Dr. Goesmann, Referentin: Sehr verehrter Herr
Präsident! Sehr verehrter Herr Professor Niethammer! Sehr geehrter Herr Henke!
Meine Damen und Herren! Mein Thema lautet: Kindergesundheit in der
hausärztlichen Versorgung. Wer wollte oder könnte in Abrede stellen, dass bei
der kinderärztlichen Versorgung neben den pädiatrischen Kollegen auch wir
Allgemeinmediziner oder Praktischen Ärzte unverzichtbar sind? Vor allem in
Flächenstaaten wie etwa meinem Bundesland Niedersachsen versorgen sie, wie ich
im Folgenden darstellen werde, viele unserer Kinder - und das in einer Zeit, in
der wir im Stadtbild weitaus mehr Menschen mit Rollator als mit Kinderwagen
sehen.
Ich möchte Ihnen darlegen, welche Möglichkeiten der
Einflussnahme auf die Gesundheit unserer Kinder auf der hausärztlichen
Versorgungsebene bestehen, vor allem hinsichtlich der Bereiche, die wir heute
besonders beleuchten werden: Gewalt, Vernachlässigung und Misshandlung von
Kindern und deren Verhinderung.
Ich werde zur Untermauerung auf Zahlenmaterial aus
Niedersachsen zurückgreifen, weil dieses Bundesland regelmäßig etwa 10 Prozent
wesentlicher bundesweiter Parameter aufweist und daher als repräsentativ für
die Gesamt-BRD angesehen werden kann.
Nach den Abrechnungsstatistiken der Kassenärztlichen
Vereinigung Niedersachsen aus den vier Quartalen II/05 bis I/06 haben
hausärztlich tätige Kinder- und Jugendärzte in den Altersgruppen von null bis
fünf Jahren noch doppelt so viele Fälle versorgt wie niedersächsische
Allgemeinärzte und Praktische Ärzte. In der Altersgruppe von fünf bis neun
Jahren gleichen sich die Fallzahlen schon an, während Kinder und Jugendliche von
10 bis 19 Jahren weit überwiegend von Hausärzten, also Allgemeinärzten und
Praktischen Ärzten, betreut wurden.
Annähernd dieselbe Verteilung finden wir bei den sogenannten
"Unzeitkontakten", also den Behandlungen außerhalb der regulären Sprechzeiten
und im ärztlichen Notfalldienst. Hausbesuche dagegen werden bei Kindern ganz
überwiegend von Praktikern und Allgemeinärzten gefahren. Lediglich geringe Behandlungszahlen
von Kindern und Jugendlichen sieht man bei den hausärztlichen Internisten.
Ähnliche Angaben finden sich bei den Früherkennungsmaßnahmen U
1 bis U 9 und J 1. Diese werden von hausärztlichen Internisten selten
abgerechnet. Bis zum 15. Lebensjahr finden sie hauptsächlich in der
kinderärztlichen Praxis statt, während dann die J 1 im 12. bis 14. Lebensjahr
etwa hälftig von Allgemeinärzten und Pädiatern durchgeführt wird.
Kurz gesagt haben Hausärztinnen und Hausärzte einen nicht
unerheblichen Anteil an der Versorgung von Kindern ab dem 6. Lebensjahr, vor
allem aber bei Jugendlichen ab dem 10. Jahr. Auffällig schien mir bei meinen
Recherchen, dass trotz dieses hohen Versorgungsanteils von Hausärzten bei
Kindern und Jugendlichen in keiner einzigen Publikation zu Fragen der
Kindergesundheit die Rolle der Hausärzteschaft beschrieben oder gar
Kooperationsmöglichkeiten mit Allgemeinärzten für die verschiedensten
Initiativen, Aktionsbündnisse, Forschungsvorhaben und politischen Programme in
Erwägung gezogen wurden. Offensichtlich leisten Hausärzte ihren umfangreichen
Anteil an pädiatrischer Prävention und Kuration ganz selbstverständlich und im
Stillen, ebenso offensichtlich aber auch in fachlicher wie in sozialer Hinsicht
ohne Beanstandungen.
Es geht mir nicht darum, eine Konkurrenzsituation zwischen
einzelnen Fachgruppen hervorzurufen. Tatsache ist, dass Eltern ihre Kinder auch
zu Allgemeinärzten bringen. Es gilt, diesen Einfluss auf die kindliche
Gesundheit in der Allgemeinpraxis zu nutzen.
Dass Kinder und Jugendliche gemeinsam mit ihren Eltern in der
hausärztlichen Praxis versorgt werden, erscheint durchaus sinnvoll, ist doch
eine der elementaren Aufgaben des Hausarztes seine familienmedizinische
Funktion. Ich zitiere Michael Balint, den Initiator der Balintgruppenbewegung:
Bietet ein Kind in der Praxis Probleme, dann sind diese
zu einem Drittel alleine im Kind, zu einem Drittel in der Beziehung zwischen
Eltern und Kind und zu einem weiteren Drittel alleine bei den Eltern begründet.
Als Hausärztinnen und Hausärzte begleiten wir Familien ein
Berufsleben lang. Ich bin seit 22 Jahren in einem Vorort von Hannover mit sehr
gemischter Sozialstruktur und inzwischen hohem Migrantenanteil niedergelassen.
Heute betreue ich die Kinder und Enkel, in einzelnen Fällen sogar schon die
Urenkel meiner ersten Patienten, und bei den ausländischen Patientinnen und
Patienten kenne ich nicht nur die Probleme der Ausgebrannten, nie Integrierten,
noch immer nicht Deutsch sprechenden ersten Generation, die in den 60er- und
70er-Jahren zu uns kamen, sondern auch die der Folgegeneration der Entwurzelten,
denen Heimat und kulturelle Identität fehlen, die aber ihre Kinder heute
wiederum als Deutsche erziehen und sehen möchten.
Hausärzte betreuen Kinder in ihrem sozialen Umfeld und kennen
in der Regel ihre Beziehungs-geflechte, die häuslichen Gegebenheiten,
die familiären Sorgen und Konflikte, die Ursprungs- und die Patchworkpartner
ihrer Eltern und oft auch ihre Lehrer und Erzieherinnen, die zumeist
allesamt bei ihnen Patienten sind.
Ich zitiere Altmeyer, Kröger und Hendrischke aus dem Lehrbuch
"Allgemeinmedizin":
Die Familienmedizin unterscheidet sich von der klinischen
Medizin durch ihren "setting"-bezogenen Ansatz. Demnach werden die Erkenntnisse
des Hausarztes erst aus der Beleuchtung einer komplexen, mehrere Personen und
deren gemeinsame Lebenswelt betreffenden Konstellation gewonnen. Die familienmedizinischen
Aufgaben des Hausarztes gewinnen an Bedeutung, z. B. wenn es um das Wohl von
Kindern oder hochaltrigen Menschen oder um die Auswirkungen wirtschaftlicher
Einbrüche und Arbeitslosigkeit auf Nahestehende geht. So verändert sich das
Anforderungsprofil an die Familienmedizin ständig.
Es geht mir nicht nur um die Behandlung von Kindern durch die
Hausärzte, sondern es geht mir auch um den Einfluss auf die Kindergesundheit
über die Behandlung der gesamten Familie.
Heutige Aufgaben des Hausarztes erstrecken sich von der
Beratung vor einer geplanten Schwangerschaft bis auf die Probleme nach einer
ungeplanten Schwangerschaft, über die Bereiche Gesundheitserziehung bis zur
Ernährungsberatung und Suchtprävention. Hierdurch erreichen sie Eltern und Kinder.
Sie halten ihre Patienten zu Impfungen und Vorsorgeuntersuchungen ihrer Kinder
an. Hausärzte leiten Sport- und Gewichtsreduktionsgruppen. Vor allem aber haben
sie auch Einfluss auf die Väter und damit auf deren Vorbildhaltung bezüglich
Alkohol- und Nikotinkonsum sowie körperlicher Bewegung.
Sowohl die Vorträge des vorletzten Deutschen Ärztetages zum
Thema "Armut und Gesundheit" als auch die Ergebnisse des "Kinder- und
Jugendgesundheitssurveys (KiGGS)" haben den eindeutigen Zusammenhang zwischen
Armut und Gesundheit aufgezeigt. Nicht die Versorgung der Mittelschichtkinder,
deren Familien eine enge Hausarztbindung aufweisen und die ihre Kinder in der
Regel liebevoll, beständig und grenzenaufzeigend erziehen, stellt die
Ärzteschaft vor Probleme; vielmehr dagegen die Versorgung von Kindern der
Unterschicht und sozialer Randgruppen, die zumeist weniger
Vorsorgeuntersuchungen erhalten, keine feste Hausarztbindung haben und eher
Gewalt, Missbrauch und mangelhafter Gesundheitsversorgung ausgesetzt sind.
Um diese Problemklientel zu erreichen und einer auf Prävention
fußenden, kontinuierlichen Gesundheitsversorgung zuzuführen, bedarf es
folgender struktureller gesundheitspolitischer Rahmenbedingungen:
Es bedarf einer engen Kooperation und Kommunikation ärztlicher
Fachgruppen (Allgemeinärzte, Pädiater, öffentlicher Gesundheitsdienst, Kinder-
und Jugendpsychiater, Kliniken und Psychotherapeuten) untereinander.
Obwohl zeitintensiv, sollte die Zusammenarbeit auf Augenhöhe
mit anderen beteiligten Berufsgruppen, etwa Erziehern, Lehrerschaft, Hebammen
und Sozialarbeitern, sowie mit Jugendamt und kommunalem Sozialdienst gepflegt
werden. Von mir kontaktierte leitende Mitarbeiter des Jugendamts Hannover und
der pädagogischen Bereichsleitung im kommunalen Sozialdienst wünschten sich an
erster Stelle, dass Ärztinnen und Ärzte deutlich häufiger die Hilfe des
Jugendamts annehmen und es nicht als Feindbild betrachten sollten. Das Finden
einer gemeinsamen Sprache über die Probleme der gemeinsam betreuten Kinder,
interprofessionelle Fallkonferenzen und runde Tische sowie eine kontinuierliche
Kooperation waren weitere Wünsche der Fachberater an die niedersächsische
Ärzteschaft.
Da unterprivilegierte Familien in der Regel weniger
Arztkontakte und Vorsorgeuntersuchungen in Anspruch nehmen, macht ein Konzept
der aufsuchenden Gesundheitsfürsorge Sinn. Neben dem öffentlichen
Gesundheitsdienst sind hier insbesondere Hausärztinnen und Hausärzte gefordert.
Gerade in ländlichen Regionen und solchen Stadtbezirken, in denen zukünftig
ärztlicher Nachwuchsmangel zum Tragen kommen wird und hausärztliche sowie
kinderärztliche Praxen nicht wiederbesetzt werden können, findet das gemeinsam
von Kassenärztlicher Bundesvereinigung und Bundesärztekammer entwickelte
Konzept zur Einbeziehung der gut qualifizierten Medizinischen Fachangestellten
- vormals Arzthelferinnen - seine Berechtigung. Fortbildungsmodule und
-inhalte unter anderem in den Bereichen Prävention im Kinder- und Jugendalter
und bei Erwachsenen, Ernährungsberatung sowie Patientenkoordinierung und -begleitung sollen die Medizinische Fachangestellte dafür qualifizieren, an sie
delegierbare Leistungen inklusive Beratungsangeboten und Hausbesuchen zur
Entlastung der Praxisinhaber zu übernehmen. Eine solche aufsuchende, primärärztliche
und familienmedizinisch ausgerichtete Patientenbetreuung durch das gesamte
Praxisteam - auch vor allem in sozialen Brennpunkten und unterversorgten
Gebieten - muss zusätzlich von den Krankenkassenverbänden finanziert werden,
erspart aber eine neu einzuziehende Versorgungsebene von beispielsweise
Familiengesundheitspflegerinnen oder Gemeindeschwestern. Und sie belässt die
ganzheitliche medizinisch-psychosoziale Versorgung in hausärztlicher Hand.
Die Gesundheitsversorgung unterprivilegierter und gefährdeter
Gruppen sollte weiter ausgebaut werden. Vor allem bei wohnungslosen Menschen
finden sich ein mangelhafter Zugang zur "Regelversorgung" sowie gehäuft
Suchtproblematik, Aggression und Vernachlässigung. Keinen Anspruch auf eine
geregelte medizinische Versorgung haben die sogenannten Illegalisierten, das
heißt Menschen ohne Aufenthaltserlaubnis. Von diesen soll es allein im Großraum
Hannover etwa 5 000 geben. In der Region Hannover leben darüber hinaus
etwa 2 500 bis 3 000 sogenannte Obdachlose, darunter rund 30 Prozent
Frauen und vermutlich 50 bis 80 Kinder. Das von mir im Jahr 1999 ins Leben
gerufene medizinische Versorgungsprojekt für Wohnungslose in Hannover, das
seither mithilfe von zehn sehr engagierten, ehrenamtlich tätigen Kolleginnen
und Kollegen in Form einer Ermächtigungsambulanz der Kassenärztlichen
Vereinigung Niedersachsen in Kooperation mit Caritas und Diakonie sehr gut
läuft, verzeichnet inzwischen circa 1.100 Arzt-Patienten-Kontakte pro
Jahr. Die Sprechstunden bzw. unsere mobile Ambulanz werden derzeit zunehmend
auch von illegalisiert lebenden Familien in Anspruch genommen. Zur adäquaten
Versorgung von Kindern ohne Wohnung und ohne Aufenthaltsrechte sollten
bundesweit ähnliche Sprechstunden flächendeckend eingeführt werden.
Die ärztliche Fortbildung der beteiligten Facharztgruppen
sollte insbesondere in den Bereichen "Sucht und Drogen" sowie "häusliche Gewalt
gegen Frauen und Kinder" intensiviert werden. Im hausärztlichen Bereich kann
durch eine frühe und intensive Beratung von auffälligen oder gefährdeten jungen
Mädchen und Frauen einer fetalen Schädigung ihrer Kinder durch Alkohol und
Nikotin vorgebeugt werden. Gerade Hausärztinnen und Hausärzten kommt in der
Sucht- und Drogenprävention sowie in der Betreuung Betroffener eine große
Bedeutung zu. 21 Prozent der 12- bis 19-jährigen Jugendlichen haben mindestens
einmal im Leben Cannabis genommen. 37 Prozent der 15-jährigen Jungen und 25
Prozent der 15-jährigen Mädchen trinken bereits regelmäßig Alkohol. Bei hieraus
resultierenden Problemen werden Jugendliche eher Hilfe bei ihrem Hausarzt als
bei einem Kinder- und Jugendarzt suchen. Die Zusatzbezeichnung
"Suchtmedizinische Grundversorgung" streben daher häufig Fachärzte für Allgemeinmedizin
an. Etliche davon engagieren sich ebenfalls im Bereich der Methadonsubstitution.
In der Bezirksstelle Hannover betreuen 76 Kolleginnen und Kollegen dieses
Substitutionsprogramm. 80 Prozent von ihnen sind hausärztlich tätig.
Wegen der durch die Methadongabe verbesserten Lebensumstände
suchtkranker Frauen werden diese deutlich häufiger schwanger als
während der Phase ihres Heroinkonsums. Die kontinuierliche Betreuung
nicht nur während der Schwangerschaft, sondern vor allem die Begleitung
solcher Risikomütter mit ihren Neugeborenen stellt eine große Herausforderung
für die methadonsubstitu-ierenden Ärztinnen und Ärzte dar. Wir behandeln
regelmäßig maximal zehn Methadonpatienten in unserer Praxis. Dabei
haben wir bisher zwei Mütter mit insgesamt drei Schwangerschaften
so betreuen können, dass sie heute "clean" sind und mit ihren Kindern,
die sich gut entwickeln, weiterhin unsere Praxis aufsuchen. Durch
die tägliche Methadonvergabe, das heißt den täglichen Arzt-/Helferin-Patienten-Kontakt
können die betreuenden Praxen einen nicht zu unterschätzenden Einfluss
auf die Entwicklung und Versorgung dieser hochgefährdeten Kinder
ausüben.
Neben anderen Facharztgruppen sollten vor allem Hausärztinnen
und Hausärzte Fortbildungs-maßnahmen zum Komplex "häusliche Gewalt"
absolvieren, da sie die höchsten Fallzahlen von Kindern im ärztlichen
Notdienst sowie bei Hausbesuchen aufweisen und erfahrungsgemäß verletzte
und missbrauchte Kinder nicht in der regulären Sprechstunde, sondern
dem ärztlichen Notdienst vorgestellt werden. Hausärzte sind in der
Regel die ersten Ansprechpartner, an die sich Gewaltopfer wenden.
Hier nicht wegzusehen, den vorgebrachten Ausreden nicht zu glauben,
sondern die betroffenen Frauen oder Mütter direkt mit deren Verletzungsmustern
zu konfrontieren und nach erlittener Gewalt sowie den Lebensumständen
zu fragen, habe ich mir zur Regel gemacht.
Zu meinem anfänglichen Erstaunen wird mein Angebot, sich
öffnen zu wollen und das Gespräch bzw. Hilfe zu suchen, fast immer
aufgegriffen. Das kostet nicht nur Zeit in der Sprechstunde, sondern auch
eigene Kraft und Ressourcen. Aber nur so werden wir unserem Anspruch, eine
umfassende auch psychosoziale Versorgung und Maßnahmen zur Gewaltprävention zu
leisten, gerecht.
Ich darf an dieser Stelle Ihr Augenmerk auf die beiden Anträge
zum Thema "häusliche Gewalt" lenken und Sie bitten, diese Anträge zu unterstützen.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Nach den Ergebnissen
des heute zeitgleich veröffentlichten Kinder- und Jugendgesundheitssurveys geht
es dem allergrößten Teil unserer Kinder und Jugendlichen gut bis sehr gut.
Dennoch bleibt noch viel zu tun, damit auch die Versorgung des restlichen,
bedauernswerten Teils unseres Nachwuchses noch passgenauer und
problemorientierter organisiert werden kann. Zusammengefasst bestehen die
speziellen Aufgaben der Hausärzteschaft vor allem darin, ihre Rolle in der
Gemeinde für sozialmedizinische Prävention, aufsuchende Gesundheitsfürsorge, in
der Versorgung von Migranten und unterprivilegierten Familien zu nutzen.
Ganz wichtig ist hierbei die enge Kooperation der
Hausärzteschaft mit Fachärzten für Kinder- und Jugendmedizin und Kinder- und
Jugendpsychiatern, den Kolleginnen und Kollegen des öffentlichen
Gesundheitsdienstes, deren Arbeit ich an dieser Stelle ausdrücklich würdigen
und unterstreichen möchte, mit den anderen im Rahmen der Kindergesundheit
arbeitenden Berufsgruppen wie Sozialarbeitern, Hebammen, Physiotherapeuten,
Logopäden. Ausgeweitet werden sollten hausärztliche Schulungs- und
Informationsangebote für Kindergärten, Sportverein und Schule.
Abschließend möchte ich Ihnen einige wegweisende und beispielhafte
Modellprojekte zur Kindergesundheit unter Mitwirkung niedersächsischer
Ärztinnen und Ärzte vorstellen:
Erstens. "Fit für Pisa": Hierbei handelt es sich um ein von
dem Göttinger Internisten Dr. Thomas Surmann initiiertes und vom BMBF mit
200 000 Euro Preisgeld honoriertes, von der Ärztekammer Niedersachsen
unterstütztes Projekt, bei dem wissenschaftlich begleitet vier
Grundschulklassen vier Jahre lang täglich eine Sportstunde in der Schule
erhalten. Die Ergebnisse dieses Projekts werden Ende 2007 vorgestellt.
Zweitens. Im "Präventionsprojekt Pro Kind" werden
erstgebärende Schwangere in sozialen Problemlagen oder nach Gewalterfahrung von
Hebammen und Sozialpädagogen bis zum zweiten Lebensjahr des neugeborenen Kindes
betreut. Die Kassenärztliche Vereinigung Niedersachsen, der Berufsverband der
Frauenärzte und jener der Kinder- und Jugendärzte Niedersachsens unterstützen
und wirken mit.
Drittens. Die Stiftung "Eine Chance für Kinder", initiiert
durch den langjährigen Leiter des Landesgesundheitsamts, Professor Windorfer,
organisiert eine Betreuung von schwangeren und jungen Müttern in sozialen
Problemlagen durch Familienhebammen bis zum Ende des ersten Lebensjahres ihres
Kindes.
Viertens. Der Leitfaden "Gewalt gegen Kinder", der
Früherkennungs- und Handlungsmöglichkeiten sowie Kooperationspartner in
Niedersachsen aufzeigt, wurde mithilfe der Ärztekammer Niedersachsen und der
Techniker Krankenkasse vollkommen überarbeitet und im Januar 2007 neu aufgelegt
und ist auch hier für Sie verfügbar.
Fünftens. Der Arbeitskreis "Häusliche Gewalt" bei
der Ärztekammer Niedersachsen, in dem vier Jahre lang Vertreterinnen
des Niedersächsischen Sozialministeriums, der Psychotherapeuten-kammer,
der Medizinischen Hochschule Hannover, der Rechtsmedizin und zweier
Krankenkassen unter meiner Leitung kooperierten, hat neben umfangreichen
Materialien für Patientinnen und Patienten ein vierstündiges Fortbildungsmodul
auch für die Ärzteschaft erstellt. Sowohl die schriftlichen Materialien
als auch die Fortbilder-Teams - das sind Tandem-Teams, die durch
die Bundesrepublik reisen und Fortbildung anbieten - können bundesweit
angefordert und gebucht bzw. nachgedruckt und weiterverwandt werden.
Meine sehr verehrten Damen und Herren! Im Jahre 1895 begann
Hugo von Hofmannsthal seine "Ballade des äußeren Lebens" mit den Worten:
Und Kinder wachsen auf
mit tiefen Augen,
Die von nichts wissen, wachsen auf und sterben,
Und alle Menschen gehen ihre Wege.
Die von mir vorgestellten engagierten Berufsgruppen und
Initiativen verschließen gerade nicht ihre Augen vor unseren Problemkindern,
sondern zeigen uns Alternativen zum Wohle unserer Kinder und Jugendlichen auf.
Die Gesundheit unserer Kinder bleibt weiterhin eine Herausforderung für die
innerärztliche wie die interprofessionelle Zusammenarbeit. Oder, wie ein
afrikanisches Sprichwort treffend sagt: "Es braucht ein ganzes Dorf, um ein
Kind großzuziehen."
Vielen Dank.
(Beifall)
Präsident Prof. Dr. Dr. h. c. Hoppe: Vielen Dank,
Frau Dr. Goesmann, für Ihren Vortrag und auch die Beispiele, die Sie genannt
haben, wie man mit diesem Problem fertig werden und wie man Projekte
implementieren, steuern und evaluieren kann.
Wir haben jetzt ein - ohne die Referenten irgendwie
kritisieren zu wollen - subkomplettes Bild. Mir liegen bereits 33 Anträge vor.
Das deutet darauf hin, dass viele Delegierte zusätzliche Informationen
wünschen.
Zunächst noch zwei Bemerkungen. Erstens. Heute steht in der
"Frankfurter Allgemeinen Zeitung" auf Seite 8 ein Aufsatz, der einmal nicht von
Berufspolitikern sui generis geschrieben worden ist, sondern von den Herren
Professor Dr. Van Aken, Präsident der Deutschen Gesellschaft für
Anästhesiologie und Intensivmedizin - ein Belgier, der hier in Münster Chef der
Anästhesie ist -, von Herrn Professor Dr. Hiddemann, Erster stellvertretender
Vorsitzender der Deutschen Gesellschaft für Innere Medizin, und Herrn Professor
Dr. Steinau, Präsident der Deutschen Gesellschaft für Chirurgie. Die
Artikelüberschrift lautet: "Schlechte Zeiten für gute Medizin". Da es hier
nicht viele Exemplare der "Frankfurter Allgemeinen Zeitung" gibt, haben wir
diesen Artikel fotokopiert und an Sie austeilen lassen. Dieser Artikel enthält
wirklich sehr wertvolle Informationen. Wenn Sie Lust dazu haben, nehmen Sie
diesen Artikel bitte zur Kenntnis.
Zweitens. Wir haben als Gast geladen - das bedeutet, dass er
das Rederecht hat, wenn er dies möchte - Herrn Professor Michael
Schulte-Markwort aus Berlin, Präsident der Deutschen Gesellschaft für Kinder-
und Jugendpsychiatrie, Psychosomatik und Psychotherapie. Wir haben ihm das
Recht eingeräumt, als erster Redner nach den Referaten unsere Diskussion zu
eröffnen. Bitte schön, Herr Schulte-Markwort.
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