TOP III: Kindergesundheit in Deutschland

Mittwoch, 16. Mai 2007, Nachmittagssitzung

Dr. Peters, Rheinland-Pfalz: Verehrte Delegierte! Herr Professor Niethammer hat zum Schluss seines Referats einen Punkt erwähnt, auf den ich mich beziehen möchte. Es geht um die Erstattung eines jährlichen Berichts zur Lage der Kinder und Jugendlichen durch die Bundesregierung. Wir reden im Bundestag jährlich über den Haushalt, wir reden über die Wehrtüchtigkeit. Ich denke, die Kinder sollten es uns wert sein, einmal im Jahr eine Bestandsaufnahme vorzunehmen: Was tun wir für die Kinder? Es soll ja nicht nur geredet werden, es soll auch etwas getan werden. Es darf nicht so sein, dass immer nur Flyer gedruckt werden, sich aber letztlich nichts ändert.

Es ist auch klar: Das gibt es nicht zum Nulltarif, das braucht Geld, anderenfalls bekommen wir die Strukturen einfach nicht verbessert.

Das, was unsere Kinder in den ersten Lebensjahren erfahren, wird sie für den Rest des Lebens prägen. Deshalb müssen wir uns die Strukturen, die wir jetzt schaffen, besonders gut anschauen. Wir wissen: Es gibt keine Gesellschaft ohne Gewalt. So werden auch Kinder in Einrichtungen Gewalt ausgesetzt sein. Wenn wir das nicht gut begleiten, sind die Erfahrungen, die dort gemacht werden, möglicherweise nicht so gut für die Kinder. Dann erleben wir etwas, was wir eigentlich gar nicht haben wollen.

Astrid Lindgren hat die Situation verdeutlicht, als sie 1978 den Friedenspreis des Deutschen Buchhandels erhalten hat. Das ist so gut, dass ich es Ihnen nicht vorenthalten möchte. Wenn Sie erlauben, werde ich es Ihnen kurz vorlesen.

Sie hat von einer Dame berichtet, die ihr eine Geschichte erzählt hat:

"Ich war jung zu jener Zeit, als fast alle Kinder oft geschlagen wurden. Man hielt es für nötig, sie zu schlagen, denn sie sollten artig und gehorsam werden. Alle Mütter und Väter sollten ihre Kinder schlagen, sobald sie etwas getan hatten, von dem Mütter und Väter meinten, daß Kinder es nicht tun sollten. Mein kleiner Junge, Johan, war ein artiger und fröhlicher kleiner Kerl, und ich wollte ihn nicht schlagen. Aber eines Tages kam die Nachbarin zu mir herein und sagte, Johan sei in ihrem Erdbeerbeet gewesen und habe Erdbeeren geklaut und bekäme er jetzt nicht seine Schläge, würde er wohl ein Dieb bleiben, sein Leben lang.

Mit Müttern ist es nun einmal so, daß ihnen angst und bange wird, wenn jemand kommt und sich über ihre Kinder beschwert. Und ich dachte: Vielleicht hat sie recht, jetzt muß ich Johan wohl eine Tracht Prügel verpassen.

Johan saß da und spielte mit seinen Bausteinen - er war ja damals erst fünf Jahre alt -, als ich kam und sagte, daß er nun Prügel bekäme und daß er selbst hinausgehen solle, um eine Rute abzuschneiden. Johan weinte, als er ging. Ich saß in der Küche und wartete.

Es dauerte lange, bis er kam, und weinen tat er noch immer, als er zur Tür hereinschlich. Aber Rute hatte er keine bei sich. ,Mama', sagte er schluchzend, ,ich konnte keine Rute finden, aber hier hast du einen Stein, den du auf mich werfen kannst!' Er reichte mir einen Stein, den größten, der in seiner kleinen Hand Platz fand.

Da begann auch ich zu weinen, denn ich verstand auf einmal, was er sich gedacht hatte: Meine Mama will mir also wehtun, und das kann sie noch besser mit einem Stein. Ich schämte mich. Und ich nahm ihn in die Arme, wir weinten beide soviel wir konnten, und ich dachte bei mir, daß ich niemals, niemals mein Kind schlagen würde.

Und damit ich es ja nicht vergessen würde, nahm ich den Stein und legte ihn in ein Küchenregal, wo ich ihn jeden Tag sehen konnte, und da lag er so lange, bis Johan groß war.

Dieb wurde keiner aus ihm. Das hätte ich gerne meiner Nachbarin erzählen mögen, aber sie war schon lange fortgezogen."

Ja, so sprach die alte Dame, die mir dies alles erzählte, als ich noch sehr jung war. Und ich weiß noch, daß ich mir dachte: Ich werde meine Kinder auch nicht schlagen, sollte ich welche bekommen. Ich bekam zwei Kinder, und ich schlug sie niemals. Trotzdem wurden gute Menschen aus ihnen. Und auch sie schlagen ihre Kinder nicht.

Warum erzähle ich das alles? Es sollte ja vom Frieden die Rede sein. Ich glaube, das tut es auch. In gewisser Weise. Immer noch gibt es viele Mütter und Väter auf der Welt, die ihre Kinder schlagen und glauben, das sei gut.

Sie meinen, Kinder würden artig und gehorsam durch die Schläge. Aber stattdessen werden sie zu solchen Menschen, die gerne selber andere schlagen und weitermachen damit, wenn sie groß sind. Denn wie sollte einer, der sich als Kind an die Gewalt gewöhnt hat, zu einem friedlichen Menschen heranwachsen?

Und wie soll es Frieden geben in der Welt, wenn es keine friedfertigen Menschen gibt? Zu Hause, in den Wohnungen, da muß der Frieden beginnen. Ich glaube, es wäre gut, wenn ein Stein in den Küchenregalen läge, fast überall auf der Welt, als Erinnerung: Schluß mit der Gewalt!

Ich kenne eine Menge Staatsmänner und Politiker, die einen solchen Stein auf dem Küchenregal haben sollten. Aber dann würden sie vielleicht bloß die Steine nehmen und hinausgehen und einander die Schädel damit einschlagen. Denn glaubt man an Gewalt, dann handelt man auch so!

Ich glaube, wir müssen zusehen, dass wir unseren Kindern eine gute Zukunft bescheren - alle zusammen.

Vielen Dank.

(Beifall)

Präsident Prof. Dr. Dr. h. c. Hoppe: Vielen Dank. Ich habe Sie nicht unterbrochen, obwohl Sie die Redezeit weit überschritten haben, weil ich mir dachte, es wäre zu schade gewesen, wenn Sie den zweiten Teil der Geschichte möglicherweise erst nach zehn weiteren Wortmeldungen hätten vortragen können. - Als nächste Rednerin bitte Frau Dr. Ende aus Hessen.

© Bundesärztekammer 2007