Prof. Dr. Kahlke, Hamburg: Herr Vorsitzender!
Meine Damen und Herren! Lieber Herr Nagel, lieber Herr Lilie, ich bin Ihnen -
wie sicher viele andere auch - dankbar für Ihre umfassenden Darstellungen.
Ich habe etwas gezögert, ob ich mich zu Wort melden soll, weil
ich nicht sicher bin, ob die Aspekte, die ich auch ansprechen möchte, so ganz
ankommen. Die Tatsache, die Herr Kirste eben erwähnte, nämlich dass bei einer
Ausschöpfung der bestehenden Bedingungen sich das Aufkommen an zu spendenden
Organen verdoppeln würde, erleichtert mir ein bisschen meinen Beitrag.
Ich kann voll unterschreiben, dass es die ethische Pflicht
gibt, sich mit der Organtransplantation auseinanderzusetzen. Aber es gibt
Menschen, die vielleicht eine andere Sicht haben, wie sie ihr Leben empfinden,
ein geschenktes Leben, wo ich vielleicht über den verstorbenen Körper hinaus
diese Ganzheit respektieren möchte. Das mag altmodisch klingen; einige
bezeichnen es vielleicht sogar als unsolidarisch. Hier war ja auch die Rede von
der solidarischen Verpflichtung der Gemeinschaft gegenüber. Das ist natürlich
immer sehr schwierig, wenn wir auf der einen Seite die Organe als eine knappe
Ressource bezeichnen. Das spielt unter den Stichworten der
Verteilungsgerechtigkeit bzw. Verteilungsungerechtigkeit eine Rolle.
Es gibt in unserer Gesellschaft viele Ressourcen bei denen man
nie auf die Idee käme, dass sich die Menschen erklären müssen, wie sie ihre Ressourcen, ihr
Vermögen usw. der Gesellschaft zur Verfügung stellen. Das mag absurd klingen,
ist es meiner Meinung nach aber nicht.
Wenn wir die Organe für Ressourcen halten, müssen wir
respektieren - das gehört für mich zur ethischen Pflicht, sich damit
auseinanderzusetzen -, dass Menschen über ihre Organe, über ihren Körper nicht
verfügen möchten. Ich halte das nicht für unsolidarisch, ich respektiere es
auch.
Wenn gesagt wird, jemand sterbe auf der Warteliste, dann finde
ich das einen erdrückenden Ausdruck. Es stirbt ja niemand auf der Warteliste,
sondern es stirbt jemand an Krankheiten, die durch das Opfer anderer geheilt
oder gelindert werden könnten.
Wir müssen respektieren, dass es Menschen gibt, die der
Meinung sind - aus christlichen oder sonstigen Motiven -: Ich möchte, dass
meine Organe nicht entnommen werden. Dazu gehört vielleicht auch, dass man,
wenn man selbst in eine solche Lage gerät, nicht damit rechnen darf, ein Organ
zu empfangen. Ich könnte mir diese Einstellung durchaus als etwas Vertretbares
vorstellen. Wenn ich nicht bereit bin, ein Organ zu spenden, kann ich natürlich
nicht erwarten, dass ich ein Organ empfange, wenn ich denn ein solches brauche.
Ich denke, das ist konsequent.
Wir sollten bitte nicht vergessen, dass wir respektieren
müssen, dass Menschen aus weltanschaulichen, christlichen oder sonstigen
Motiven ihren Körper über den Tod hinaus in seiner geschenkten Ganzheit erhalten
möchten. Deshalb darf niemand verteufelt werden.
Ich glaube, Frau Dr. Goesmann sagte, man müsse den Menschen
klarmachen, dass sie auch bei einer Organentnahme würdig sterben können. Es
wird Menschen geben, die das nicht so sehen; das müssen wir respektieren. Ich
denke, zur ethischen Pflicht, sich mit derartigen Problemen
auseinanderzusetzen, gehört auch der ethische Respekt vor denjenigen Menschen,
die keine Organe spenden möchten.
Danke schön.
(Beifall)
Vizepräsident Dr. Crusius: Vielen Dank, Herr Kahlke.
- Es spricht jetzt als geladener Gast Herr Dr. Axel Rahmel als ärztlicher
Direktor von Eurotransplant. Bitte, Herr Dr. Rahmel.
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