TOP III: Kindergesundheit in Deutschland

Mittwoch, 16. Mai 2007, Nachmittagssitzung

Dr. Jäger, Schleswig-Holstein: Herr Präsident! Verehrte Kolleginnen und Kollegen! Ich möchte mich auf den hervorragenden Beitrag von Herrn Henke bzw. auf die Zitate beziehen, die er der Jugendsurveystudie entnommen hat. Dort taucht oft der Begriff "Armut" auf. Ich bitte Sie, bei Ihren Diskussionen mit Politikern darauf hinzuweisen, dass der Begriff "Armut" vielleicht auch einmal erläutert werden sollte. Ich meine nämlich, dass das größte Problem nicht eine finanzielle oder materielle Armut ist, sondern eine geistige, seelische und soziale Armut.

(Beifall)

Das will ich Ihnen gleich an einem Beispiel erläutern. Wenn es so wäre, dass Armut rein finanziell begründet ist, würden arme Leute nicht mehr, sondern weniger Alkohol konsumieren, weil sie das Geld dazu nicht hätten. Sie nehmen auch nicht die kostenlosen Vorsorgeangebote wahr.

Ich möchte Ihnen ein Beispiel aus dem notärztlichen Dienst vortragen. Ich glaube, jeder, der im notärztlichen Dienst tätig ist, kommt in Familien und Wohnungen, wo er gewisse häusliche Bedingungen vorfindet. Einer meiner spektakulärsten Notarzteinsätze erfolgte abends um 22 Uhr. Ich wurde in die Wohnung einer Familie gerufen mit der Meldung: zweijähriges Kind vom Fernseher erschlagen. Zunächst dachte ich, es handele sich um einen Witz, aber leider war es die Realität. Das zweijährige Kind hatte abends um 22 Uhr noch im Kinderzimmer gespielt und den Fernseher vom Regal heruntergezogen und war von diesem getroffen worden, zum Glück nicht tödlich. Man fragt sich: Was macht ein Fernseher im Kinderzimmer eines zweijährigen Kindes? Wenn wir in die Wohnungen dieser Bevölkerungsschichten kommen, finden wir dort regelmäßig Fernseher und Stereoanlagen vor, die deutlich besser sind als diejenigen, die beispielsweise ich in meiner Wohnung habe.

Das heißt, es geht nicht um eine finanzielle Not, sondern um eine soziale, geistige und seelische Not. Wenn man von Armut spricht, ist man geneigt, zu sagen, man müsse diesen Familien mehr Geld zur Verfügung stellen, dann werde alles besser. Ich glaube, das wird nicht der Fall sein. Die Armut ist in diesen Bereichen eine ganz andere als nur eine finanzielle oder materielle Armut.

Es ärgert mich immer, wenn ich hören muss, dass die Rechtsradikalen Zulauf gerade bei den Jugendlichen haben. Warum ist das denn so? Weil sie den Kindern und Jugendlichen Perspektiven bieten. Sie machen mit denen Abenteuercamps, sie machen mit denen Hausaufgabenbetreuung. Warum tun wir das nicht? Wir sollten daraus lernen, den Kindern und Jugendlichen ebenfalls solche Angebote zu unterbreiten.

Danke schön.

(Beifall)

Präsident Prof. Dr. Dr. h. c. Hoppe: Schönen Dank, Herr Jäger. - Als nächster Redner bitte Herr Privatdozent Dr. Scholz aus Hessen.

© Bundesärztekammer 2007