TOP II: Ethische Aspekte der Organ- und Gewebetransplantation

Mittwoch, 16. Mai 2007, Vormittagssitzung

Dr. Wahl, Vorstand der Bundesärztekammer: Herr Vorsitzender! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Zehn Jahre nach Einführung des Transplantationsgesetzes besteht in der BRD nach wie vor ein gravierender Organmangel. Wir sind ein Organimportland; das ist unstrittig. Ebenfalls unstrittig ist, dass mannigfaltige Maßnahmen ergriffen worden sind, um die Zahl der Organspenden zu erhöhen. Ich nenne als Beispiel: Krankenhäuser mit einer Intensivstation haben bei uns in Baden-Württemberg seit Kurzem eine gesetzlich fixierte Meldepflicht für potenzielle Organspender. Nur: Wer überprüft das? Wie will man es überprüfen? Will man es am Ende sanktionieren? Ich meine: nein.

Der Transplantationsbeauftragte - er ist heute mehrfach angesprochen worden - ist für diese Krankenhäuser ebenfalls zwingend vorgeschrieben. Ich zitiere:

Der Transplantationsbeauftragte soll die ethischen, psychologischen, juristischen und organisatorischen Aspekte des Transplantationsprozesses integrieren und zu einem angemessenen Ausgleich bringen.

Der Haken an der Sache ist allerdings: Die Kosten für die Freistellung des erfahrenen Facharztes, der er sein soll, sind Kosten der Patientenversorgung und nach Ansicht der Kassen mit der pauschalierten gestaffelten Aufwandsentschädigung der Spenderkrankenhäuser entgolten. Auch das wurde schon erwähnt. Das heißt, der Anteil der Aufwandsentschädigung, die möglicherweise für den Transplantationsbeauftragten da wäre, verschwindet in einem schwarzen Bilanzloch und wird ganz sicher nicht zur Entlastung des Stellenplans verwendet.

Gibt es jetzt mehr Organspender, nachdem wir den Transplantationsbeauftragten haben? Über den Effekt gibt es keine wirklich validen Aussagen.

Das Leid der Patienten auf den Wartelisten aber ist groß. Ich kenne Einzelschicksale, die einem schier die Tränen in die Augen treiben.

Was bleibt zu tun, meine Damen und Herren? Ich denke, es ist Zeit, dass wir die vor zehn Jahren nach leidenschaftlichen Diskussionen seinerzeit konsentierte erweiterte Zustimmungslösung zur Organentnahme erneut infrage stellen. Wissen Sie eigentlich, wie das abläuft? Im Vorfeld der Hirntoddiagnostik muss nach einer schriftlichen Äußerung des Patienten zur Organspende geforscht werden. Gibt es einen Ausweis, wird in der Regel dennoch ein Konsens mit den Angehörigen angestrebt. Gibt es den Ausweis nicht, so ist von den nächsten Angehörigen zu klären, wie der mutmaßliche Wille des Verstorbenen war. Das ist der Punkt: Wenn kein Ausweis und auch keine sonstige Erklärung vorliegt, werden die Angehörigen eher davon ausgehen, dass der Verstorbene die Organentnahme nicht gewollt hat.

Für die Angehörigen ist es extrem belastend, in dieser Situation den mutmaßlichen Willen des Verstorbenen zu ermitteln oder am Ende sogar eine eigene Entscheidung zu treffen. Sie werden im Zweifel der Logik folgen, die das Transplantationsgesetz mit der Zustimmungsregelung vorgibt, und die Organentnahme ablehnen.

Nur etwa ein Fünftel derjenigen, die angeben, dass sie zur Organspende bereit sind, haben dies in einem Ausweis dokumentiert. Und warum? Man scheut den Aufwand, der mit dem Ausweis verbunden ist, man verschiebt die Entscheidung, verdrängt sie. Wer denkt schon gern an seinen eigenen Tod? Und wer möchte gerne dazu irgendwelche Vorkehrungen treffen? Im Ergebnis fehlt dann die Voraussetzung dafür, dass eine Organspende, die eigentlich gewollt oder jedenfalls nicht abgelehnt wird, rechtlich zulässig ist.

Dem steht der Mangel an Spenderorganen und der Anspruch der Patienten gegenüber, im Notfall durch ein Spenderorgan gerettet zu werden.

Ich meine, die Freiwilligkeit der Organspende ist völlig unstrittig; daran muss unbedingt festgehalten werden. Keiner darf zu ihr gezwungen werden. Aber wäre es nicht auch an der Zeit, dass wir einmal darüber nachdenken, ob es nicht eine moralische Verpflichtung gegenüber der Gemeinschaft aller gibt?

Der Nationale Ethikrat hat sich im April für eine erweiterte Widerspruchslösung zur Organentnahme ausgesprochen. Das etwas komplizierte Prozedere, mit dem auch ich nicht ganz zufrieden bin, wäre in diesem Falle eine Erklärung des Patienten oder eine Erklärung möglichst vieler Patienten, ob oder ob nicht. Im Falle des Hirntods können die Organe entnommen werden, wenn der Patient zugestimmt hat und die Angehörigen nicht widersprechen. Das erscheint etwas kompliziert. Die einfache Regelung wäre: Eine Organentnahme ist nicht gegen die Entscheidung des Spenders erlaubt, aber doch wohl ohne sie.

Liebe Kolleginnen und Kollegen, Länder, die diese oder eine ähnliche Regelung vorhalten, haben - zumindest nach Aussagen des Nationalen Ethikrats - eine deutlich höhere Zahl an Organspenden. Ich als Mensch - nicht als Präsidentin der Landesärztekammer Baden-Württemberg; in solchen Fällen kann man nur für sich selbst sprechen - halte diese Regelung für eine mögliche Lösung. Ich befürworte diese Regelung. Ich möchte Sie bitten, einmal in Ruhe darüber nachzudenken, ob dieses nicht eine mögliche Lösung des Problems sein könnte.

Zum Schluss nur zur Information: Ich habe seit zehn Jahren einen Organspendeausweis.

Ich danke Ihnen.

(Beifall)

Vizepräsident Dr. Crusius: Vielen Dank, Frau Dr. Wahl. - Als nächste Rednerin bitte Frau Privatdozentin Dr. Birnbaum von der Ärztekammer Berlin.

© Bundesärztekammer 2007