicht genügend. Man muss natürlich auch sehen, wie die Mehrheitsverhältnisse sind. Aber der erste Schritt ist getan: Arbeitgeber- und Arbeitnehmerbeiträge werden festgeschrieben und der Wettbewerb wird sich über die Steuersäule und den Zusatzbeitrag ausweiten können.

Wir haben uns zum Ziel gesetzt, mehr Transparenz und mehr Wettbewerb zu erreichen. Folgende Kritik kann ich nicht ganz verstehen: Sie sagen, mit dem Bundesverband wäre weniger Wettbewerb möglich. Wir haben jetzt sieben Spitzenverbände auf Bundesebene, die sich zum Teil gegenseitig blockieren. Das Entscheidende für uns ist Folgendes: Diese sieben Spitzenverbände haben nach heutiger Rechtslage mehr Aufgaben einheitlich und gemeinsam zu regeln, als es künftig bei dem neuen einen Spitzenverband der Fall sein wird. Es wird wesentlich weniger sein, denn dem neuen Bundesverband werden nur noch Aufgaben übertragen, die Rahmenrichtlinien entsprechen und die nicht mehr wettbewerbsverzerrend sein können.

Dass wir doch nicht ganz beratungsresistent sind, sehen Sie daran, dass wir die Spitzenverbände auf Landesebene ersatzlos gestrichen haben. Wir diskutieren immer noch über den ersten Arbeitsentwurf; wir sind ja schon weiter. Diese Anregung von Ihnen ist sogar aufgenommen worden, indem wir sagen: Auf Landesebene wird der Wettbewerb vor Ort gegenüber der bisherigen Regelung sogar gestärkt werden.

Meine sehr geehrten Damen und Herren, was den Wettbewerb der Kassen angeht, so haben wir jetzt die Möglichkeit geschaffen, dass die Kassen Kostenerstattungstarife wie in der PKV anbieten können. Es besteht also die Möglichkeit, dass sich eine gesetzliche Krankenversicherung dahin entwickeln kann. Diese Möglichkeit ist geschaffen; inwieweit sie von den Kassen genutzt wird, müssen wir dem Wettbewerb überlassen. Aber die Möglichkeit ist geschaffen worden. Wir haben auch die Möglichkeit geschaffen, dass für gesetzlich Krankenversicherte Selbstbehalttarife und Ähnliches mehr eingeführt werden.

Die Vertragswettbewerbsmöglichkeiten der Kassen wurden wesentlich erweitert. Sie können zum Beispiel mit Arztgruppen Verträge abschließen.

(Lachen)

Wir haben verhindert, dass es ein Primärarztsystem gibt. Wir wollen nach wie vor die Wahlmöglichkeiten offenhalten.

Wir haben im Zusammenhang mit den Verträgen zur integrierten Versorgung erstmals aufgenommen, dass dort auch die Pflegeversicherungsleistungen aufgenommen werden können, genau mit der Begründung, dass man den Patienten wieder mehr in den Mittelpunkt stellt und nicht die Verschiebung - -

(Lachen)

- Entschuldigung, wenn das Budget im Krankenhaus nicht funktioniert, versucht man den Patienten möglichst schnell in die Pflegeversicherung zu bringen. Heute werden die Patienten doch je nach Budget behandelt, sage ich mal. Das wollen wir auch aufheben.

(Widerspruch - Pfiffe)

- Sind Sie der Auffassung, dass das sinnvoll ist? Ich bin der Auffassung, dass es sinnvoller ist, dass die Leute dort behandelt werden, wo die Versorgung optimal ist. Die Finanzierung hat der Versorgung zu folgen und nicht umgedreht.

(Zuruf)

- Ich bin für diesen Einwurf "Dann müsst ihr die DRGs abschaffen!" sehr dankbar, weil ich dadurch auf ein Problem aufmerksam machen kann. Mit den DRGs wollten wir eine leistungsgerechte Vergütung der Leistungen, die am Krankenhaus erbracht werden, einführen. Das war das Ziel: eine leistungsgerechte Vergütung.

Was ist jetzt passiert? Auch das muss in einem solchen Kreis einmal angesprochen werden dürfen. Die Vergütung für eine Geburt beträgt 900 Euro, für eine komplizierte Geburt mit Kaiserschnitt 2 000 Euro. Was ist jetzt passiert? Es gibt Krankenhäuser, da gibt es nur noch Kaiserschnitte.

(Zurufe)

- Wenn Sie so freundlich sind, hören Sie mir kurz zu. Ich bin doch gern bereit, darüber zu diskutieren.

Es könnte folgende Gründe geben: Grund Nummer eins könnte sein, dass die Frauen das unbedingt wünschen. Aber die Umfragen haben ergeben: Das sind meistens 3 bis 5 Prozent, mehr nicht. Also kann es das allein nicht sein.

Der zweite Grund könnte sein, dass man zum Beispiel sagt:

(Zuruf: Aufhören!)

Es liegt daran, dass das Krankenhaus sagt, wir müssen sehen, dass wir die 2 000 Euro Vergütung in unseren Topf bekommen.

Eine weitere Begründung könnte sein - -

(Zurufe)

- Wenn Sie mir vielleicht noch zwei Sätze zuhören. Wir kommen uns ja viel näher.

Eine weitere Begründung könnte sein, dass zum Beispiel ein Arzt sagt: Hier bekomme ich 900 Euro, dort 2 000 Euro.

Eine Begründung, über die bisher noch nicht gesprochen wird, könnte sein, dass der Arzt sagt: Ich muss die zweite Methode wählen, weil ich sonst Gefahr laufe, in Haftungsfragen in Anspruch genommen zu werden. Wenn ich sehe, dass vor zwei Monaten in Deutschland ein Gericht die Klage eines Vaters gegen den Arzt angenommen hat, der bei der Geburt seiner Tochter vor 19 Jahren Beistand geleistet hat, und zwar mit der Begründung, seine Tochter sei zweimal durchs Abitur gefallen, deshalb müsse der Arzt etwas verkehrt gemacht haben, kann ich nur sagen: Wir bekommen langsam amerikanische Verhältnisse, dass mehr Geld für Haftungsabsicherungsgründe ausgegeben wird als für die medizinische Versorgung. Wir sollten gemeinsam darüber diskutieren, wie wir das regeln können.

(Zuruf: Sie haben keine Ahnung! - Weitere Zurufe)

Meine sehr geehrten Damen und Herren, ich bin fest davon überzeugt: Wir müssen auch in unserem System die Eigenverantwortung stärken. Eigenverantwortung heißt: jeder an seinem Ort. Ich möchte jetzt speziell auf Ihren Bereich zurückkommen und vier Punkte ansprechen, bei denen Sie eigentlich sagen müssten: Das ist der Schritt in die richtige Richtung.

Erstens. Erstmals wird das Morbiditätsrisiko von den Ärzten weggenommen und dorthin verlagert, wohin es gehört: zur Versichertengemeinschaft.

(Widerspruch)

Das ist der erste Schritt, meine sehr geehrten Damen und Herren.

Zweitens. Wenn Sie die letzte Formulierung genau lesen, erkennen Sie: Die Budgetierung, die an die Grundlohnsumme gebunden ist, ist weg. Auch das ist ein wichtiger Schritt, meine sehr geehrten Damen und Herren.

Drittens. Die Anbindung an die Arbeitskosten wurde schrittweise gelockert. Wir sagen: Künftig müssen bestimmte Dinge, besonders versicherungsfremde Leistungen, über Steuern und nicht mehr über die Arbeitskosten finanziert werden.

Das sind, wie ich meine, zumindest vier Schritte in die richtige Richtung. Wir nehmen Ihre Anregungen ernst. Ich würde bitten, dass wir die nächsten Wochen und Monate nutzen, um die gemeinsamen Anregungen umzusetzen zu versuchen. Ich glaube, uns allen ist geholfen, wenn wir sehr sachlich über die einzelnen Punkte diskutieren. Ich biete Ihnen hierzu meine Mitarbeit an.

Recht herzlichen Dank.

(Beifall - Pfiffe)

Prof. Dr. Dr. h. c. Jörg-Dietrich Hoppe, Präsident der Bundesärztekammer und des Deutschen Ärztetages: Vielen Dank, Herr Abgeordneter Zöller. Herr Dr. Köhler wird nachher im Einzelnen auf den einen oder anderen Satz eingehen.

Als nächste Rednerin kommt die stellvertretende Vorsitzende der SPD-Bundes­tagsfraktion, Frau Elke Ferner. Bitte schön, Frau Ferner.

© Bundesärztekammer 2006