Prof. Dr. Bruno Müller-Oerlinghausen: Verehrte
Frau Bundesministerin! Sehr geehrter Herr Minister Laumann! Sehr geehrter Herr
Präsident, lieber Herr Hoppe! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Meine Damen und Herren!
Für die uns zuteil gewordene hohe Auszeichnung darf ich mich im Namen der heute
von Ihnen so großzügig Geehrten sehr herzlich bei Ihnen allen bedanken. Dieter
Hildebrandt, der deutsche Kabarettist, hat bei einer solchen Gelegenheit einmal
gesagt: Wie soll man sich nach einer Preisverleihung schon fühlen? - Ausgezeichnet.
Das gilt natürlich auch für uns; denn Sie, die Vertreter der
verfassten Ärzteschaft, sprechen damit allen unseren ganz unabhängig
voneinander entstandenen langjährigen Bemühungen um eine verbesserte Qualität,
das heißt optimierte Wirksamkeit und Sicherheit der ärztlichen Tätigkeit -
heute sagt man, glaube ich, in der Sprache der Leistungserbringer und
-verbraucher: des ärztlichen Angebots -, Ihre Anerkennung aus - und das tut
gut, täte jedem gut. Es gibt nämlich nur wenige Menschen, die nicht den Wunsch
haben, von Zeit zu Zeit ihrer vermeintlichen Verdienste versichert zu werden.
Deswegen danken wir Ihnen, Herr Hoppe, ganz besonders für Ihre ehrenden Worte.
Jemand hat einmal gesagt: Eine Laudatio ist eine Rede, die den
Preisträger, sein Leben und Werk erklärt. Sie haben unsere narzisstischen
Persönlichkeitsanteile sehr wirksam gestreichelt, Herr Hoppe. Wir konnten uns
in Ihrer Darstellung - zumindest partiell - selber wiederfinden.
Unser Dank gilt Ihnen allen, meine Damen und Herren,
stellvertretend für die vielen ärztlichen Organisationen, die uns in unserer
Arbeit nicht nur praktisch unterstützt, sondern vor allem immer wieder
motiviert haben; denn jeder von uns kennt doch angesichts der zahlreichen
Widerstände, die sich, wie ich sagen darf, Dynamikern wie uns notwendigerweise
extern, aber auch intern entgegenstellen, dieses Gefühl des Ehrenamtlers: Wozu
mache ich das überhaupt? Warum denke ich nicht einmal an meine Freiheit, an
meine Freizeit, an meine Gesundheit und meine Familie?
Ich weiß nicht, ob Sie den Song von Judith Holofernes "Müssen
nur wollen" kennen, in dem es heißt: Aber wenn ich könnte, wie ich wollte,
würde ich gar nichts wollen; ich weiß aber, dass alle etwas wollen sollen.
Auch für den Motivationsschub, den Sie uns in solchen
Depolarisationsmomenten gegeben haben, danken wir Ihnen. Wir sind uns natürlich
auch bewusst, dass man, wie es Johann Gottfried Seume in seinem "Spaziergang
nach Syrakus" ausdrückte, auf Billigung der Menschen nicht rechnen muss. "Sie
errichten heute Ehrensäulen und brauchen morgen den Ostrazismus für den
nämlichen Mann und für die nämliche Tat."
Ganz besonders haben wir unseren Lebenspartnern dankbar zu
sein, die uns in unseren beruflichen und ehrenamtlichen Obsessionen, die ja
wohl an den Rand von Persönlichkeitsstörungen reichen können,
(Heiterkeit - Beifall)
mit Geduld und Empathie ertragen haben, bis zum heutigen Tag.
Meine Frau sagte jedenfalls vor ein paar Tagen spontan: Den Orden hätten sie eigentlich
mir geben müssen!
(Beifall)
Meine Damen und Herren, Qualitätsmanagement erscheint per se
gut. Da fühlt man sich alleweil auf dem rechten Weg. Aber in einer stillen
Stunde wird auch dem Dynamiker klar, dass dieser eigentlich selbstverständliche
Weg in Richtung einer weiteren Therapieoptimierung - in Zukunft hoffentlich
auch mithilfe einer elektronischen Gesundheitskarte, die den derzeitigen
Bedenken der Ärzteschaft hinsichtlich Sicherheit und Handhabbarkeit Rechnung
trägt, die ich aber im Prinzip, wie Sie, Frau Ministerin, aus unserer diesbezüglichen Kooperation
wissen, für eine unverzichtbare Innovation innerhalb der EU halte und auch für
eine unabdingbare Voraussetzung für eine verbesserte Arzneitherapiesicherheit
in der Zukunft -, dass also unsere so scheinbar selbstverständlichen
Aktivitäten auch ihre immanenten Gefahren beinhalten, zum Beispiel die Gefahr
der zunehmenden Abhängigkeit von standardisierten technischen Abläufen, die uns
von unserer eigentlichen Aufgabe und Bestimmung entfernen lassen, die von der
Liebe zum Patienten, zum realen Patienten definiert ist - Paracelsus hat das
klar ausgesprochen - und die auch ohne eine spirituelle Ebene nicht mehr
verbindlich definierbar erscheint.
Ich darf kurz Viktor von Weizsäcker aus seinem Buch "Arzt und
Kranker" aus dem Jahre 1941 zitieren:
Unzweifelhaft ist eine Generation im Entstehen, welche
einen Grad von Sachlichkeit und Technisierung erträgt, der die Jugend meiner
und älterer Generationen um ihren Glauben an Geist und Liebe gebracht hätte. Der
Gegensatz von Sachlichkeit und Liebe ist kein Widerspruch, aber ich halte ihn
doch für eine immerwährende Gefahr und eine nie besiegte Aufgabe. Ich
persönlich glaube nicht an die Liebe zur Sache, sondern ich glaube an die Liebe
zum Menschen.
Hinzu kommt, meine Damen und Herren, dass in unserer
globalisierten, neokapitalistischen Gesellschaft jede Technisierung und
Standardisierung ein zusätzliches Gefahrenmoment impliziert, nämlich die
Kontamination unserer ärztlichen Tätigkeit und unserer Motivationen mit
sozioökonomischen und mit industriellen Interessen,
(Beifall)
insbesondere den Interessen der Aktionäre der pharmazeutischen
Großindustrie. Sie mögen, meine Damen und Herren, vielleicht unter Bezug auf
das heutige Ende der Eisheiligen sagen, das sei kein echtes Problem mehr, das
sei eine abgestandene paranoide Marotte des Herrn Müller-Oerlinghausen, nachdem
doch allgemein jetzt eine große Sensibilität für die nötige Transparenz potenzieller
Interessenkonflikte entstanden sei.
Aber, meine Damen und Herren, mit unserer gefühlten
Unabhängigkeit machen wir es uns doch, glaube ich, zu einfach. Wir müssen zur
Kenntnis nehmen - auch hier auf einem Deutschen Ärztetag -, dass der Einfluss
von "Big Pharma" weiter zunimmt und zunehmend raffinierter und subtiler und auf
immer mehr gesellschaftlichen Ebenen, insbesondere auf der Patientenebene,
realisiert wird. Nur ein Beispiel aus den USA, weil es auf diesem Ärztetag auch
um die Kinder geht, über das die "New York Times" gerade berichtet hat: Mehr
als eine halbe Million Kinder in den USA erhalten inzwischen atypische
Neuroleptika, meist ohne zugelassene Indikation, zum Beispiel bei Essstörungen.
In fünf Jahren haben die finanziellen Zuwendungen der entsprechenden Hersteller
an Psychiater in Minnesota um das Sechsfache zugenommen. In diesen fünf Jahren
sind die Verordnungen dieser Substanzen an Kinder um das Neunfache gestiegen.
Das geht einher mit dem Versuch, ständig neue, angeblich
behandlungsbedürftige Krankheiten zu erfinden. Klaus Dörner schreibt dazu
sinngemäß: Der Fortschritt in der Medizin erzeugt geradezu eine irrationale
Angst vor jeder Art vor Krankheit, bis wir anfangen, unter unserer Gesundheit
zu leiden. Während wir die echten Gefahren immer mehr in den Griff bekommen,
wandeln sich jenseits einer gewissen Schwelle die Instrumente unserer Befreiung
in Hilfsmittel unserer Erniedrigung.
Ich meine, meine Damen und Herren, wir müssen uns hier als
Ärzteschaft noch offensiver, noch vernehmbarer zur Wehr setzen, auch um unsere
Glaubwürdigkeit an anderen Orten der Auseinandersetzung zu bewahren.
Vor drei Jahren hat bei dieser Gelegenheit eine Preisträgerin
auf den Freiheitsdrang von Paracelsus hingewiesen, der dies so formuliert hat:
Keines anderen Knecht sein, der eigener Herr sein kann.
(Beifall)
Deshalb meine ich, dass sich weder Universitätsvertreter noch
Funktionsträger der verfassten Ärzteschaft an repräsentativer Stelle in engem
Schulterschluss mit Vertretern oder Ghostwritern von "Big Pharma" darstellen
sollten,
(Beifall)
weder in Veranstaltungen noch in Publikationen; denn das ist
das falsche Signal.
Peter Sloterdijk sagte in seinem Interview in der
"Spiegel"-Ausgabe zum Gedenken an Hegel vor Kurzem mit Bezug auf die
Attac-Kämpfer:
Sie begreifen mehr oder weniger explizit, dass nicht der
Zweck die Mittel heiligt, sondern dass die Mittel die Wahrheit über den Zweck
sagen.
Ich meine, in diesem Sinne, meine Damen und Herren, sollten
wir den chronischen Anbiederungen von "Big Pharma", wir säßen doch angeblich in
einem Boot - nein, wir sitzen nicht in einem Boot -, die Stirn bieten. Ich
wünschte mir in diesem Kontext auch noch mehr Anstrengungen, um zu einer
wirklich pharmaunabhängigen - heute würde man sagen: gecleanten - ärztlichen
Fortbildung zu kommen, die nämlich die Voraussetzung ist für ein Qualitätsmanagement
in der Praxis und im Krankenhaus, das wirklich nur einem dient: dem Wohl der
uns vertrauenden Patienten.
Nochmals, meine Damen und Herren, Dank an Sie alle. Nietzsche
schrieb einmal: Die einen werden durch Lob schamhaft, die anderen frech. Ich
hoffe, ich war nicht zu frech, sonst bitte ich um Ihre Nachsicht. Wir, die vier
Geehrten, fühlen uns eher leicht beschämt ob der unerwarteten großen Ehrungen.
Vielen Dank.
(Beifall)
(Musikalisches Intermezzo: Bona Sera
(Louis Prima);
Let's Get Loud (Gloria Estefan))
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