Dr. Jäger, Schleswig-Holstein: Herr Präsident!
Verehrte Kolleginnen und Kollegen! Ich möchte mich auf den hervorragenden
Beitrag von Herrn Henke bzw. auf die Zitate beziehen, die er der
Jugendsurveystudie entnommen hat. Dort taucht oft der Begriff "Armut" auf. Ich
bitte Sie, bei Ihren Diskussionen mit Politikern darauf hinzuweisen, dass der
Begriff "Armut" vielleicht auch einmal erläutert werden sollte. Ich meine
nämlich, dass das größte Problem nicht eine finanzielle oder materielle Armut
ist, sondern eine geistige, seelische und soziale Armut.
(Beifall)
Das will ich Ihnen gleich an einem Beispiel erläutern. Wenn es
so wäre, dass Armut rein finanziell begründet ist, würden arme Leute nicht
mehr, sondern weniger Alkohol konsumieren, weil sie das Geld dazu nicht hätten.
Sie nehmen auch nicht die kostenlosen Vorsorgeangebote wahr.
Ich möchte Ihnen ein Beispiel aus dem notärztlichen Dienst
vortragen. Ich glaube, jeder, der im notärztlichen Dienst tätig ist, kommt in
Familien und Wohnungen, wo er gewisse häusliche Bedingungen vorfindet. Einer
meiner spektakulärsten Notarzteinsätze erfolgte abends um 22 Uhr. Ich wurde in
die Wohnung einer Familie gerufen mit der Meldung: zweijähriges Kind vom
Fernseher erschlagen. Zunächst dachte ich, es handele sich um einen Witz, aber
leider war es die Realität. Das zweijährige Kind hatte abends um 22 Uhr noch im
Kinderzimmer gespielt und den Fernseher vom Regal heruntergezogen und war von
diesem getroffen worden, zum Glück nicht tödlich. Man fragt sich: Was macht ein
Fernseher im Kinderzimmer eines zweijährigen Kindes? Wenn wir in die Wohnungen
dieser Bevölkerungsschichten kommen, finden wir dort regelmäßig Fernseher und
Stereoanlagen vor, die deutlich besser sind als diejenigen, die beispielsweise
ich in meiner Wohnung habe.
Das heißt, es geht nicht um eine finanzielle Not, sondern um
eine soziale, geistige und seelische Not. Wenn man von Armut spricht, ist man
geneigt, zu sagen, man müsse diesen Familien mehr Geld zur Verfügung stellen,
dann werde alles besser. Ich glaube, das wird nicht der Fall sein. Die Armut
ist in diesen Bereichen eine ganz andere als nur eine finanzielle oder
materielle Armut.
Es ärgert mich immer, wenn ich hören muss, dass die
Rechtsradikalen Zulauf gerade bei den Jugendlichen haben. Warum ist das denn so?
Weil sie den Kindern und Jugendlichen Perspektiven bieten. Sie machen mit denen
Abenteuercamps, sie machen mit denen Hausaufgabenbetreuung. Warum tun wir das
nicht? Wir sollten daraus lernen, den Kindern und Jugendlichen ebenfalls solche
Angebote zu unterbreiten.
Danke schön.
(Beifall)
Präsident Prof. Dr. Dr. h. c. Hoppe: Schönen
Dank, Herr Jäger. - Als nächster Redner bitte Herr Privatdozent Dr. Scholz aus
Hessen.
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