Dr. Bartmann, Vorstand der Bundesärztekammer:
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren Kolleginnen und Kollegen!
Sie wissen alle: Die öffentliche Diskussion über die Gesundheitskarte - man
sollte sich die Nomenklatur gleich richtig angewöhnen: über das Gesundheitskartenprojekt
nach § 291 a SGB V - ist stärker als andere und auch stärker als andere
vergleichbare Themen durch politische und ideologische Faktoren überlagert,
vorsichtig ausgedrückt. Man muss auch hinzufügen: nicht nur von der anderen
Seite.
Herr Präsident Hoppe sprach in seiner Eröffnungsrede von einem
Minenfeld. Der Gang durch vermintes Terrain wird nicht gerade einfacher und
gefahrloser, wenn Minen ganz unterschiedlicher Bauart gleich von mehreren
Parteien und Kombattanten vorhanden sind. Diskussionen in dieser Gemengelage
zeichnen sich daher zwangsläufig in erster Linie durch ihre Länge und weniger
durch die Rationalität ihrer Ergebnisse aus.
Ich möchte daher vor Eintritt in die eigentliche Debatte über
das Gesundheitskartenprojekt und die damit verbundenen Anträge den Versuch
unternehmen, sozusagen ein Sachgerüst einzuziehen, an dem sich einerseits, wenn
es mir denn gelingen sollte, die Diskussion orientieren kann, welches
gleichwohl aber auch die Schärfe der Diktion in unserer Vorstandsvorlage V-3
erklärt und damit unterstützt. Ich möchte Sie ganz herzlich bitten, mir
zunächst einmal zuzuhören und nicht bei jedem Reizwort - solche werden
zwangsläufig vorkommen - sich gleich in die mentale Emigration zu
verabschieden.
Die neue Gesundheitskarte soll die seit 1995 bekannte
Krankenversicherungskarte ersetzen. Das ist sicher. Das werden wir nicht
verhindern können, weil es ein gesetzlich vorgeschriebener Verwaltungsakt der
Krankenkassen ist. Rein optisch unterscheidet sich die Karte von der alten in
erster Linie durch ein Foto des Versicherten auf der Karte. Das dient der
Funktionalität dieser Karte als Sichtausweis und hat mit Telematik nicht das
Geringste zu tun.
Auch die Abdeckung des Mikrochips sieht ganz ähnlich aus. Der
Mikrochip ist ja sehr viel kleiner als dieser goldene Abdruck. Er ist mit einer
Länge von ungefähr 4 Millimetern in die Karte eingelassen. Dieser Mikrochip
unterscheidet sich ganz wesentlich von jenem auf der alten Karte. Der Mikrochip
auf der alten Karte konnte nur eines: Daten speichern und abgeben. Der neue
Mikrochip ist dagegen wie ein kleiner Computer. Er kann also nicht nur Daten
speichern und abgeben, sondern er kann auch Daten empfangen, also so, wie Sie
das zu Hause an Ihrem PC auch tun, nur mit einem anderen Bedienungsinstrument.
Im Regeleinsatz spielt dieser Unterschied zunächst überhaupt keine Rolle. Sie
stecken die neue wie die alte Krankenversicherungskarte in ein passendes Lesegerät
- angeblich gibt es in den Praxen der Bundesrepublik schon circa 50 000
solcher Lesegeräte -, und die Stammdaten des Patienten werden wie bisher
ausgelesen. Es erfolgt also eine Übertragung von Kartendaten auf Ihren
Praxis-PC. Das dauerte nach den ersten Testergebnissen - ich kenne solche nur
aus Flensburg - länger als bei der alten Krankenversicherungskarte. Daran ist
heftig gearbeitet worden; hier geht es um Sekundenbruchteile. Mittlerweile
liegen die Zeiten bereits im tolerabel erscheinenden Bereich.
Im nächsten Abschnitt der jetzt anlaufenden
10 000er-Testphase können zusätzlich - das ist neu - Daten auf die Karte
übertragen werden. Das betrifft zunächst ausschließlich § 291 a Abs. 2 Satz 1
SGB V. Ich zitiere:
die Übermittlung ärztlicher Verordnungen in
elektronischer und maschinell verwertbarer Form
Es geht also um das E-Rezept. Mithilfe des Heilberufeausweises
des Apothekers werden die Rezeptdaten ausgelesen, und das Medikament wird,
sofern auf Lager, ausgehändigt.
Parallel zum Transport auf der Karte wird auch die Form des
verschlüsselten
E-Rezept-Transports über einen Server, von dem das Rezept dann mithilfe der
Gesundheitskarte und wiederum mithilfe des Heilberufeausweises des Apothekers
abgerufen werden kann, erprobt. Dies sollte nach dem Willen der Kostenträger
ursprünglich die einzige Übertragungsform sein. Die Übertragung physisch in der
Hand des Patienten auf der Karte ist auf Drängen der Ärzteschaft mit in die
Probephase aufgenommen worden. Herr Baumgärtner meinte, ein AOK-Vertreter habe
gesagt, es sei ja noch gar nicht entschieden, ob die Daten auf der Karte oder
auf dem Server gespeichert werden sollen. Das ist die einzige Anwendung, bei
der es überhaupt alternativ und strittig ist. Das wird demnächst aufgrund der
Testergebnisse zur Entscheidung anstehen.
Am weiteren Datenfluss ändert sich in beiden Fällen, also in
der Übertragung physisch über die Karte in der Hand des Patienten oder über den
Server, absolut nichts. Schon heute werden die Daten des Papierrezepts
digitalisiert, über Apothekenrechenzentren an die Krankenkassen und von diesen
an die Kassenärztlichen Vereinigungen weitergeleitet. Gleiches gilt im Übrigen
auch für die Abrechnungsdaten nach § 295 SGB V. Auch an deren Weiterleitung
ändert sich nach der derzeitigen Rechtslage nichts.
Im Grunde genommen also nichts Neues. Durch den Transport auf
der Karte in verschlüsselter Form über einen Server erhalten die Krankenkassen
keine zusätzlichen Informationen über das hinaus, was ihnen bereits heute zur
Verfügung steht.
Im nächstfolgenden Schritt können diejenigen Patienten, die
das wollen - das werden diejenigen sein, die befürchten müssen, dass ihre
Situation im Falle einer Bewusstlosigkeit wegen einer Vorerkrankung falsch
eingeschätzt werden könnte und sie dadurch eventuell zu Schaden kommen könnten
-, mithilfe eines Arztes einen Notfalldatensatz auf die Karte schreiben lassen.
Viele dieser potenziell betroffenen Patienten tragen bereits heute dies in
Papierform bei sich, wobei das Auffinden eher dem Zufall überlassen bleibt.
Dieser Datensatz kann nur komplett aufgetragen und auch nur komplett wieder
gelöscht werden, und zwar nur mithilfe des Arztausweises. Der Patient kann
seine Daten zwar einsehen, aber - um mit einem weit verbreiteten
Missverständnis, das ich immer wieder höre, aufzuräumen - er kann diese nicht
verändern.
Mehr Patientendaten werden nach der heutigen Spezifikation
nicht auf der Karte gespeichert. Aber die Karte enthält einen Schlüssel. Das
ist gemeint mit der Formulierung in § 291 a Abs. 3 SGB V:
Über Absatz 2 hinaus muss die Gesundheitskarte geeignet
sein, folgende Anwendungen zu unterstützen .
Eben nur zu unterstützen, nicht, als Träger zur Verfügung zu
stehen. Dann werden enumerativ die Ihnen bekannten sogenannten freiwilligen
Anwendungen aufgezählt.
Dieser Schlüssel zerhackt alle Daten in für Dritte
unleserliche Hieroglyphen. Nur derjenige, der diese Karte im Besitz hat und
gleichzeitig die PIN kennt, die mit dieser Karte verbunden ist, kann diese
Daten wieder lesbar machen.
Kolleginnen und Kollegen, es macht also wenig Sinn, sich in
einer Resolution um die Sicherheit von Patientendaten zu sorgen, und im selben
Atemzug ausgerechnet die Gesundheitskarte abschaffen oder gar nicht erst
einführen zu wollen; denn die Gesundheitskarte ist das entscheidende
Sicherheits- und Entschlüsselungswerkzeug in der Hand des Patienten. Es ist das
entscheidende Werkzeug zum Schutz der sensiblen Patientendaten.
Über weitere Anwendungen der Patienten- oder der
Gesundheitskarte - ganz ähnliche Begriffe, aber mit unterschiedlicher Bedeutung
und Tragweite - ist bisher in den Fachgremien noch nicht einmal ansatzweise
diskutiert worden. Von daher können sie auch noch nicht Gegenstand eines
Sachstandsberichts sein.
Kolleginnen und Kollegen, soweit scheint alles ganz
unspektakulär, keineswegs aber, wie mir kürzlich in einer Diskussion
vorgehalten wurde, euphorisierend. Nein, das ist es nicht, denn viele - auch
unsere - Bedenken richten sich darauf, ob die in der Begründung für die
Einführung der Gesundheitskarte immer wieder hervorgehobene Verbesserung der
Transparenz wirklich diejenige ist, die wir Ärzte meinen, wenn wir uns vom
Einsatz von Telematik und Informationstechnologie einen schnelleren und
umfassenderen Zugriff auf die Daten der von uns behandelten Patienten erhoffen.
Sollten Politiker und Kassenvertreter, die mit dem Begriff der Transparenz in
der Öffentlichkeit hausieren gehen, tatsächlich damit meinen, dass es für Ärzte
und Patienten leichter werden soll, den Überblick über teils immer komplexer
werdende Biografien zu bekommen und erhalten zu können, würden wir dies ja
nicht nur sehr gerne nachvollziehen, sondern ausdrücklich begrüßen. Bis zum
Beweis des Gegenteils muss man allerdings befürchten, dass sie diese Aussage
auf ihre eigene Interessenlage gemünzt sehen. Da würde ich gern wissen, was sie
im Schilde führen.
Die gesetzlichen Regelungen zur Gesundheitskarte sind im
Übrigen eindeutig. Ein Zugriff durch Kassen, den Staat oder andere Dritte ist
nicht gestattet. So muss das bleiben. Das muss technisch sicher gewährleistet
sein, damit nicht eine Gesetzesänderung morgen etwas anderes bewirken kann als
das, was zurzeit im Gesetz steht. Genau das verbirgt sich unter dem ersten
Spiegelstrich im ersten Absatz unserer gemeinsamen Erklärung, deren
Unterstützung der Vorstand im Antrag V-3 empfiehlt.
Selbstverständlich werden wir ein Projekt Gesundheitskarte
auch dann nicht weiter unterstützen können, wenn es nicht von Beginn an Nutzen
für Patienten und Ärzte bringt oder im Gegenteil sogar die Abläufe in den
Praxen empfindlich gestört werden könnten. Auch dies ist in der gemeinsamen
Erklärung zur Gesundheitskarte und in vielen weiteren Anträgen, die heute hier
zur Abstimmung vorliegen, enthalten.
Aber, meine Damen und Herren Kolleginnen und Kollegen, einen
Ausstieg, sogar einen kompletten Projektausstieg, wie es an mancher Stelle
gefordert wird, halte ich zum jetzigen Zeitpunkt für absolut verfehlt. Ich
möchte die Gelegenheit nutzen, den Kolleginnen und Kollegen, die sich an den
Tests beteiligen, von dieser Stelle für ihre Arbeit und ihr Engagement
ausdrücklich zu danken, das sie letztendlich für uns alle leisten.
(Beifall)
Erst in dieser Erprobung wird herauskommen können, ob wir
letztendlich unsere Forderungen an das Projekt in letzter Konsequenz
gewährleistet sehen und damit die Fortführung des Kartenprojekts weiter
unterstützen können.
Nun zum letzten und mitentscheidenden Punkt: der Finanzierung.
Im Gesetz ist auch dies klar geregelt. Es gibt auch eine Grundsatzvereinbarung
der Spitzenverbände der Krankenkassen mit den Leistungsträgern im
Gesundheitswesen. Für die Tests ist das ganz klar: Es gibt 6 200 Euro,
nämlich 3 000 Euro für die Infrastruktur und 3 200 Euro für Aufwand,
Schulung etc. Für den Regelbetrieb müssen von den zuständigen
Verhandlungspartnern, zu denen für uns als Ärzte die KBV und die Deutsche
Krankenhausgesellschaft gehören, Verhandlungsergebnisse erzielt werden, die
sicherstellen, dass nicht die Ärzte ein Projekt finanzieren, welches im
Ergebnis Nutzen für die gesamte Gesellschaft verspricht. Auch hierzu haben wir
uns in der gemeinsamen Erklärung und entsprechend dem Antrag des Vorstands V-3
klar positioniert: Die Telematik-bedingten Kosten sind zu erstatten. Punkt,
aus, basta!
(Beifall)
Präsident Prof. Dr. Dr. h. c. Hoppe: Herzlichen
Dank, Herr Bartmann, für den Vortrag. Ich glaube, jeder ist jetzt informiert.
Wir können in die Diskussion eintreten.
Wir werden, wenn Sie einverstanden sind, folgendes Verfahren
anwenden, das sehr logisch ist. Wir werden später zunächst über den Antrag 2
abstimmen, der sich nur mit dem elektronischen Arztausweis beschäftigt, nicht
mit der Gesundheitskarte. Die Anträge 35 und 97 laufen beide darauf hinaus, die
ganze Idee zu verwerfen, also abzulehnen. Wenn diese Anträge angenommen werden,
brauchen wir uns mit dem Rest nicht mehr zu befassen. Wenn aber diese kategorische
Generalablehnung nicht durchkommt, werden wir uns mit den Anträgen, die ansonsten
gestellt worden sind, die unterhalb dieser strengen Totalablehnung liegen, die
aber Modifikationen, Neuanfänge und dergleichen enthalten, befassen.
Unter diesen Kautelen bitte ich jetzt die Redner, das Wort zu
ergreifen. Es ist schriftlich eine Redezeitbegrenzung von drei Minuten
beantragt worden. Wer möchte die Redezeit auf drei Minuten begrenzen? - Wer ist
dagegen? - Wer enthält sich? - Damit ist die Begrenzung der Redezeit auf drei
Minuten beschlossen.
Wir beginnen mit der Rednerliste. Der erste Redner ist Herr
Dr. Brunngraber aus Niedersachsen.
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