Dr. Kalz, Brandenburg: Sehr verehrter Herr
Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Ich stehe hier als Facharzt für
Kinder- und Jugendmedizin. Meine Frau leitet das sozialpädiatrische Zentrum in
unserer Stadt. Wir sind beide "Überzeugungstäter".
Ich möchte mit einer positiven Botschaft beginnen. In
Brandenburg gibt es ein vom Ministerium moderiertes Projekt "Gesund aufwachsen
in Brandenburg". Im Spreewaldgebiet gibt es ein von der regionalen Kinderklinik
angestoßenes Projekt für Neugeborene und ihre Familien, in das Ehrenamtler
einbezogen sind, die diese Familien aufsuchen und den Eltern unter Umständen mit
Rat und Tat zur Seite stehen.
Jetzt möchte ich etwas Wasser in den Wein gießen. Bei uns im
Nordwesten Brandenburgs war die zweite ärztliche Stelle im sozialpädiatrischen
Zentrum monatelang nicht zu besetzen. Die Chefarztstelle der regionalen
Kinderklinik war über ein Jahr lang nicht besetzt. Der öffentliche
Gesundheitsdienst hat Stellenprobleme. Eine Konkurrenzsituation zu den
Hausärzten gibt es bei uns nicht, denn die Hausärzte sind noch knapper als die
Kinderärzte. Wir haben nur noch drei geschlossene Versorgungsbereiche in
Brandenburg; alle anderen sind für Hausärzte geöffnet.
Die Kinder- und Jugendpsychiatrie will ich hier nicht
vernachlässigen, aber sie existiert praktisch nur an den kinderpsychiatrischen
Kliniken. Die Kapazität für die kurative Medizin, die Vorsorgeuntersuchungen
und die Impfprogramme, reicht noch aus. Aber wo ist die Kapazität für das
Herausfinden gefährdeter Familien? Das ist doch kein Abfallprodukt der
ärztlichen Tätigkeit. Woher soll die Kapazität für die aufsuchende Betreuung kommen?
Die pädiatrische Versorgung konzentriert sich schon auf die
mittleren Städte, ab etwa 20.000 bis 30.000 Einwohnern. Fehrbellin,
Rheinsberg und Umgebung sind pädiatriefreie Zonen.
Es ist doch mehr als eine naive Vorstellung, die uns gestern
präsentiert wurde, dass die behandelnden Kinderärzte systematisch die
Hausbesuche machen und dort das familiäre Umfeld studieren. Die Überschrift der
"Frankfurter Allgemeinen Zeitung" von heute: "Ärzte in Sorge um das
Gesundheitswesen" kann man dahin gehend interpretieren: Die Zukunftsszenarien,
die wir hier entwerfen, sind in einigen Regionen Deutschlands schon Gegenwart.
Ich möchte hier nicht als Pessimist vom Rednerpult gehen. Aber
nur mit gut gemeinten Appellen werden wir die zunehmende Ökonomisierung,
Bürokratisierung und den Sparwahn nicht besiegen und auch nicht den
Kinderschutz verbessern können. Kinder brauchen nicht nur die Ressourcen der
Familie, sondern sie brauchen auch gesellschaftliche Ressourcen. Sonst können
wir dies hier sozusagen vergessen.
Danke.
(Beifall)
Präsident Prof. Dr. Dr. h. c. Hoppe: Vielen Dank,
Herr Kalz. - Als nächster Redner Herr Kollege Fleischmann aus Rheinland-Pfalz.
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