Henke, Vorstand der Bundesärztekammer: Herr
Präsident! Meine Damen und Herren! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Die
beschriebene Situation ist natürlich das Ergebnis einer Entwicklung, und zwar
jener, dass über Jahre hinweg - Herr Professor Klusen hat das dargestellt - die
gesundheitliche Versorgung mit der Qualifizierung "Unterversorgung",
"Überversorgung" und "Fehlversorgung" schlechtgeredet worden ist. Wir haben auf
etlichen Ärztetagen dargelegt, dass diese Qualifizierung des Gesundheitswesens
im Grunde genommen eine Deviation in der Wahrnehmung der Bevölkerung
hinsichtlich des Gesundheitswesens herbeiführt.
Fakt ist - das zeigen die Untersuchungen, die der
"Commonwealth Funds" erstmals unter Einbeziehung Deutschlands durchgeführt hat
-, dass nirgendwo sonst die Bürger so sehr dem Satz zustimmen: Eigentlich muss
man in unserem Gesundheitswesen alles reformieren. Wenn man sie auf einzelne
Aspekte hin anspricht, sagen sie: Die Qualität ist gut. Deutschland hat im
internationalen Vergleich die kürzesten Wartezeiten, die Laborbefunde sind
verlässlicher und liegen schneller vor. Die Patienten haben mehr Möglichkeiten
bei der Arztwahl, sie bekommen im Krankenhaus seltener eine Infektion, wer
chronisch krank ist, wird häufiger und regelmäßig vorsorglich untersucht, die
Notfallpatienten sind doppelt so zufrieden wie in den USA, wo die
gesundheitliche Versorgung fast doppelt so viel kostet wie in Deutschland.
Aber darüber haben vielleicht - Herr Klusen hat ja recht -
alle verantwortlichen Akteure, weil sie es halt als so selbstverständlich
empfinden, zu wenig geredet. Also müssen wir über die Qualitäten sprechen, also
müssen wir sie im Konkreten benennen.
Es gibt eine Gruppe von Menschen in Deutschland, mit denen
noch arroganter umgesprungen wird als mit uns: Das sind die normalen
Abgeordneten im Deutschen Bundestag, die heute Nachmittag um 16 Uhr in ihrer
Fraktionssitzung einen Text von 540, 560 oder 570 Seiten - keiner weiß ja, wie
umfangreich das ist - beschließen sollen. Heute Morgen um 10 Uhr hat noch kein
Mitglied des Gesundheitsausschusses dieses Textpaket in Händen gehabt. Das
nenne ich Machtarroganz der Regierung! Ich bin selbst Parlamentarier und sage:
Es ist eine Dreistigkeit und Unverschämtheit, wie hier mit frei gewählten
Abgeordneten umgegangen wird!
(Beifall)
Es ist eine Frage ihres Gewissens, dass sie sich dagegen zur
Wehr setzen.
Schönen Dank.
(Lebhafter Beifall)
Prof. Dr. Dr. h. c.
Jörg-Dietrich Hoppe, Präsident der Bundesärztekammer und des Deutschen
Ärztetages: Vielen Dank für diese
starken Ausführungen und die Unterstützung des Appells an das Gewissen der
Abgeordneten. Ich glaube, nur so geht es. Man kann sie nicht verpflichten, sich
mit dem einzelnen Text zu beschäftigen. Aber dass sie wenigstens darüber
nachdenken, dass sie möglicherweise dicke Fehler machen, kann man wohl von
ihnen verlangen.
Die nächste Rednerin ist Frau Haus aus Nordrhein.
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