TOP II: Ethische Aspekte der Organ- und Gewebetransplantation

Mittwoch, 16. Mai 2007, Vormittagssitzung

PD Dr. Birnbaum, Berlin: Sehr geehrter Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Wir haben heute schon fast zwei Stunden die theoretischen Erwägungen, das Hin und Her in den einzelnen Ländern etc. gehört. Ich bin extra wegen dieses Themas zum Deutschen Ärztetag gefahren. Ich sage Ihnen, warum: Ich bin Transplantationsmedizinerin mit Leib und Seele seit 40 Jahren, seit 1967. Ich habe in dieser Zeit einiges erlebt. Ich kann mich nur immer wieder für die Transplantation und für die Organspende aussprechen, aber nicht um jeden Preis. Ich meine, diesen Preis bestimmen wir selbst. Wir bestimmen, wie wir bei der Organspende unseren Patienten helfen können.

Ich habe 1959 mein Staatsexamen gemacht. Damals gab es noch keine Dialyse, gab es keine Transplantation. Damals konnten wir den Menschen nicht helfen. 1967 erfolgte auf meiner Station in der Berliner Charité die erste Transplantation, und zwar mit einer Lebendspende, nicht einmal mit einer postmortalen Spende. Ich habe seit dieser Zeit eine vierstellige Zahl von Transplantationspatienten betreut und auch für die Organspende geworben. Seit ich nicht mehr aktiv bin, seit 1998, bin ich Angehörige der Lebendspendekommission der Ärztekammern Berlin und Brandenburg und habe auch dort meine Erfahrungen gesammelt.

Ich möchte nur auf einige wenige Punkte zurückkommen. Ich möchte nicht fragen - Herr Professor Hoppe hat gestern seinen Ausweis gezeigt -, wer in diesem Saal einen Organspendeausweis hat, aber ich möchte einmal fragen, wer von Ihnen tagtäglich mit dem Problem umgehen muss, Angehörige, die ihr Liebstes verloren haben, sofort anzusprechen, mit der Organspende einverstanden zu sein. Wer das tagtäglich machen muss, hebe bitte einmal die Hand. - Herr Crusius hebt die Hand, auch noch einige andere.

Ich möchte den Appell an Sie richten, dass wir in dieser Situation versuchen, hinsichtlich der Organspende einen anderen Weg einzuschlagen. Ich habe aus den Referaten drei Sätze mitgenommen, die mir im Prinzip aus dem Herzen sprechen. Erstens ist gesagt worden: Es ist die ethische Pflicht eines jeden, sich mit der Organspende auseinanderzusetzen. Das halte ich für ganz, ganz wichtig. Wenn wir das Thema der Patientenverfügung diskutieren, warum sollen wir dann nicht im Prinzip auf ähnliche Weise das Problem der Organspende diskutieren?

Der zweite Satz, den ich mitgenommen habe, ist die eindeutige Positionierung der Ärzte für die Transplantation und für die Organgewinnung. Wir Ärzte sind dafür verantwortlich, nicht die Politik und nicht die Medien. Wir mit unserem ärztlichen Sachverstand sollten uns hier einbringen.

Der dritte Satz, den ich für ganz wichtig halte, betrifft die eindeutige Positionierung der Ärzte für die Nichtkommerzialisierung des menschlichen Körpers.

Ich glaube, wenn wir alle diese, wie ich sie einmal nennen möchte, drei Leitsätze beherzigen, wird das Organaufkommen zunehmen. Dazu habe ich gleich ein paar Vorschläge. Es ist gesagt worden: Das Ganze ist zu teuer, man erreicht die Leute nicht unbedingt usw. In der ganzen Bundesrepublik gibt es sowohl Ethik- als auch Religionsunterricht. Dort können wir im Prinzip unsere Kinder und Jugendlichen ansprechen und mit dieser Thematik bekannt machen.

(Beifall)

Es gibt eine weitere Möglichkeit, die wir in der Kammer diskutiert haben - daraus resultierte auch ein Antrag -: Warum sprechen wir nicht jeden an, wenn er den Antrag auf Ausstellung eines Führerscheins stellt? So erreichen wir ein ganzes Klientel, das uns später, wie man sagen muss, im Prinzip als Organspender dienlich wird.

Meine beiden Vorrednerinnen haben bereits etwas zu den Lebendspendekommissionen gesagt und gefordert, entsprechende Richtlinien und Weisungen zu erarbeiten. Ich möchte noch ein ganz anderes Problem ansprechen, das heute noch nicht angeklungen ist. Wir haben in Berlin in unserem Bereich für die Lebendspende einen ganz erheblichen Andrang vonseiten der Bürger mit ausländischer Nationalität. Ich habe mir extra eine entsprechende Liste erstellt. Wir haben in der letzten Periode Lebendspender aus 26 Nationen nach dem deutschen Transplantationsgesetz beurteilen müssen. Sie glauben nicht, welche Zweifel das im Prinzip heraufbeschwört. Wir haben eine Transplantation, die ein Pakistani, der in Deutschland lebt, mit seinem angeblichen Cousin durchführen wollte, abgelehnt. Die beiden sind in die Türkei gefahren und haben sich dort transplantieren lassen. Der Spender ist verstorben.

Ist das etwas, wo ich mir persönlich im Prinzip Vorwürfe machen müsste? Ich bin überzeugt davon, dass in Deutschland diese Transplantation gut verlaufen wäre.

Ich möchte auch auf Folgendes hinweisen, auf das wir Deutschen stolz sein können. Ich frage immer: Weshalb kommen Sie nach Deutschland? Was führt Sie denn hierher? Der erste Grund, der mir genannt wird, lautet, dass in Berlin im Transplantationszentrum bisher noch kein Spender verstorben ist.

Ich könnte Ihnen stunden- und tagelang meine Erfahrungen schildern, aber das will ich mir verkneifen. Ich bitte Sie, dass wir in dieser Hinsicht doch versuchen, einen anderen Weg als den bisherigen zu gehen, und dass wir unsere Anstrengungen bündeln, auf den Intensivstationen zu einer größeren Sicherheit bei der Entscheidung zu gelangen, wem wir ein Organ entnehmen und wem nicht.

Danke.

(Beifall)

© Bundesärztekammer 2007