Prof. Dr. Lilie, Referent: Herr Präsident! Herr
Vorsitzender! Sehr verehrter, lieber Herr Windhorst! Meine sehr verehrten
Damen! Meine sehr geehrten Herren! Der Präsident der Bundesärztekammer hat
gestern in seiner Eröffnungsrede ein Zitat meines Vortrags praktisch
vorweggenommen. Was kein Wunder ist: Es stammt aus der vorletzten Ausgabe des
"Deutschen Ärzteblatts". Dort hieß es, dass der Befund so einfach wie
erschreckend sei: Jeden Tag sterben in Deutschland drei Menschen an akutem
"Organspende-Versagen". Daher halte ich es für besonders wichtig und glücklich,
dass Sie dieses Thema in Münster auf die Tagesordnung genommen haben und
debattieren wollen, wie die Zukunft der Organspende in Deutschland aussehen
soll.
Wir haben mit dem Transplantationsgesetz heute eine 25-jährige
Debatte und ein umfangreiches Gesetzgebungsverfahren hinter uns. Zuvor hatte die
Arbeitsgemeinschaft der Transplantationszentren schon 1987 die Notwendigkeit
gesehen, für die Transplantationsmedizin einen normativen Rahmen zu schaffen.
Es gab damals einen freiwilligen Kodex des ärztlichen Berufsrechts, in dem die
medizinischen, ethischen und juristischen Prinzipien für die damals bekannten
Formen der Organtransplantation festgeschrieben sind.
Es war ein glücklicher Zufall, dass der große Chirurg Rudolf
Pichlmayr gemeinsam mit seinem juristischen Freund Hans-Ludwig Schreiber der
Ärzteschaft Kriterien an die Hand gegeben hat, damit Prinzipien für die
Organtransplantation auch ohne Gesetz geregelt worden sind. So ist damals die
erweiterte Zustimmungslösung auf berufsrechtlicher Ebene vereinbart worden.
Gleichwohl blieb die Ärzteschaft nicht ruhig. Die Forderung
nach einer gesetzlichen Regelung wurde immer lauter und immer intensiver,
sodass in einer Reihe von Entwürfen ein Gesetzgebungsverfahren für das
Transplantationsgesetz in Gang kam. Am 1. Dezember 1997 ist nach einer sehr
schwierigen und sehr komplizierten Debatte das Transplantationsgesetz in Kraft
getreten.
In der "Zeit" der vergangenen Woche stand, das
Transplantationsgesetz habe "mehr Rechtssicherheit, aber nicht mehr Organe" für
die wartenden Patienten geschaffen. Ich möchte diese Aussage etwas präzisieren:
Trotz aller heute noch offenen Fragen haben wir vielleicht genug
Rechtssicherheit, aber nicht genug Organe. Trotz der langen Debatte und der
fehlenden spezialgesetzlichen Regelung sind wir zu einem Rechtszustand
gekommen, welcher der Transplantationsmedizin den notwendigen Rahmen gegeben
hat.
Gleichwohl stehen auf den Wartelisten 12 000 Patienten.
Es ist unsere gemeinsame Aufgabe, deren Leben zu retten und ihre Lebensqualität
zu verbessern.
Ziel unserer heutigen Diskussion könnte es deshalb sein, einen
Konsens darüber zu erzielen, ob der Gesetzgeber einschreiten muss oder soll, um
Patienten auf den Wartelisten effektiv zu helfen, oder ob andere Lösungen
erfolgversprechender sind. Ich möchte am Anfang meines Vortrags gleich eines
betonen: § 11 Abs. 1 des Transplantationsgesetzes lautet:
Die Entnahme von vermittlungspflichtigen Organen einschließlich
der Vorbereitung von Entnahme, Vermittlung und Übertragung ist
gemeinschaftliche Aufgabe der Transplantationszentren und der anderen
Krankenhäuser in regionaler Zusammenarbeit.
Dieser Satz wird bislang in der politischen Debatte viel zu
wenig berücksichtigt. Diese Gemeinschaftsaufgabe Organtransplantation soll dazu
dienen, alle Kräfte zu bündeln, um den Segen für die Patienten zu erzielen. Wir
sollten verhindern, singulären Interessen nachzugeben.
Trotz aller Debatten ist die Zahl der Organspenden in den
letzten Jahren kontinuierlich gestiegen. Das sollten wir wissen. Gleichwohl
sind die Spannen immer noch erheblich groß. Wenn Sie sich die Zahl der
wartenden Patienten für eine Nieren- oder Herztransplantation anschauen, wissen
Sie, warum wir heute über dieses Thema reden.
In einer solchen Debatte müssen wir uns die Eckpunkte des
deutschen Transplantationsrechts vor Augen führen. Ich möchte in einem ersten
Hauptteil meines Vortrags auf diese Eckpunkte eingehen.
An der Spitze muss das Prinzip der Chancengleichheit aller
Patienten stehen. Heute regelt § 12 Abs. 3 Satz 2 des Transplantationsgesetzes,
dass die Wartelisten der Transplantationszentren als eine einheitliche
Warteliste zu behandeln sind. Auf der Grundlage von § 12 des
Transplantationsgesetzes wird die Warteliste von Eurotransplant als
einheitliche Warteliste je Organ geführt. Auf diese Art und Weise sind die
Ungleichbehandlungen, die in Deutschland vor Inkrafttreten des
Transplantationsgesetzes bestanden, ausgeräumt worden.
Eine weitere und meines Erachtens unantastbare Säule der
deutschen Transplantationsmedizin ist die Hirntodfeststellung als Voraussetzung
der postmortalen Organspende. Die sichere Feststellung des endgültigen Ausfalls
der gesamten Hirnfunktion ist und bleibt Grundvoraussetzung.
Der Wissenschaftliche Beirat der Bundesärztekammer hat bereits
im November 1993 darauf hingewiesen, dass Missverständnisse beim Hirntod heute
vorrangig darauf beruhen, dass Nichtmediziner und Kritiker diesem Todesbegriff
gegenüber deshalb so skeptisch sind, weil der eindeutige medizinische Sachverhalt
bislang nicht in ausreichendem Maße verständlich vermittelt wurde. Der
Wissenschaftliche Beirat der Bundesärztekammer weist zutreffend darauf hin,
dass nach der Feststellung des vollständigen und endgültigen Ausfalls der gesamten
Hirnfunktionen weitere Überlegungen zum Lebensschutz nicht mehr relevant werden
können. Gleichwohl sollten wir alle gemeinsam darauf achten, dass bei diesem
Phänomen sprachliche Klarheit herrschen muss.
Deshalb kann durch die Verwendung der Begriffe "Hirntod" oder
"klinischer Tod" oft ein falscher Eindruck entstehen. Richtig ist es daher, von
einem Tod nach Herzstillstand oder dem Tod durch endgültigen Ausfall der
gesamten Hirnfunktion zu sprechen.
Auch wenn es für die Angehörigen immer noch sehr schwer ist,
den endgültigen Ausfall der gesamten Hirnfunktion als Individualtod zu
verstehen, so kann doch nicht nachdrücklich genug darauf hingewiesen werden,
dass die diagnostischen Kriterien des Hirntods auf Untersuchungsmethoden
beruhen, an deren Zuverlässigkeit und Sicherheit auch mit den Kritikern nach
wie vor keine Zweifel bestehen. In der Regel wird es heute so sein, dass die
Todesfeststellung, die auf dem Nachweis des endgültigen Ausfalls aller
Gehirnfunktionen beruht, ihre Bedeutung nur unter intensivmedizinischen
Behandlungsbedingungen entfalten wird.
Der Versuch, die Organspendezahlen dadurch zu erhöhen, dass
man auf sogenannte non-heart-beating-donars zurückgreift, verbietet sich
deshalb nach den Hirntodrichtlinien der Bundesärztekammer. Sie alle wissen,
dass jede erfolgreiche Reanimation belegt, dass der einfache Herzstillstand
kein zuverlässiges sicheres Todeszeichen sein kann. Die Feststellung des
Hirntods muss deshalb Voraussetzung für jede Organspende bleiben.
Der dritte Punkt, der von ganz zentraler Bedeutung ist: Wir
müssen alles dafür tun, dass Freiwilligkeit und Unentgeltlichkeit eine weitere
wichtige Säule der deutschen Transplantationsmedizin bleiben. Alle Modelle, die
anderes propagieren, widersprechen dem grundsätzlichen Prinzip der
Chancengleichheit beim Zugang zu ärztlichen Behandlungen. Das bedeutet, dass
die Entscheidungsbefugnis oder ihre Übertragung auf andere Personen immer frei
von Druck oder Zwang bleiben muss. Jeder andere Weg kann für die
Organtransplantation niemals dienlich sein.
Wir sollten auch sehen, dass anders als bei herkömmlichen
Heileingriffen die freiwillige Erklärung zur Organspende auf der Basis des
Organspendeausweises nicht notwendigerweise eine ärztliche Aufklärung
voraussetzt. Eine Ausnahme gilt hier natürlich bei der Einwilligung in eine
Lebendspende gemäß § 8 des Transplantationsgesetzes.
Aus diesem Prinzip folgert quasi automatisch die Tatsache,
dass es immer bei einem strikten Organhandelsverbot in Deutschland bleiben
muss. Das Handelsverbot nach § 17 Abs. 1 Satz 1 des Transplantationsgesetzes
gehört zum Kernbereich der Vorschriften des Transplantationsgesetzes. Das
Streben nach Gewinn darf nicht mit einer Organspende verbunden werden. Wenn
teilweise andere Ansichten vertreten werden, ist dem nicht zuzustimmen. Es ist
nicht mit der Menschenwürde vereinbar, wenn jemand Körperteile verkauft und
sich damit zum Objekt erniedrigt. Der menschliche Körper ist und bleibt eine
Res extra commercia. Wenn man beispielsweise darüber diskutiert, dass man Haare
verkaufen kann, oder ähnliche Argumente bringt, ist das eine andere Ebene, die
mit der Transplantationsmedizin in keiner Weise zu vergleichen ist. Es bleibt
dabei: Es gibt keine Gegenleistung für die postmortale und sonstige Organspende,
weil die Menschenwürde, die über den Tod hinaus Wirkung entfaltet, sonst verletzt
würde.
Deswegen muss man mit Nachdruck begrüßen, dass im
gegenwärtigen Verfahren zur Änderung des Transplantationsgesetzes für das
Gewebegesetz das Handelsverbot für menschliche Zellen und Gewebe präzisiert
werden soll. Ich meine, dass die Trennung zwischen Geweben, die ohne weitere
industrielle Verarbeitung zur Transplantation bereitgestellt werden sollen, und
solchen Geweben, die eine ausführliche industrielle Bearbeitung benötigen,
bevor sie Patienten zur Verfügung gestellt werden, im Gewebegesetz verankert
werden soll. Es ist schlicht und einfach nicht einzusehen und Patienten auch
nicht zu erklären, warum die Spende eines Herzens sicherlich frei und außerhalb
jedes Handels sein soll, dass man aber mit Herzklappen eventuell Geschäfte
machen könnte.
Ich meine, es ist ein vorrangiges Prinzip, dafür einzutreten,
dass diese Gewebeteile außerhalb des Kommerzes bleiben.
Unabhängig von den Fragen der Kommerzialisierung der
Organspende ist bei der Lebendspende ausführlich darüber zu diskutieren, wie
die versicherungsrechtliche Absicherung des Lebendspenders aussehen muss. Die
Enquete-Kommission des Deutschen Bundestages und die Bundesärztekammer haben
sich gemeinsam nachhaltig für eine bessere finanzielle Absicherung der Lebendspender
ausgesprochen. Es geht darum, dass noch nicht erkennbare Spätschäden ein
erhebliches finanzielles Risiko für den Spender darstellen. Man darf ihn mit
diesen Konsequenzen nicht allein lassen.
Andere Modelle zur Förderung der Organspende durch indirekte
Vorteile bleiben meines Erachtens problematisch. So hat der Nationale Ethikrat
in seiner Stellungnahme zur Organtransplantation vorgeschlagen, dass Menschen,
die sich zu Lebzeiten als Spender erklären, einen Bonus auf der Warteliste
erhalten sollen, wenn sie selber ein Organ benötigen. Gemäß § 10 Abs. 2 Nr. 2
des Transplantationsgesetzes entscheiden insbesondere Notwendigkeit und Erfolgsaussicht
und damit nach der Gesetzeslage ausschließlich medizinische Kriterien über die
Aufnahme in die Warteliste. Deshalb habe ich große Bedenken, über diese
medizinischen Kriterien hinauszugehen. Mit dem gegenwärtigen Gesetz geht das
meines Erachtens nicht.
Ein weiterer zentraler Punkt ist das Verhältnis von
postmortaler Organspende zur Lebendspende. Das Transplantationsgesetz geht vom
Grundprinzip der Subsidiarität der Lebendspende aus. Die Lebendspende soll
immer hinter einer möglichen postmortalen Organspende zurücktreten. Begründet
wird das mit dem Prinzip des Nichtschadens, dass es eben doch ein nicht
unerhebliches ethisches Problem ist, wenn ein gesunder Mensch durch den
Eingriff der Lebendspende zu einem potenziell Kranken gemacht werden kann, weil
es eben nicht mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit auszuschließen
ist, dass es zu Spätfolgen beim Spender kommt. Allein die von mir angesprochene
spätere Ursachenfeststellung für die gesetzliche Unfallversicherung bedeutet
eine nicht zu vernachlässigende Belastung für die Patienten.
An dieser Stelle halte ich es für gefährlich, dass man sich,
wie es einige tun, darauf zurückzieht, dass man sagt: Die Autonomie des
Organspenders darf nicht angetastet werden. Wer freiwillig einer Lebendspende
zustimmt, muss dies ungehindert tun können. Es ist die Frage, ob der
Gesetzgeber hier nicht zu Recht einen gewissen zu rechtfertigenden staatlichen
Paternalismus hat walten lassen.
Schließlich möchte ich darauf hinweisen, dass es besonders
wichtig ist, dass die Koordinierung der Organspende von der Vermittlung der
Organe getrennt wird. Das Transplantationsgesetz sieht diese Trennung vor,
indem wir für die Koordinierung und Vermittlung zwei unterschiedliche
Organisationen in Deutschland bzw. Europa eingesetzt haben. Durch die Trennung
der organisatorischen Abläufe ist so ein Höchstmaß an Neutralität und
Transparenz im Verfahren der Organspende gesichert, damit auch bei
gegenläufigen Interessen diese nicht miteinander verquickt werden.
Die als Koordinierungsstelle vertraglich eingebundene Deutsche
Stiftung Organtransplantation hat durch ihren Einsatz in den letzten Jahren
geholfen, die Zahlen bei der Organspende erheblich zu steigern. Die bei der
Bundesärztekammer eingerichtete Überwachungskommission, die auf der Grundlage
der vertraglichen Regelungen der Selbstverwaltungspartner eingerichtet wurde,
überwacht die Arbeit der Koordinierungsstelle. Die Arbeit wird sorgfältig begleitet,
genauso wie wir eng und intensiv bei der Organvermittlung mit der in Leiden in
Holland ansässigen Stiftung Eurotransplant zusammenarbeiten.
Soweit aus juristischer Sicht Einwände gegen die
Zusammenarbeit mit einer nicht im Hoheitsbereich der Bundesrepublik Deutschland
angesiedelten Einrichtung laut werden, sollten wir in Deutschland von der
tatsächlichen Seite her sehr vorsichtig sein. Noch sind wir ein
Organimportland. Durch die Arbeit von Eurotransplant wird es möglich, dass eine
große Zahl von Patienten mit Organen versorgt werden, die aus dem Bereich
außerhalb des deutschen Organspendebereichs kommen. Die Bundesärztekammer
arbeitet, wie schon gesagt, eng mit beiden Organisationen zusammen.
Außerordentlich bewährt hat sich die in § 16 des
Transplantationsgesetzes geregelte Richtlinienkompetenz der Bundesärztekammer.
Für alle wichtigen Kriterien der Organspende und der Organtransplantation sind
diese Richtlinien in der Ständigen Kommission "Organtransplantation" beraten,
auch im Vorstand der Bundesärztekammer beraten und dann entsprechend den
Vorschriften verabschiedet und im Bundesärzteblatt veröffentlicht worden. Damit
erfolgt die Standardbildung in der Transplantationsmedizin als ärztliches
Berufsrecht durch ein beeindruckendes Engagement des ärztlichen Ehrenamts.
Soweit gegen diese Art der Regelung Bedenken laut werden, sollte man freilich
sehen, dass die außerordentlich hohe Sachkunde, die ausgeprägte Nähe zu den
Einzelproblemen und die notwendige Flexibilität es möglich machen, dass
jederzeit der Stand der Erkenntnisse der medizinischen Wissenschaft in der Praxis
zum Wohl der Patienten unverzüglich umgesetzt wird.
Zu Recht hat deshalb meines Erachtens der Vorstand der
Bundesärztekammer im Zusammenhang mit dem Gesetzgebungsverfahren zum
Gewebegesetz darauf hingewiesen, dass es nicht Aufgabe des ärztlichen Berufsrechts
sein kann, Richtlinien für Spende und Allokation für solche Gewebe zu
erstellen, die eine substanzielle industrielle Verarbeitung erfahren sollen.
Die weitere Richtlinientätigkeit der Bundesärztekammer bei Geweben ist deshalb
zu Recht davon abhängig zu machen, dass diese Gewebe nicht ausschließlich als
Arzneimittel behandelt werden. Wir brauchen eine Loslösung von
arzneimittelrechtlichen Ansätzen.
Welche Diskussionsfelder für die Zukunft gibt es? Sind die
Mängel des deutschen Transplantationswesens zu heilen, indem man den Ausweg
über einen Strukturwechsel wählt und das bisherige Modell der erweiterten
Zustimmungslösung verlässt? Ich weiß aus vielen Debatten, dass das der Punkt
ist, der im Zentrum Ihres Interesses steht. Immerhin hat der Nationale Ethikrat
eine bislang eher subkutane Debatte spektakulär an die Öffentlichkeit gebracht.
Neu ist der Widerstreit zwischen Widerspruchs- und Zustimmungslösung nicht.
Schon 1975, als das Gesetzgebungsverfahren begonnen hatte und der
Arbeitsentwurf einer Bund-Länder-Arbeitsgruppe vorgelegt wurde, hat man die
Widerspruchslösung favorisiert. Auch der Entwurf der Justizministerkonferenz
hat diesen Weg gesehen und vorgeschlagen, in dem damals noch im Einsatz
befindlichen grauen Papier des Personalausweises einen entsprechenden
Widerspruch zu verankern.
Letztendlich hat sich der Bundesrat mit seinem Entwurf gegen
die Widerspruchslösung ausgesprochen und die heute Gesetz gewordene erweiterte
Zustimmungslösung vertreten. Diese hat sich im Gesetzgebungsverfahren durchgesetzt.
Was ist nun im Widerstreit zwischen Zustimmungslösung und
Widerspruchslösung zu sagen? Insgesamt muss man wohl dem Nationalen Ethikrat
ohne jede Einschränkung folgen, wenn es um die aufgestellte Diagnose bei der
Organtransplantation geht. Auf der Basis der bekannten forsa-Umfrage aus dem Jahre
2003 sind immerhin fast 70 Prozent der Bevölkerung positiv zur Organspende
eingestellt, nur wird diese Spendebereitschaft nicht ausgeschöpft. Der Nationale
Ethikrat hat dieses Problem völlig zutreffend analysiert und gemeint, dass
hierfür in erster Linie organisatorische Defizite verantwortlich sind. Es
bestehen Engpässe vor allen Dingen bei der Erkennung und Meldung von
potenziellen Spendern in den Krankenhäusern. Die zugegebenermaßen sehr
versteckte Regelung in § 11 Abs. 4 Satz 2 des Transplantationsgesetzes hat für
die Organspende praktisch keinerlei Wirkung entfaltet. Dort heißt es:
Die Krankenhäuser sind verpflichtet, den endgültigen,
nicht behebbaren Ausfall der Gesamtfunktion des Großhirns, des Kleinhirns und
des Hirnstammes von Patienten, die nach ärztlicher Beurteilung als Spender
vermittlungspflichtiger Organe in Betracht kommen, dem zuständigen
Transplantationszentrum mitzuteilen, das die Koordinierungsstelle unterrichtet.
Das zuständige Transplantationszentrum klärt in Zusammenarbeit mit der
Koordinierungsstelle, ob die Voraussetzungen für eine Organentnahme vorliegen.
Meine Damen und Herren, der damalige Gesetzgeber hat versucht,
die organisatorischen Voraussetzungen für den optimalen Ablauf bei der Organspende
zu schaffen. Das Problem ist jedoch, dass 55 Prozent aller Krankenhäuser mit Intensivstation
diese Meldepflicht missachten, diese Regelung nicht einsetzen oder sie
vielleicht gar nicht kennen. Erkenntnisse über die Ursachen hierfür liegen
nicht vor.
Vielfach wird behauptet, das Problem entstehe dadurch, dass
die unterlassene Meldung von Organspendern im Transplantationsgesetz nicht
sanktioniert ist. An welche Sanktion kann man denken? Wollen Sie
Verwaltungsleiter von Krankenhäusern bestrafen, wenn keine Organspender
gemeldet werden? Alle solche Regelungen sind praktisch nicht umsetzbar.
Interessant ist vielleicht der Vorschlag, der gelegentlich
gemacht wurde, solchen Krankenhäusern, die hirntote Patienten für die
Organspende nicht melden, etwa die Weiterbildungsermächtigung zu entziehen,
weil eine angemessene Weiterbildung dort nicht stattfinden kann.
Oft wird vorgetragen - auch darauf geht der Nationale Ethikrat
in seiner Stellungnahme ein -, dass die festgesetzten Erstattungen für die
Krankenhäuser nicht ausreichen, um die Kosten zu decken. Da ist jedoch zu
bedenken, dass die Selbstverwaltungspartner gemeinsam mit der DSO in einem
regelmäßigen Rhythmus die den Krankenhäusern zu erstattenden Pauschalen für die
Organspende aushandeln. Gegenwärtig gibt es für eine Multiorganentnahme
3 370 Euro als Erstattungssumme. Dass die Zurückhaltung bei der
Organspende am Geld liegt, scheint wenig überzeugend. Eher liegt eine Ursache
wohl darin, dass es für Ärzte und Pflegepersonal auf Intensivstationen sehr
schwierig ist, sich für die Organspende zu motivieren, da die mögliche
Organentnahme die Behandlung anderer schwer kranker Patienten auf den
Intensivstationen beeinträchtigen kann. Ich glaube, der Nationale Ethikrat hat
das in gleicher Weise gesehen.
Ein weiteres strukturelles Problem scheint darin zu bestehen,
dass es vielleicht doch schwerfällt, sich an einer Organspende im eigenen
Krankenhaus zu beteiligen, ohne dass man eine unmittelbare und wirksame
Auswirkung für die eigenen Patienten gesehen hat.
Meine Damen und Herren, ich meine, der Nationale Ethikrat hat
die zutreffende Diagnose gestellt. Bloß meine ich, dass die gewählte Therapie
keine wirkliche Heilung für unsere Patienten zu leisten vermag, weil wir das
eigentliche Symptom nicht behandeln. Die Debatte im Gesetzgebungsverfahren hat
nämlich gezeigt, dass schlicht und einfach zu befürchten ist, dass auf der
Basis einer Widerspruchslösung viel zu viele Patienten rein vorsorglich einen
Widerspruch dokumentieren könnten. Unsere Kollegen aus Holland berichten beispielsweise
davon, dass sie im holländischen Organspenderegister gegenwärtig eine rapide
ansteigende Zahl der Eintragung von Widersprüchen haben.
Es geht vielleicht auch um die Angst vieler Menschen und ihre
Scheu vor der Auseinandersetzung mit dem eigenen Tod. Es wurde bereits in den
70er-Jahren als ein ganz wichtiges Argument vermutet, dass ein vorsorglich eingetragener
Widerspruch die Organspende grundsätzlich blockiert.
Bedenken habe ich bei den Ausführungen des Nationalen
Ethikrats, wenn es dort heißt, dass man die Zahl der Organspenden durch eine
Widerspruchslösung auch deshalb steigern könne, weil viele nach der allgemeinen
Lebenserfahrung auf die Einlegung eines ausdrücklichen Widerspruchs verzichten
und man auch wohl den Aufwand scheut, einen Widerspruch zu dokumentieren.
Der Nationale Ethikrat, der in seinem Stufenmodell die
Angehörigen einbezieht, gibt uns dasselbe Problem, das wir heute mit der
erweiterten Zustimmungslösung haben, praktisch wieder zurück. Das Defizit
bleibt und liegt in der Kooperation der Krankenhäuser mit der
Koordinierungsstelle bei der Meldung potenzieller Organspender. Es ist deshalb
meines Erachtens schwierig, das Schweigen von Mitmenschen als Zustimmung zur
Organspende umzuinterpretieren. Das rechtliche Problem liegt darin - deswegen
hinkt der Vergleich mit unserem österreichischen Nachbarn -, dass in
Deutschland das Rechtsprinzip gilt: Schweigen ist keine Zustimmung: qui tacet
consentire videtur. Schweigen ist eben nur ein Schein, keine wirkliche
Zustimmung. Es geht um den Schutz des Persönlichkeitsrechts über den Tod
hinaus. Man kann Schweigen eben nicht in eine Zustimmung uminterpretieren.
Wenn der Nationale Ethikrat davon ausgeht, dass Möglichkeiten
zur Information einer breiten Bevölkerungsschicht geschaffen werden müssen,
dass die Bevölkerung aufgefordert wird, von der Möglichkeit, sich zu erklären,
Gebrauch zu machen, scheitert das für mich
an praktisch-technischen Voraussetzungen. Denken Sie bitte bei der Diskussion
an alle Ihre Patienten - das ist mir wichtig -, die Sie in der täglichen
Behandlung sehen. Sie klagen oft, schon wenn es um die Aufklärung zur
normalen Behandlung geht, dass es Ihnen nicht möglich ist, die erforderlichen
Voraussetzungen für die Entscheidung beim Patienten zu schaffen. Wie wollen Sie
das bei der noch viel komplexeren Frage der Organspende schaffen?
Die Dokumentation der Zustimmung in der geplanten
Gesundheitskarte ist auch höchst problematisch, da das im Bereich des
Notfalldatensatzes nicht geht. Eine solche Information kann nicht mit dem Notfalldatensatz
verknüpft werden.
Schließlich sehe ich eine weitere Schwäche darin, dass der
Staat verpflichtet werden soll - so der Nationale Ethikrat -, die Bürger zu der
erforderlichen persönlichen Erklärung aufzufordern. Am Ende bedeutet das, meine
Damen und Herren, dass wir bei jeder Generation der 14-Jährigen eine umfassende
Informationskampagne starten müssen, jedes Jahr aufs Neue, wenn eine weitere
Generation in das entscheidungsfähige Alter kommt. Ich würde dieses Geld lieber
bei der Koordinierung in Personal investieren.
Aus der praktischen Arbeit der Organspende, insbesondere in
Spanien, gibt es wichtige Informationen. In Spanien hat man zu einer
Widerspruchslösung gegriffen. Insider erklären Ihnen ganz schnell, dass man in
Spanien von der Widerspruchslösung praktisch keinen Gebrauch macht. In Spanien
existiert die Organspende deswegen so hervorragend, weil man in Personal
investiert hat. In hohen Verantwortungsebenen sind Ärztinnen und Ärzte von der
spanischen Transplantationsorganisation eingesetzt worden und arbeiten intensiv
an der Organspende. Sie haben so die Situation verbessert.
Diese Möglichkeiten haben wir in Deutschland auch unter der
Zustimmungslösung. Vizepräsident Crusius freut sich über die Tatsache, dass in
Mecklenburg-Vorpommern auf der Basis der Widerspruchslösung fast dasselbe
Ergebnis wie in Spanien erzielt wird. Was hat Mecklenburg-Vorpommern mit
Spanien gemeinsam? Nicht nur die schönen Strände, sondern den hohen und
intensiven Personaleinsatz, der dazu führt, dass die Organspende auf ein hohes
Niveau gelangt.
Völlig unabhängig davon, ob eine Widerspruchslösung oder eine
Zustimmungslösung gewählt wird, sehe ich die Gefahr einer großen Debatte in
Deutschland. Ich fürchte eine außerordentlich große Unruhe und einen
Vertrauensschwund hinsichtlich der Organtransplantation, wenn wir nach nur zehn
Jahren eine neue Grundsatzdebatte anschieben. Meine Damen und Herren, denken
Sie daran: Wir kommen in eine Debatte, deren Risiken wir alle nicht beherrschen
können. Die Folgen sind unabsehbar. Ich glaube, es ist besser, das Engagement
der Krankenhäuser zu verstärken. 55 Prozent aller Krankenhäuser können noch in
die Organspende eingebunden werden.
Lassen Sie mich in der mir verbleibenden Redezeit kurz auf
weitere Problem- und Diskussionsfelder der Zukunft eingehen.
Wir müssen uns überlegen, ob wir bei der Cross-over-Spender
die restriktive Regelung in § 8 des Transplantationsgesetzes zur Lebendspende
auflockern können. Nach der Entscheidung des Bundessozialgerichts haben wir auf
diesem Feld einigermaßen Ruhe bekommen.
Diejenigen, die mit der Lebendspende arbeiten, leiden unter
dem von mir eingangs dargestellten Grundsatzprinzip der Subsidiarität der
Lebendspende. Der Gedanke der Subsidiarität ist nachdrücklich zu unterstützen.
Die Art und Weise, wie das Transplantationsgesetz dies regelt, ist aber
verfehlt. Das Kriterium für die Subsidiarität soll sein, ob im Zeitpunkt der
Organtransplantation bei einer Lebendspende das Organ eines Verstorbenen zur
Verfügung steht. Dies ist - das hat Schreiber in einer Reihe von Publikationen
zutreffend ausgeführt - ein Irrweg.
Soll der Spenderkreis bei der Lebendspende verändert werden?
Nicht nur die Enquete-Kommission, sondern auch andere haben darauf hingewiesen,
dass bereits in Familienbeziehungen der Druck bei der Lebendspende nicht unproblematisch
ist. Kurz zusammengefasst möchte ich sagen, dass ich nach der Entscheidung des
Bundesverfassungsgerichts, die die bisherige gesetzliche Regelung für zulässig
erklärt hat, wenig Optimismus habe.
Wir sollten gelegentlich darüber nachdenken, ob wir auch bei
Verstorbenen die Möglichkeit zulassen, eine gerichtete Organspende vorzunehmen.
Sie verstößt partiell gegen Grundprinzipien bei der Verteilung von Organen.
Aber das wäre vielleicht ein kleiner Weg, die Möglichkeiten der Spende zu
erweitern.
In der täglichen Praxis haben wir sehr oft das Problem, wie
sich die Regeln des allgemeinen Notstands des § 34 zur abschließenden Regelung
des Transplantationsgesetzes verhalten. Das Beispiel ist der unbekannte
Hirntote, der keine Angehörigen hat, von dem wir nichts wissen. Wäre er ein
Organspender? Nach den bisherigen Regelungen des Transplantationsgesetzes geht
das nicht.
Meine Damen und Herren, ich komme zu einem kurzen Fazit. In
der Vergangenheit hat sich gezeigt, dass die Partner der Selbstverwaltung trotz
anspruchsvoller und komplexer Fragestellungen stets in der Lage waren, eine angemessene
Antwort auf neu entstandene Probleme in der Transplantationsmedizin zu
entwickeln. Die außerordentlich hohe Sachnähe, die breit gestreute ärztliche
Kompetenz und das hohe Engagement für die Interessen der Patientinnen und
Patienten haben es bislang immer ermöglicht, neue Entwicklungen für die
Menschen, die auf den Wartelisten auf ein Organ hoffen, umzusetzen. Dabei sind
die Selbstverwaltungspartner stets schneller und sachkundiger gewesen als jeder
Verordnungsgeber oder Gesetzgeber, der angesichts der Dynamik in der
Entwicklung der Transplantationsmedizin niemals angemessen reagieren könnte. Es
liegt in der Hand der Ärzteschaft, weniger in der Hand des Gesetzgebers, alles
für ihre Patientinnen und Patienten zu tun. Sie sind näher an den kranken
Menschen als die Abgeordneten, die politischen Zwängen unterliegen.
Ich bedanke mich für Ihre Aufmerksamkeit.
(Beifall)
Vizepräsident Dr. Crusius: Vielen Dank, lieber
Herr Lilie, für die klare Darstellung des juristisch und medizinisch
anspruchsvollen Themas. Ich habe den Eindruck, Sie haben sich als Jurist gut in
die Seele und das Empfinden der Ärzte einfühlen können. Vielen Dank dafür. Wir
werden über Ihre Ausführungen nachher diskutieren.
Jetzt darf ich Ihnen, meine sehr verehrten Damen und Herren,
Herrn Professor Dr. med. Dr. phil. Eckhard Nagel zu dem Thema ankündigen: Was
ist der Mensch? - Zur aktuellen Debatte in der Transplantationsmedizin aus
ethischer Sicht. Bitte schön, Herr Nagel.
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