Eröffnungsveranstaltung

Dienstag, 15. Mai 2007, Vormittagssitzung

Karl-Josef Laumann, Minister für Arbeit, Gesundheit und Soziales des Landes Nordrhein-Westfalen: Sehr geehrter Herr Professor Hoppe! Sehr geehrte Frau Bundesministerin Schmidt! Sehr geehrter Herr Oberbürgermeister Tillmann! Sehr geehrter Herr Präsident Dr. Windhorst! Meine Damen und Herren! Zunächst einmal möchte ich Sie alle ganz herzlich im Namen der Landesregierung von Nordrhein-Westfalen und unseres Ministerpräsidenten Dr. Jürgen Rüttgers zum 110. Deutschen Ärztetag in Münster begrüßen. Ich habe diese Begrüßung gern übernommen, weil Sie in Münster tagen, und Münster ist bekanntlich die Hauptstadt von Westfalen, meiner Heimat. Ich freue mich auch, dass Sie hier sind, weil Herr Professor Dr. Hoppe aus Nordrhein-Westfalen kommt und mit Ihnen, den Delegierten des Ärztetages, zusammen die Belange der Ärzteschaft in ganz Deutschland vertritt.

Ärztinnen und Ärzte sind nicht nur Angehörige eines der wichtigsten Heilberufe unseres Gesundheitssystems; sie sind aus meiner Sicht auch Freiberuflerinnen und Freiberufler. Ihrem Gewissen unterworfen, erbringen sie auf der Grundlage ihrer besonderen beruflichen Qualifikation eine eigenverantwortliche und fachlich unabhängige Dienstleistung im Gesundheitswesen. Wer Verantwortung trägt, ist grundsätzlich zur Leistung bereit. Wer durch Staatsdirigismus entmündigt wird, zieht sich zurück.

(Beifall)

Deshalb müssen die Selbstverantwortung und die Selbstentscheidungskompetenz auch im Gesundheitswesen gestärkt werden, und zwar - aus meiner Sicht - vor allem im Interesse der Patientinnen und Patienten. Wir können nicht die notwendigen Leistungen verweigern, weil vielleicht ein Budget überschritten werden könnte. Hier ist auch die Ärzteschaft gefordert, gegen Begrenzungen Sturm zu laufen, weil sonst Patientinnen und Patienten zu Schaden kommen könnten.

Ich habe in den zwei Jahren, in denen ich im Amt bin, oft erlebt, dass gerade die Briefe aus den Praxen der Ärztinnen und Ärzte in Nordrhein-Westfalen uns in der Aufsicht darauf aufmerksam gemacht haben, dass das eine oder andere nicht stimmt. Es ist wichtig, dass dieses geschieht, damit wir in Gesprächen mit der Kassenärztlichen Vereinigung, aber auch mit den Krankenkassen solche Probleme lösen können.

Die Politik der Landesregierung ist, Freiheit zu lassen, wo es möglich ist, und die Menschen bestmöglich zu versorgen. Deswegen kämpfe ich auch so entschlossen dafür, dass gleiche Leistung auch gleich vergütet wird. Mich ärgert als nordrhein-westfälischer Gesundheitsminister natürlich, dass die Basisfallwerte unserer Krankenhäuser mit die niedrigsten in Deutschland sind und dass die Bundespolitik genauso viel Opfer von uns verlangt wie von anderen, die wesentlich höhere Basisfallwerte haben.

(Beifall)

Man muss die Unterschiedlichkeiten, die im System entstanden sind, bei einer verantwortbaren Politik auch berücksichtigen.

Ich sehe auch nicht ein, dass zurzeit etwa in Westfalen-Lippe durch ein System, bei dem die Ärzte immer mehr Sorge vor Regressen haben, die Versorgung unserer Bevölkerung mit Heilmitteln nicht gewährleistet ist. Auch hier müssen wir zu einem Gespräch kommen, um diese Situation zu verändern.

(Beifall)

Nordrhein-Westfalen ist mit seinen 18 Millionen Menschen ein Gesundheitsstandort mit einem riesigen Potenzial. In unserem Land Nordrhein-Westfalen sind allein 1 Million Arbeitskräfte im Gesundheitswesen tätig. Ich bin ja auch Arbeitsminister: Es ist die einzige Branche, die in den letzten Jahren einen stetigen Aufbau an sozialversicherungspflichtigen Arbeitsplätzen hatte.

(Beifall)

Um ein Beispiel zu nennen: In der Stadt Essen arbeiten allein 33 000 Menschen im Gesundheitswesen. Das sind allein in Essen mehr Beschäftigte im Gesundheitswesen, als es in ganz Nordrhein-Westfalen noch Bergleute gibt. Das macht deutlich, wie wichtig diese Branche auch für den Arbeitsmarkt ist. Von 66 000 Ärztinnen und Ärzten arbeiten 33 400 in Krankenhäusern und 26 600 im niedergelassenen Bereich.

Der Gesundheitsmarkt wächst weiter. Wir möchten den Standort Nordrhein-Westfalen mit einer Vielzahl neuer Angebote ausbauen. Wir streben Netzwerke an, die uns im In- und Ausland attraktiv machen, um unsere Bürgerinnen und Bürger erstklassig zu versorgen. Ein tragfähiges ordnungspolitisches Konzept nützt die Dualität von stationärem und niedergelassenem Bereich positiv, macht die Grenzen in den vertretbaren Rahmen durchlässig und stellt die Patientinnen und Patienten in den Vordergrund und nicht das System.

So kann zum Beispiel die Telemedizin, die ein wichtiger moderner Baustein ist, genutzt werden, um beispielsweise die integrierte Versorgung zu erleichtern. Wir in Nordrhein-Westfalen sind auf diesem Gebiet sehr weit vorangekommen.

Ihre Sorgen und Forderungen nehme ich ernst. In Nordrhein-Westfalen haben wir aber den Dialog mit der Ärzteschaft gesucht, und das wird auch so bleiben. Ich denke, in Nordrhein-Westfalen sind wir hinsichtlich der elektronischen Gesundheitskarte weit vorangekommen, und zwar in einem guten Einvernehmen auch mit Ihrem Berufsstand.

Meine Damen und Herren, ich glaube, dass das Bild des Arztes und der Ärztin nicht allein von der Apparatemedizin geprägt sein darf. Ich glaube, dass die menschliche Zuwendung ein ebenso wichtiger Faktor ist.

(Beifall)

Deshalb bin ich auch als nordrhein-westfälischer Gesundheitsminister davon überzeugt, dass der Hausarzt, der seine Familien oft über viele Jahre durch Höhen und Tiefen eines Lebens begleitet, genauso zur medizinischen Versorgung gehört wie die fachärztliche Kompetenz, die, wie ich finde, das Hausärztesystem vernünftig ergänzt.

(Beifall)

Ich will hier auch ganz deutlich sagen: Ich bin der berufsständischen Vertretung in Nordrhein-Westfalen sehr dankbar, dass wir in der letzten Zeit auch über Probleme, die wir etwa in der Nachwuchsgewinnung für Hausärzte haben, vernünftig miteinander reden konnten, um neue Impulse zu setzen, damit auch diese Versorgungsstruktur in unserem Land flächendeckend erhalten bleibt.

Ich glaube, wir müssen uns Gedanken über die Fälle machen, in denen es nach wie vor Probleme in der Versorgung gibt. Beispielsweise fehlen uns in Nordrhein-Westfalen kinder- und jugendpsychiatrische Therapeutinnen und Therapeuten. Wir müssen uns Gedanken darüber machen, wie wir diese Probleme in der Versorgung, deren Umfang anscheinend zunimmt, in Nordrhein-Westfalen flächendeckend besser in den Griff bekommen.

(Beifall)

Meine sehr verehrten Damen und Herren, ich will heute auch einen anderen Punkt ganz offen ansprechen. Deutschland ist ein ganz moderner medizinischer Standort, Nordrhein-Westfalen natürlich auch. Die Transplantationsmedizin spielt in der Spitzenmedizin eine Riesenrolle. Aber die Wahrheit ist: Zur Transplantationsmedizin gehört auch die Organspende. Hier haben wir - das will ich freimütig zugestehen - in Nordrhein-Westfalen noch etwas Nachholbedarf. Deswegen möchte ich heute den Deutschen Ärztetag nutzen, gerade diejenigen, die in dieser Frage mehr als jeder andere Berufsstand in Deutschland entsprechendes Vertrauen besitzen, zu bitten, dass Sie Ihre Möglichkeiten nutzen, mit den Menschen über diese Frage, die allzu viele von uns ausklammern, zu sprechen, und dort, wo Sie Verantwortung tragen, für die Organspende zu werben und für die Identifizierung von möglichen Organspendern zu sorgen.

Ich glaube, dass die Organspende ein Akt der Nächstenliebe ist. Wer Menschen kennt, die durch ein neues Organ eine ganz andere Lebensqualität gewonnen haben, wer, wie ich, als ich wenige Tage im Amt war, bei einem Besuch in unserer Herzklinik in Bad Oeynhausen zum ersten Mal Menschen mit einem künstlichen Herzen gesehen hat, weiß, wie wichtig diese Frage in der Spitzenmedizin ist und wie eng sie doch auch mit menschlichen Ängsten verbunden ist. Deswegen meine Bitte, dass wir hier gemeinsam aktiv bleiben, um das Thema Organspende in der Bevölkerung wachzuhalten, verbunden mit einem Dank an die vielen Ärztinnen und Ärzte, die sich dieser Frage seit Jahren engagiert stellen.

Ich kann mir vorstellen, dass in der besonderen Situation, dass jemand einen ganz nahen Angehörigen verloren hat, das Führen eines entsprechenden Gesprächs nicht nur eine fachliche, sondern auch eine menschliche Herausforderung für jede Ärztin und für jeden Arzt ist. Dafür mein ganz herzliches Dankeschön.

(Beifall)

Meine Damen und Herren, in den letzten Jahren ist in Deutschland viel darüber gestritten worden: Wie ist unser Gesundheitsstandort? Zunächst einmal möchte ich sagen, dass das Gesundheitssystem in der Bundesrepublik Deutschland - davon bin ich überzeugt - das beste, auf jeden Fall eines der besten auf dieser Erde ist.

(Beifall)

Das ist auch der engagierten Arbeit der Menschen, die im Gesundheitswesen tätig sind, insbesondere den Ärztinnen und Ärzten, zu verdanken. Ich finde, die Tatsache, dass jedes Jahr im Sommer Millionen von Menschen, die in Urlaub fahren, eine Versicherung abschließen, damit sie bloß nach Deutschland zurückkommen, wenn sie krank werden, ist das beste Kompliment für unser Gesundheitssystem, das wir uns überhaupt vorstellen können.

(Beifall)

Wenn man so manchen im Fernsehen über unser Gesundheitswesen reden hört, müsste eigentlich genau das Gegenteil gelten: Dann müsste jeder froh sein, wenn es ihn im Ausland erwischt. Das ist die Wahrheit.

Meine Damen und Herren, ich bin auch davon überzeugt: Ein Gesundheitssystem, das dem medizinischen Fortschritt in einer älter werdenden Bevölkerung Rechnung trägt, ist nicht immer mit derselben Summe Geldes zu finanzieren.

(Beifall)

Ich finde, es ist eine ganz spannende Frage: Wie finanzieren wir auf Dauer den medizinischen Fortschritt für alle? Ich bin froh, dass ich in einem Land lebe, in dem über die Parteigrenzen hinweg die Feststellung, dass wir den medizinischen Fortschritt für alle nutzbar machen wollen, unstreitig ist. Ich habe es auf Ärzteversammlungen in Nordrhein-Westfalen oft gesagt: Eine Witwe im Münsterland, die vier oder fünf Kinder erzogen hat, die heute Steuer- und Beitragszahler sind, die vielleicht von einer kleinen Witwenrente leben muss, muss genauso gut versorgt werden, wenn sie krank wird, wie jemand, der in der Wirtschaft Großartiges geleistet hat; denn auch eine Mutter, die vier Kinder erzogen hat, gehört in unserem Land zu den Leistungsträgerinnen.

(Beifall)

Deswegen wollen wir eine gute medizinische Versorgung für alle, unabhängig vom Alter und von der Frage, bei welcher Krankenversicherung man Mitglied ist.

Ich bin fest davon überzeugt: Wenn wir das behalten wollen, müssen wir in den nächsten Jahren die Finanzierung des Gesundheitswesens ein Stück weit von der sozialversicherungspflichtigen Arbeit abkoppeln.

(Beifall)

Meine sehr verehrten Damen und Herren, wir haben in Deutschland 26,4 Millionen sozialversicherungspflichtige Arbeitsplätze. In Deutschland gibt es 74 Millionen Versicherte in den gesetzlichen Krankenkassen.

In der größten deutschen Stadt, in Berlin, ist die Situation so: Wenn Sie die Kinder, die in Ausbildung sind, nicht mitzählen, sind diejenigen, die von staatlichen Transfersystemen - Pension, Rente und Arbeitslosenversicherung - leben, die Mehrheit. Wir können nicht mit 26,4 Millionen Arbeitsplätzen, also ausschließlich hinsichtlich einer einzigen Form der Beschäftigung, das Geld verdienen, das ein prosperierendes Gesundheitswesen, ein wachsendes Gesundheitssystem braucht.

(Beifall)

Deswegen werden wir die Mangelverwaltung nicht überwinden, solange wir ausschließlich an der Finanzierung über das sozialversicherungspflichtige Arbeitsverhältnis festhalten.

(Beifall)

Deshalb bin ich persönlich der Meinung, dass man die Gesundheitsreform, die am 1. April in Kraft getreten ist, nicht kleinreden soll. Sie ist mit der Gesundheitsprämie, die die Krankenkassen erheben können, ein erster Schritt, zusätzliche Kosten im Gesundheitssystem außerhalb der sozialversicherungspflichtigen Arbeit zu finanzieren.

Es liegt jetzt sehr daran, wie wir die Prämie begreifen. Begreifen wir sie als eine Strafprämie, damit die Spirale immer mehr budgetierend nach unten geht, oder begreifen wir sie als eine Gestaltungsprämie, um in Deutschland zusätzliche Akzente im Gesundheitssystem zu setzen? Ich finde, darauf kommt es in den nächsten Wochen und Monaten an.

Wir werden sehen, wie sich dies in der politischen Debatte unseres Landes weiterentwickelt. Wenn diejenigen, die ich in der Politik besonders mag, die Mehrheit behalten, wird die Prämie weiter ausgebaut. Wenn diejenigen, die ich in der Politik nicht so gerne mag, die Mehrheit erhalten, wird der Weg in die Bürgerversicherung gehen. Entscheiden Sie diesen Weg bitte aktiv mit.

Ich wünsche Ihnen einen schönen Ärztetag hier in Münster.

(Beifall)

© Bundesärztekammer 2007