Dr. Mayer, Bayern: Herr Präsident! Meine Damen
und Herren! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Wir haben wahrscheinlich nicht nur
die dienstälteste Gesundheitsministerin, sondern auch die raffinierteste. Sie,
die im politischen Alltag in der Regel mit Vollgas fährt, ist heute eindeutig
auf die Bremse getreten. Wenn mich meine Frau nicht gebremst hätte, hätte ich
lauthals gerufen: Zur Sache, Schätzchen!
Herr Präsident Hoppe, ich bewundere Ihren Mut, Frau Ministerin
Schmidt zur Eröffnung des Deutschen Ärztetages eingeladen zu haben, tragen Sie
doch als Gastgeber die Verantwortung für ihre Sicherheit, zumal bei dieser
Eröffnungsveranstaltung eine unwahrscheinlich kompakte Zahl von Geiselnehmern
zugegen waren. In Wahrigs "Deutschem Wörterbuch" wird die Geisel definiert als
"ein Gefangener, der als Bürge für bestimmte Forderungen mit seinem Leben
einstehen muss".
Gemeinhin verstehen sich Ärzte als Erhalter, als Beschützer
des Lebens. Definiert hier Frau Schmidt anders? Definiert sie neu? Meine liebe
Kolleginnen und Kollegen, Ärzte als Geiselnehmer - dieser Vorwurf ist
ungeheuerlich. Entweder ist Frau Schmidt der deutschen Sprache nicht mächtig,
oder sie ist ungezogen. Welche Verbalinjurien dürfen sich Minister in ihrem
Umgang mit den Ärzten noch erlauben, ehe ihnen die verfasste deutsche
Ärzteschaft die Türe weist?
Meine Damen und Herren, ich bin lange genug in diesem Beruf
gewesen und lange genug in der Berufspolitik, um mich an den legendären Hans
Muschallik erinnern zu können, der auf dem Wege über eine Runde Skat oder einen
Schoppen Wein Zugang zu den Ministerien bzw. Ministern gefunden hat. Dieser Weg
ist offenbar endgültig vorbei. Jetzt sitzen wir in der Kostenfalle. Das nächste
Debakel, das uns ins Haus steht, ist die Ethikfalle.
Vielleicht schätzen Sie die "Deutsche Medizinische
Wochenschrift" als eine medizinische Zeitschrift, die nicht nur ausgezeichnete
Artikel für die Fortbildung zur Verfügung stellt, sondern auch über die
Grundlagenforschung berichtet. Auf einer der letzten Seiten unter "Personalia"
werden mehr oder weniger bekannte Mediziner interviewt. In einer der letzten
Ausgaben wurde ein 40-jähriger, im besten Alter stehender Wissenschaftler, der
gegenwärtig als Consulting-Professor in London tätig ist, interviewt. Ich
zitiere:
Wie beurteilen Sie das deutsche Medizinsystem im Allgemeinen
und im Vergleich zu anderen Systemen?
Antwort:
Im deutschen Medizinsystem geht es den Patienten gut, den
Ärzten geht es schlecht. Im englischen ist es umgekehrt: Den Patienten geht es
schlecht, den Ärzten gut.
Ich denke, dass Deutschland durch den Ärztestreik nicht
wirklich gelernt hat, worum es eigentlich geht. In unserer Abteilung in
Freiburg sind in den letzten zehn Jahren sieben Fachärzte ausgebildet worden.
Heute arbeiten nur noch zwei von den sieben in Deutschland.
Meine lieben Kolleginnen und Kollegen, nach dem Exodus der
Massen erfolgt ein Exodus der Effizienz, der Elite. Dem ist nichts
hinzuzufügen.
Vielen Dank.
(Beifall)
Präsident Prof. Dr. Dr. h. c. Hoppe: Schönen
Dank, Herr Mayer. - Der nächste Redner ist Herr Dr. Wesiack aus Hamburg.
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