TOP III: Kindergesundheit in Deutschland

Mittwoch, 16. Mai 2007, Nachmittagssitzung

Merchel, Westfalen-Lippe: Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Die Gesundheit der Kinder ist ein gesellschaftliches Problem. Es ist nicht primär ein medizinisches Problem. Das hat Herr Peters eben dargestellt. Wir müssen den Kindern ein normales Leben vorleben.

Der Staat hat sich in den letzten Jahren und Jahrzehnten aus der Gesundheitsfürsorge herausgeschlichen. Ich weiß noch, dass ich mit meiner Mutter und meinen Geschwistern regelmäßig zur Mütterberatung gegangen bin. Dort wurde der Impfschutz überprüft, es wurde aufgeklärt. Das gibt es schon lange nicht mehr.

Meine ältere Tochter wurde noch gegen Röteln geimpft, bei der zweiten Tochter war es schon nicht mehr der Fall. Dafür interessiert sich niemand mehr. Im Nachbarort gibt es eine Masernepidemie, aber die Schulen wissen nicht einmal, ob die Kinder geschützt sind oder nicht. Sie wissen auch nicht, ob die Lehrer geimpft sind.

Der Staat hat Hilfsangebote, die es früher gab, längst abgeschafft. Auch heutzutage werden Gelder für Frauenberatungsstellen und für misshandelte Kinder eher zusammengestrichen.

Ich denke, wir brauchen mehr Hilfsangebote, die man wahrnehmen kann, und zwar ohne dass derjenige, der dorthin geht, Konsequenzen und Strafen zu befürchten hat. Wenn ich als Frauenarzt eine junge Schwangere in komplizierten Familienverhältnissen behandle, will ich sie nicht anschwärzen, sodass die Frau Angst hat, das Kind nicht behalten zu können, sondern ich will ihr Hilfsangebote unterbreiten. Diese aber gibt es fast nicht. Ich weiß gar nicht, wohin ich sie zur weiteren Betreuung schicken soll. Das fehlt. Hier geht es primär um eine staatliche und nicht um eine medizinische Aufgabe.

Hier liegen uns 38 Anträge vor. Die meisten dieser Anträge enthalten in meinen Augen den Ruf nach einer Staatsmedizin. Im letzten Jahr sind wir auf die Straße gegangen und haben gegen die Staatsmedizin protestiert; jetzt fordern wir eine Impfpflicht, eine Vorsorgepflicht, eine Kontrollüberwachung der Ärzte. Das ist nach meiner Auffassung mit einer freiheitlichen Gesellschaftsordnung nicht zu vereinbaren. Ansonsten ist der Wunsch des Menschen das oberste Gebot. Bei der Sterbehilfe, bei der Transplantation sprechen wir davon, aber hier muss der Staat auf einmal wieder eingreifen. Ich denke, wir sollten den Staat fordern. Er hat das Geld dafür. Wir sollten unsere Kompetenz einbringen, aber in diesem Bereich nicht nach der Staatsmedizin rufen.

Danke schön.

(Beifall)

Präsident Prof. Dr. Dr. h. c. Hoppe: Danke. Ich denke, darauf werden die Herren Referenten noch eingehen. Es ist ein Unterschied, ob Staatsmedizin oder staatliche Vorgaben durch eine durch Ärzte zu praktizierende Medizin gemeint sind. Aber das wird gleich noch auszudiskutieren sein. - Der nächste Redner ist Herr Dr. Kalz aus Brandenburg.

© Bundesärztekammer 2007