TOP III: Kindergesundheit in Deutschland

Mittwoch, 16. Mai 2007, Nachmittagssitzung

Dr. Goesmann, Referentin: Sehr verehrter Herr Präsident! Sehr verehrter Herr Professor Niethammer! Sehr geehrter Herr Henke! Meine Damen und Herren! Mein Thema lautet: Kindergesundheit in der hausärztlichen Versorgung. Wer wollte oder könnte in Abrede stellen, dass bei der kinderärztlichen Versorgung neben den pädiatrischen Kollegen auch wir Allgemeinmediziner oder Praktischen Ärzte unverzichtbar sind? Vor allem in Flächenstaaten wie etwa meinem Bundesland Niedersachsen versorgen sie, wie ich im Folgenden darstellen werde, viele unserer Kinder - und das in einer Zeit, in der wir im Stadtbild weitaus mehr Menschen mit Rollator als mit Kinderwagen sehen.

Ich möchte Ihnen darlegen, welche Möglichkeiten der Einflussnahme auf die Gesundheit unserer Kinder auf der hausärztlichen Versorgungsebene bestehen, vor allem hinsichtlich der Bereiche, die wir heute besonders beleuchten werden: Gewalt, Vernachlässigung und Misshandlung von Kindern und deren Verhinderung.

Ich werde zur Untermauerung auf Zahlenmaterial aus Niedersachsen zurückgreifen, weil dieses Bundesland regelmäßig etwa 10 Prozent wesentlicher bundesweiter Parameter aufweist und daher als repräsentativ für die Gesamt-BRD angesehen werden kann.

Nach den Abrechnungsstatistiken der Kassenärztlichen Vereinigung Niedersachsen aus den
vier Quartalen II/05 bis I/06 haben hausärztlich tätige Kinder- und Jugendärzte in den Altersgruppen von null bis fünf Jahren noch doppelt so viele Fälle versorgt wie niedersächsische Allgemeinärzte und Praktische Ärzte. In der Altersgruppe von fünf bis neun Jahren gleichen sich die Fallzahlen schon an, während Kinder und Jugendliche von 10 bis 19 Jahren weit überwiegend von Hausärzten, also Allgemeinärzten und Praktischen Ärzten, betreut wurden.

Annähernd dieselbe Verteilung finden wir bei den sogenannten "Unzeitkontakten", also den Behandlungen außerhalb der regulären Sprechzeiten und im ärztlichen Notfalldienst. Hausbesuche dagegen werden bei Kindern ganz überwiegend von Praktikern und Allgemeinärzten gefahren. Lediglich geringe Behandlungszahlen von Kindern und Jugendlichen sieht man bei den hausärztlichen Internisten.

Ähnliche Angaben finden sich bei den Früherkennungsmaßnahmen U 1 bis U 9 und J 1. Diese werden von hausärztlichen Internisten selten abgerechnet. Bis zum 15. Lebensjahr finden sie hauptsächlich in der kinderärztlichen Praxis statt, während dann die J 1 im 12. bis 14. Lebensjahr etwa hälftig von Allgemeinärzten und Pädiatern durchgeführt wird.

Kurz gesagt haben Hausärztinnen und Hausärzte einen nicht unerheblichen Anteil an der Versorgung von Kindern ab dem 6. Lebensjahr, vor allem aber bei Jugendlichen ab dem 10. Jahr. Auffällig schien mir bei meinen Recherchen, dass trotz dieses hohen Versorgungsanteils von Hausärzten bei Kindern und Jugendlichen in keiner einzigen Publikation zu Fragen der Kindergesundheit die Rolle der Hausärzteschaft beschrieben oder gar Kooperationsmöglichkeiten mit Allgemeinärzten für die verschiedensten Initiativen, Aktionsbündnisse, Forschungsvorhaben und politischen Programme in Erwägung gezogen wurden. Offensichtlich leisten Hausärzte ihren umfangreichen Anteil an pädiatrischer Prävention und Kuration ganz selbstverständlich und im Stillen, ebenso offensichtlich aber auch in fachlicher wie in sozialer Hinsicht ohne Beanstandungen.

Es geht mir nicht darum, eine Konkurrenzsituation zwischen einzelnen Fachgruppen hervorzurufen. Tatsache ist, dass Eltern ihre Kinder auch zu Allgemeinärzten bringen. Es gilt, diesen Einfluss auf die kindliche Gesundheit in der Allgemeinpraxis zu nutzen.

Dass Kinder und Jugendliche gemeinsam mit ihren Eltern in der hausärztlichen Praxis versorgt werden, erscheint durchaus sinnvoll, ist doch eine der elementaren Aufgaben des Hausarztes seine familienmedizinische Funktion. Ich zitiere Michael Balint, den Initiator der Balintgruppenbewegung:

Bietet ein Kind in der Praxis Probleme, dann sind diese zu einem Drittel alleine im Kind, zu einem Drittel in der Beziehung zwischen Eltern und Kind und zu einem weiteren Drittel alleine bei den Eltern begründet.

Als Hausärztinnen und Hausärzte begleiten wir Familien ein Berufsleben lang. Ich bin seit 22 Jahren in einem Vorort von Hannover mit sehr gemischter Sozialstruktur und inzwischen hohem Migrantenanteil niedergelassen. Heute betreue ich die Kinder und Enkel, in einzelnen Fällen sogar schon die Urenkel meiner ersten Patienten, und bei den ausländischen Patientinnen und Patienten kenne ich nicht nur die Probleme der Ausgebrannten, nie Integrierten, noch immer nicht Deutsch sprechenden ersten Generation, die in den 60er- und 70er-Jahren zu uns kamen, sondern auch die der Folgegeneration der Entwurzelten, denen Heimat und kulturelle Identität fehlen, die aber ihre Kinder heute wiederum als Deutsche erziehen und sehen möchten.

Hausärzte betreuen Kinder in ihrem sozialen Umfeld und kennen in der Regel ihre Beziehungs-geflechte, die häuslichen Gegebenheiten, die familiären Sorgen und Konflikte, die Ursprungs- und die Patchworkpartner ihrer Eltern und oft auch ihre Lehrer und Erzieherinnen, die zumeist allesamt bei ihnen Patienten sind.

Ich zitiere Altmeyer, Kröger und Hendrischke aus dem Lehrbuch "Allgemeinmedizin":

Die Familienmedizin unterscheidet sich von der klinischen Medizin durch ihren "setting"-bezogenen Ansatz. Demnach werden die Erkenntnisse des Hausarztes erst aus der Beleuchtung einer komplexen, mehrere Personen und deren gemeinsame Lebenswelt betreffenden Konstellation gewonnen. Die familienmedizinischen Aufgaben des Hausarztes gewinnen an Bedeutung, z. B. wenn es um das Wohl von Kindern oder hochaltrigen Menschen oder um die Auswirkungen wirtschaftlicher Einbrüche und Arbeitslosigkeit auf Nahestehende geht. So verändert sich das Anforderungsprofil an die Familienmedizin ständig.

Es geht mir nicht nur um die Behandlung von Kindern durch die Hausärzte, sondern es geht mir auch um den Einfluss auf die Kindergesundheit über die Behandlung der gesamten Familie.

Heutige Aufgaben des Hausarztes erstrecken sich von der Beratung vor einer geplanten Schwangerschaft bis auf die Probleme nach einer ungeplanten Schwangerschaft, über die Bereiche Gesundheitserziehung bis zur Ernährungsberatung und Suchtprävention. Hierdurch erreichen sie Eltern und Kinder. Sie halten ihre Patienten zu Impfungen und Vorsorgeuntersuchungen ihrer Kinder an. Hausärzte leiten Sport- und Gewichtsreduktionsgruppen. Vor allem aber haben sie auch Einfluss auf die Väter und damit auf deren Vorbildhaltung bezüglich Alkohol- und Nikotinkonsum sowie körperlicher Bewegung.

Sowohl die Vorträge des vorletzten Deutschen Ärztetages zum Thema "Armut und Gesundheit" als auch die Ergebnisse des "Kinder- und Jugendgesundheitssurveys (KiGGS)" haben den eindeutigen Zusammenhang zwischen Armut und Gesundheit aufgezeigt. Nicht die Versorgung der Mittelschichtkinder, deren Familien eine enge Hausarztbindung aufweisen und die ihre Kinder in der Regel liebevoll, beständig und grenzenaufzeigend erziehen, stellt die Ärzteschaft vor Probleme; vielmehr dagegen die Versorgung von Kindern der Unterschicht und sozialer Randgruppen, die zumeist weniger Vorsorgeuntersuchungen erhalten, keine feste Hausarztbindung haben und eher Gewalt, Missbrauch und mangelhafter Gesundheitsversorgung ausgesetzt sind.

Um diese Problemklientel zu erreichen und einer auf Prävention fußenden, kontinuierlichen Gesundheitsversorgung zuzuführen, bedarf es folgender struktureller gesundheitspolitischer Rahmenbedingungen:

Es bedarf einer engen Kooperation und Kommunikation ärztlicher Fachgruppen (Allgemeinärzte, Pädiater, öffentlicher Gesundheitsdienst, Kinder- und Jugendpsychiater, Kliniken und Psychotherapeuten) untereinander.

Obwohl zeitintensiv, sollte die Zusammenarbeit auf Augenhöhe mit anderen beteiligten Berufsgruppen, etwa Erziehern, Lehrerschaft, Hebammen und Sozialarbeitern, sowie mit Jugendamt und kommunalem Sozialdienst gepflegt werden. Von mir kontaktierte leitende Mitarbeiter des Jugendamts Hannover und der pädagogischen Bereichsleitung im kommunalen Sozialdienst wünschten sich an erster Stelle, dass Ärztinnen und Ärzte deutlich häufiger die Hilfe des Jugendamts annehmen und es nicht als Feindbild betrachten sollten. Das Finden einer gemeinsamen Sprache über die Probleme der gemeinsam betreuten Kinder, interprofessionelle Fallkonferenzen und runde Tische sowie eine kontinuierliche Kooperation waren weitere Wünsche der Fachberater an die niedersächsische Ärzteschaft.

Da unterprivilegierte Familien in der Regel weniger Arztkontakte und Vorsorgeuntersuchungen in Anspruch nehmen, macht ein Konzept der aufsuchenden Gesundheitsfürsorge Sinn. Neben dem öffentlichen Gesundheitsdienst sind hier insbesondere Hausärztinnen und Hausärzte gefordert. Gerade in ländlichen Regionen und solchen Stadtbezirken, in denen zukünftig ärztlicher Nachwuchsmangel zum Tragen kommen wird und hausärztliche sowie kinderärztliche Praxen nicht wiederbesetzt werden können, findet das gemeinsam von Kassenärztlicher Bundesvereinigung und Bundesärztekammer entwickelte Konzept zur Einbeziehung der gut qualifizierten Medizinischen Fachangestellten - vormals Arzthelferinnen - seine Berechtigung. Fortbildungsmodule und
-inhalte unter anderem in den Bereichen Prävention im Kinder- und Jugendalter und bei Erwachsenen, Ernährungsberatung sowie Patientenkoordinierung und -begleitung sollen die Medizinische Fachangestellte dafür qualifizieren, an sie delegierbare Leistungen inklusive Beratungsangeboten und Hausbesuchen zur Entlastung der Praxisinhaber zu übernehmen. Eine solche aufsuchende, primärärztliche und familienmedizinisch ausgerichtete Patientenbetreuung durch das gesamte Praxisteam - auch vor allem in sozialen Brennpunkten und unterversorgten Gebieten - muss zusätzlich von den Krankenkassenverbänden finanziert werden, erspart aber eine neu einzuziehende Versorgungsebene von beispielsweise Familiengesundheitspflegerinnen oder Gemeindeschwestern. Und sie belässt die ganzheitliche medizinisch-psychosoziale Versorgung in hausärztlicher Hand.

Die Gesundheitsversorgung unterprivilegierter und gefährdeter Gruppen sollte weiter ausgebaut werden. Vor allem bei wohnungslosen Menschen finden sich ein mangelhafter Zugang zur "Regelversorgung" sowie gehäuft Suchtproblematik, Aggression und Vernachlässigung. Keinen Anspruch auf eine geregelte medizinische Versorgung haben die sogenannten Illegalisierten, das heißt Menschen ohne Aufenthaltserlaubnis. Von diesen soll es allein im Großraum Hannover etwa 5 000 geben. In der Region Hannover leben darüber hinaus etwa 2 500 bis 3 000 sogenannte Obdachlose, darunter rund 30 Prozent Frauen und vermutlich 50 bis 80 Kinder. Das von mir im Jahr 1999 ins Leben gerufene medizinische Versorgungsprojekt für Wohnungslose in Hannover, das seither mithilfe von zehn sehr engagierten, ehrenamtlich tätigen Kolleginnen und Kollegen in Form einer Ermächtigungsambulanz der Kassenärztlichen Vereinigung Niedersachsen in Kooperation mit Caritas und Diakonie sehr gut läuft, verzeichnet inzwischen circa 1.100 Arzt-Patienten-Kontakte pro Jahr. Die Sprechstunden bzw. unsere mobile Ambulanz werden derzeit zunehmend auch von illegalisiert lebenden Familien in Anspruch genommen. Zur adäquaten Versorgung von Kindern ohne Wohnung und ohne Aufenthaltsrechte sollten bundesweit ähnliche Sprechstunden flächendeckend eingeführt werden.

Die ärztliche Fortbildung der beteiligten Facharztgruppen sollte insbesondere in den Bereichen "Sucht und Drogen" sowie "häusliche Gewalt gegen Frauen und Kinder" intensiviert werden. Im hausärztlichen Bereich kann durch eine frühe und intensive Beratung von auffälligen oder gefährdeten jungen Mädchen und Frauen einer fetalen Schädigung ihrer Kinder durch Alkohol und Nikotin vorgebeugt werden. Gerade Hausärztinnen und Hausärzten kommt in der Sucht- und Drogenprävention sowie in der Betreuung Betroffener eine große Bedeutung zu. 21 Prozent der 12- bis 19-jährigen Jugendlichen haben mindestens einmal im Leben Cannabis genommen.
37 Prozent der 15-jährigen Jungen und 25 Prozent der 15-jährigen Mädchen trinken bereits regelmäßig Alkohol. Bei hieraus resultierenden Problemen werden Jugendliche eher Hilfe bei ihrem Hausarzt als bei einem Kinder- und Jugendarzt suchen. Die Zusatzbezeichnung "Suchtmedizinische Grundversorgung" streben daher häufig Fachärzte für Allgemeinmedizin an. Etliche davon engagieren sich ebenfalls im Bereich der Methadonsubstitution. In der Bezirksstelle Hannover betreuen 76 Kolleginnen und Kollegen dieses Substitutionsprogramm. 80 Prozent von ihnen sind hausärztlich tätig.

Wegen der durch die Methadongabe verbesserten Lebensumstände suchtkranker Frauen werden diese deutlich häufiger schwanger als während der Phase ihres Heroinkonsums. Die kontinuierliche Betreuung nicht nur während der Schwangerschaft, sondern vor allem die Begleitung solcher Risikomütter mit ihren Neugeborenen stellt eine große Herausforderung für die methadonsubstitu-ierenden Ärztinnen und Ärzte dar. Wir behandeln regelmäßig maximal zehn Methadonpatienten in unserer Praxis. Dabei haben wir bisher zwei Mütter mit insgesamt drei Schwangerschaften so betreuen können, dass sie heute "clean" sind und mit ihren Kindern, die sich gut entwickeln, weiterhin unsere Praxis aufsuchen. Durch die tägliche Methadonvergabe, das heißt den täglichen Arzt-/Helferin-Patienten-Kontakt können die betreuenden Praxen einen nicht zu unterschätzenden Einfluss auf die Entwicklung und Versorgung dieser hochgefährdeten Kinder ausüben.

Neben anderen Facharztgruppen sollten vor allem Hausärztinnen und Hausärzte Fortbildungs-maßnahmen zum Komplex "häusliche Gewalt" absolvieren, da sie die höchsten Fallzahlen von Kindern im ärztlichen Notdienst sowie bei Hausbesuchen aufweisen und erfahrungsgemäß verletzte und missbrauchte Kinder nicht in der regulären Sprechstunde, sondern dem ärztlichen Notdienst vorgestellt werden. Hausärzte sind in der Regel die ersten Ansprechpartner, an die sich Gewaltopfer wenden. Hier nicht wegzusehen, den vorgebrachten Ausreden nicht zu glauben, sondern die betroffenen Frauen oder Mütter direkt mit deren Verletzungsmustern zu konfrontieren und nach erlittener Gewalt sowie den Lebensumständen zu fragen, habe ich mir zur Regel gemacht.

Zu meinem anfänglichen Erstaunen wird mein Angebot, sich öffnen zu wollen und das Gespräch bzw. Hilfe zu suchen, fast immer aufgegriffen. Das kostet nicht nur Zeit in der Sprechstunde, sondern auch eigene Kraft und Ressourcen. Aber nur so werden wir unserem Anspruch, eine umfassende auch psychosoziale Versorgung und Maßnahmen zur Gewaltprävention zu leisten, gerecht.

Ich darf an dieser Stelle Ihr Augenmerk auf die beiden Anträge zum Thema "häusliche Gewalt" lenken und Sie bitten, diese Anträge zu unterstützen.

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Nach den Ergebnissen des heute zeitgleich veröffentlichten Kinder- und Jugendgesundheitssurveys geht es dem allergrößten Teil unserer Kinder und Jugendlichen gut bis sehr gut. Dennoch bleibt noch viel zu tun, damit auch die Versorgung des restlichen, bedauernswerten Teils unseres Nachwuchses noch passgenauer und problemorientierter organisiert werden kann. Zusammengefasst bestehen die speziellen Aufgaben der Hausärzteschaft vor allem darin, ihre Rolle in der Gemeinde für sozialmedizinische Prävention, aufsuchende Gesundheitsfürsorge, in der Versorgung von Migranten und unterprivilegierten Familien zu nutzen.

Ganz wichtig ist hierbei die enge Kooperation der Hausärzteschaft mit Fachärzten für Kinder- und Jugendmedizin und Kinder- und Jugendpsychiatern, den Kolleginnen und Kollegen des öffentlichen Gesundheitsdienstes, deren Arbeit ich an dieser Stelle ausdrücklich würdigen und unterstreichen möchte, mit den anderen im Rahmen der Kindergesundheit arbeitenden Berufsgruppen wie Sozialarbeitern, Hebammen, Physiotherapeuten, Logopäden. Ausgeweitet werden sollten hausärztliche Schulungs- und Informationsangebote für Kindergärten, Sportverein und Schule.

Abschließend möchte ich Ihnen einige wegweisende und beispielhafte Modellprojekte zur Kindergesundheit unter Mitwirkung niedersächsischer Ärztinnen und Ärzte vorstellen:

Erstens. "Fit für Pisa": Hierbei handelt es sich um ein von dem Göttinger Internisten Dr. Thomas Surmann initiiertes und vom BMBF mit 200 000 Euro Preisgeld honoriertes, von der Ärztekammer Niedersachsen unterstütztes Projekt, bei dem wissenschaftlich begleitet vier Grundschulklassen vier Jahre lang täglich eine Sportstunde in der Schule erhalten. Die Ergebnisse dieses Projekts werden Ende 2007 vorgestellt.

Zweitens. Im "Präventionsprojekt Pro Kind" werden erstgebärende Schwangere in sozialen Problemlagen oder nach Gewalterfahrung von Hebammen und Sozialpädagogen bis zum zweiten Lebensjahr des neugeborenen Kindes betreut. Die Kassenärztliche Vereinigung Niedersachsen, der Berufsverband der Frauenärzte und jener der Kinder- und Jugendärzte Niedersachsens unterstützen und wirken mit.

Drittens. Die Stiftung "Eine Chance für Kinder", initiiert durch den langjährigen Leiter des Landesgesundheitsamts, Professor Windorfer, organisiert eine Betreuung von schwangeren und jungen Müttern in sozialen Problemlagen durch Familienhebammen bis zum Ende des ersten Lebensjahres ihres Kindes.

Viertens. Der Leitfaden "Gewalt gegen Kinder", der Früherkennungs- und Handlungsmöglichkeiten sowie Kooperationspartner in Niedersachsen aufzeigt, wurde mithilfe der Ärztekammer Niedersachsen und der Techniker Krankenkasse vollkommen überarbeitet und im Januar 2007 neu aufgelegt und ist auch hier für Sie verfügbar.

Fünftens. Der Arbeitskreis "Häusliche Gewalt" bei der Ärztekammer Niedersachsen, in dem vier Jahre lang Vertreterinnen des Niedersächsischen Sozialministeriums, der Psychotherapeuten-kammer, der Medizinischen Hochschule Hannover, der Rechtsmedizin und zweier Krankenkassen unter meiner Leitung kooperierten, hat neben umfangreichen Materialien für Patientinnen und Patienten ein vierstündiges Fortbildungsmodul auch für die Ärzteschaft erstellt. Sowohl die schriftlichen Materialien als auch die Fortbilder-Teams - das sind Tandem-Teams, die durch die Bundesrepublik reisen und Fortbildung anbieten - können bundesweit angefordert und gebucht bzw. nachgedruckt und weiterverwandt werden.

Meine sehr verehrten Damen und Herren! Im Jahre 1895 begann Hugo von Hofmannsthal seine "Ballade des äußeren Lebens" mit den Worten:

Und Kinder wachsen auf mit tiefen Augen,
Die von nichts wissen, wachsen auf und sterben,
Und alle Menschen gehen ihre Wege.

Die von mir vorgestellten engagierten Berufsgruppen und Initiativen verschließen gerade nicht ihre Augen vor unseren Problemkindern, sondern zeigen uns Alternativen zum Wohle unserer Kinder und Jugendlichen auf. Die Gesundheit unserer Kinder bleibt weiterhin eine Herausforderung für die innerärztliche wie die interprofessionelle Zusammenarbeit. Oder, wie ein afrikanisches Sprichwort treffend sagt: "Es braucht ein ganzes Dorf, um ein Kind großzuziehen."

Vielen Dank.

(Beifall)

Präsident Prof. Dr. Dr. h. c. Hoppe: Vielen Dank, Frau Dr. Goesmann, für Ihren Vortrag und auch die Beispiele, die Sie genannt haben, wie man mit diesem Problem fertig werden und wie man Projekte implementieren, steuern und evaluieren kann.

Wir haben jetzt ein - ohne die Referenten irgendwie kritisieren zu wollen - subkomplettes Bild. Mir liegen bereits 33 Anträge vor. Das deutet darauf hin, dass viele Delegierte zusätzliche Informationen wünschen.

Zunächst noch zwei Bemerkungen. Erstens. Heute steht in der "Frankfurter Allgemeinen Zeitung" auf Seite 8 ein Aufsatz, der einmal nicht von Berufspolitikern sui generis geschrieben worden ist, sondern von den Herren Professor Dr. Van Aken, Präsident der Deutschen Gesellschaft für Anästhesiologie und Intensivmedizin - ein Belgier, der hier in Münster Chef der Anästhesie ist -, von Herrn Professor Dr. Hiddemann, Erster stellvertretender Vorsitzender der Deutschen Gesellschaft für Innere Medizin, und Herrn Professor Dr. Steinau, Präsident der Deutschen Gesellschaft für Chirurgie. Die Artikelüberschrift lautet: "Schlechte Zeiten für gute Medizin". Da es hier nicht viele Exemplare der "Frankfurter Allgemeinen Zeitung" gibt, haben wir diesen Artikel fotokopiert und an Sie austeilen lassen. Dieser Artikel enthält wirklich sehr wertvolle Informationen. Wenn Sie Lust dazu haben, nehmen Sie diesen Artikel bitte zur Kenntnis.

Zweitens. Wir haben als Gast geladen - das bedeutet, dass er das Rederecht hat, wenn er dies möchte - Herrn Professor Michael Schulte-Markwort aus Berlin, Präsident der Deutschen Gesellschaft für Kinder- und Jugendpsychiatrie, Psychosomatik und Psychotherapie. Wir haben ihm das Recht eingeräumt, als erster Redner nach den Referaten unsere Diskussion zu eröffnen. Bitte schön, Herr Schulte-Markwort.

© Bundesärztekammer 2007