TOP V: Tätigkeitsbericht der Bundesärztekammer

Freitag, 18. Mai 2007, Vormittagssitzung

Dr. Bartmann, Vorstand der Bundesärztekammer: Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren Kolleginnen und Kollegen! Sie wissen alle: Die öffentliche Diskussion über die Gesundheitskarte - man sollte sich die Nomenklatur gleich richtig angewöhnen: über das Gesundheitskartenprojekt nach § 291 a SGB V - ist stärker als andere und auch stärker als andere vergleichbare Themen durch politische und ideologische Faktoren überlagert, vorsichtig ausgedrückt. Man muss auch hinzufügen: nicht nur von der anderen Seite.

Herr Präsident Hoppe sprach in seiner Eröffnungsrede von einem Minenfeld. Der Gang durch vermintes Terrain wird nicht gerade einfacher und gefahrloser, wenn Minen ganz unterschiedlicher Bauart gleich von mehreren Parteien und Kombattanten vorhanden sind. Diskussionen in dieser Gemengelage zeichnen sich daher zwangsläufig in erster Linie durch ihre Länge und weniger durch die Rationalität ihrer Ergebnisse aus.

Ich möchte daher vor Eintritt in die eigentliche Debatte über das Gesundheitskartenprojekt und die damit verbundenen Anträge den Versuch unternehmen, sozusagen ein Sachgerüst einzuziehen, an dem sich einerseits, wenn es mir denn gelingen sollte, die Diskussion orientieren kann, welches gleichwohl aber auch die Schärfe der Diktion in unserer Vorstandsvorlage V-3 erklärt und damit unterstützt. Ich möchte Sie ganz herzlich bitten, mir zunächst einmal zuzuhören und nicht bei jedem Reizwort - solche werden zwangsläufig vorkommen - sich gleich in die mentale Emigration zu verabschieden.

Die neue Gesundheitskarte soll die seit 1995 bekannte Krankenversicherungskarte ersetzen. Das ist sicher. Das werden wir nicht verhindern können, weil es ein gesetzlich vorgeschriebener Verwaltungsakt der Krankenkassen ist. Rein optisch unterscheidet sich die Karte von der alten in erster Linie durch ein Foto des Versicherten auf der Karte. Das dient der Funktionalität dieser Karte als Sichtausweis und hat mit Telematik nicht das Geringste zu tun.

Auch die Abdeckung des Mikrochips sieht ganz ähnlich aus. Der Mikrochip ist ja sehr viel kleiner als dieser goldene Abdruck. Er ist mit einer Länge von ungefähr 4 Millimetern in die Karte eingelassen. Dieser Mikrochip unterscheidet sich ganz wesentlich von jenem auf der alten Karte. Der Mikrochip auf der alten Karte konnte nur eines: Daten speichern und abgeben. Der neue Mikrochip ist dagegen wie ein kleiner Computer. Er kann also nicht nur Daten speichern und abgeben, sondern er kann auch Daten empfangen, also so, wie Sie das zu Hause an Ihrem PC auch tun, nur mit einem anderen Bedienungsinstrument. Im Regeleinsatz spielt dieser Unterschied zunächst überhaupt keine Rolle. Sie stecken die neue wie die alte Krankenversicherungskarte in ein passendes Lesegerät - angeblich gibt es in den Praxen der Bundesrepublik schon circa 50 000 solcher Lesegeräte -, und die Stammdaten des Patienten werden wie bisher ausgelesen. Es erfolgt also eine Übertragung von Kartendaten auf Ihren Praxis-PC. Das dauerte nach den ersten Testergebnissen - ich kenne solche nur aus Flensburg - länger als bei der alten Krankenversicherungskarte. Daran ist heftig gearbeitet worden; hier geht es um Sekundenbruchteile. Mittlerweile liegen die Zeiten bereits im tolerabel erscheinenden Bereich.

Im nächsten Abschnitt der jetzt anlaufenden 10 000er-Testphase können zusätzlich - das ist neu - Daten auf die Karte übertragen werden. Das betrifft zunächst ausschließlich § 291 a Abs. 2 Satz 1 SGB V. Ich zitiere:

die Übermittlung ärztlicher Verordnungen in elektronischer und maschinell verwertbarer Form

Es geht also um das E-Rezept. Mithilfe des Heilberufeausweises des Apothekers werden die Rezeptdaten ausgelesen, und das Medikament wird, sofern auf Lager, ausgehändigt.

Parallel zum Transport auf der Karte wird auch die Form des verschlüsselten
E-Rezept-Transports über einen Server, von dem das Rezept dann mithilfe der Gesundheitskarte und wiederum mithilfe des Heilberufeausweises des Apothekers abgerufen werden kann, erprobt. Dies sollte nach dem Willen der Kostenträger ursprünglich die einzige Übertragungsform sein. Die Übertragung physisch in der Hand des Patienten auf der Karte ist auf Drängen der Ärzteschaft mit in die Probephase aufgenommen worden. Herr Baumgärtner meinte, ein AOK-Vertreter habe gesagt, es sei ja noch gar nicht entschieden, ob die Daten auf der Karte oder auf dem Server gespeichert werden sollen. Das ist die einzige Anwendung, bei der es überhaupt alternativ und strittig ist. Das wird demnächst aufgrund der Testergebnisse zur Entscheidung anstehen.

Am weiteren Datenfluss ändert sich in beiden Fällen, also in der Übertragung physisch über die Karte in der Hand des Patienten oder über den Server, absolut nichts. Schon heute werden die Daten des Papierrezepts digitalisiert, über Apothekenrechenzentren an die Krankenkassen und von diesen an die Kassenärztlichen Vereinigungen weitergeleitet. Gleiches gilt im Übrigen auch für die Abrechnungsdaten nach § 295 SGB V. Auch an deren Weiterleitung ändert sich nach der derzeitigen Rechtslage nichts.

Im Grunde genommen also nichts Neues. Durch den Transport auf der Karte in verschlüsselter Form über einen Server erhalten die Krankenkassen keine zusätzlichen Informationen über das hinaus, was ihnen bereits heute zur Verfügung steht.

Im nächstfolgenden Schritt können diejenigen Patienten, die das wollen - das werden diejenigen sein, die befürchten müssen, dass ihre Situation im Falle einer Bewusstlosigkeit wegen einer Vorerkrankung falsch eingeschätzt werden könnte und sie dadurch eventuell zu Schaden kommen könnten -, mithilfe eines Arztes einen Notfalldatensatz auf die Karte schreiben lassen. Viele dieser potenziell betroffenen Patienten tragen bereits heute dies in Papierform bei sich, wobei das Auffinden eher dem Zufall überlassen bleibt. Dieser Datensatz kann nur komplett aufgetragen und auch nur komplett wieder gelöscht werden, und zwar nur mithilfe des Arztausweises. Der Patient kann seine Daten zwar einsehen, aber - um mit einem weit verbreiteten Missverständnis, das ich immer wieder höre, aufzuräumen - er kann diese nicht verändern.

Mehr Patientendaten werden nach der heutigen Spezifikation nicht auf der Karte gespeichert. Aber die Karte enthält einen Schlüssel. Das ist gemeint mit der Formulierung in § 291 a Abs. 3 SGB V:

Über Absatz 2 hinaus muss die Gesundheitskarte geeignet sein, folgende Anwendungen zu unterstützen .

Eben nur zu unterstützen, nicht, als Träger zur Verfügung zu stehen. Dann werden enumerativ die Ihnen bekannten sogenannten freiwilligen Anwendungen aufgezählt.

Dieser Schlüssel zerhackt alle Daten in für Dritte unleserliche Hieroglyphen. Nur derjenige, der diese Karte im Besitz hat und gleichzeitig die PIN kennt, die mit dieser Karte verbunden ist, kann diese Daten wieder lesbar machen.

Kolleginnen und Kollegen, es macht also wenig Sinn, sich in einer Resolution um die Sicherheit von Patientendaten zu sorgen, und im selben Atemzug ausgerechnet die Gesundheitskarte abschaffen oder gar nicht erst einführen zu wollen; denn die Gesundheitskarte ist das entscheidende Sicherheits- und Entschlüsselungswerkzeug in der Hand des Patienten. Es ist das entscheidende Werkzeug zum Schutz der sensiblen Patientendaten.

Über weitere Anwendungen der Patienten- oder der Gesundheitskarte - ganz ähnliche Begriffe, aber mit unterschiedlicher Bedeutung und Tragweite - ist bisher in den Fachgremien noch nicht einmal ansatzweise diskutiert worden. Von daher können sie auch noch nicht Gegenstand eines Sachstandsberichts sein.

Kolleginnen und Kollegen, soweit scheint alles ganz unspektakulär, keineswegs aber, wie mir kürzlich in einer Diskussion vorgehalten wurde, euphorisierend. Nein, das ist es nicht, denn viele - auch unsere - Bedenken richten sich darauf, ob die in der Begründung für die Einführung der Gesundheitskarte immer wieder hervorgehobene Verbesserung der Transparenz wirklich diejenige ist, die wir Ärzte meinen, wenn wir uns vom Einsatz von Telematik und Informationstechnologie einen schnelleren und umfassenderen Zugriff auf die Daten der von uns behandelten Patienten erhoffen. Sollten Politiker und Kassenvertreter, die mit dem Begriff der Transparenz in der Öffentlichkeit hausieren gehen, tatsächlich damit meinen, dass es für Ärzte und Patienten leichter werden soll, den Überblick über teils immer komplexer werdende Biografien zu bekommen und erhalten zu können, würden wir dies ja nicht nur sehr gerne nachvollziehen, sondern ausdrücklich begrüßen. Bis zum Beweis des Gegenteils muss man allerdings befürchten, dass sie diese Aussage auf ihre eigene Interessenlage gemünzt sehen. Da würde ich gern wissen, was sie im Schilde führen.

Die gesetzlichen Regelungen zur Gesundheitskarte sind im Übrigen eindeutig. Ein Zugriff durch Kassen, den Staat oder andere Dritte ist nicht gestattet. So muss das bleiben. Das muss technisch sicher gewährleistet sein, damit nicht eine Gesetzesänderung morgen etwas anderes bewirken kann als das, was zurzeit im Gesetz steht. Genau das verbirgt sich unter dem ersten Spiegelstrich im ersten Absatz unserer gemeinsamen Erklärung, deren Unterstützung der Vorstand im Antrag
V-3 empfiehlt.

Selbstverständlich werden wir ein Projekt Gesundheitskarte auch dann nicht weiter unterstützen können, wenn es nicht von Beginn an Nutzen für Patienten und Ärzte bringt oder im Gegenteil sogar die Abläufe in den Praxen empfindlich gestört werden könnten. Auch dies ist in der gemeinsamen Erklärung zur Gesundheitskarte und in vielen weiteren Anträgen, die heute hier zur Abstimmung vorliegen, enthalten.

Aber, meine Damen und Herren Kolleginnen und Kollegen, einen Ausstieg, sogar einen kompletten Projektausstieg, wie es an mancher Stelle gefordert wird, halte ich zum jetzigen Zeitpunkt für absolut verfehlt. Ich möchte die Gelegenheit nutzen, den Kolleginnen und Kollegen, die sich an den Tests beteiligen, von dieser Stelle für ihre Arbeit und ihr Engagement ausdrücklich zu danken, das sie letztendlich für uns alle leisten.

(Beifall)

Erst in dieser Erprobung wird herauskommen können, ob wir letztendlich unsere Forderungen an das Projekt in letzter Konsequenz gewährleistet sehen und damit die Fortführung des Kartenprojekts weiter unterstützen können.

Nun zum letzten und mitentscheidenden Punkt: der Finanzierung. Im Gesetz ist auch dies klar geregelt. Es gibt auch eine Grundsatzvereinbarung der Spitzenverbände der Krankenkassen mit den Leistungsträgern im Gesundheitswesen. Für die Tests ist das ganz klar: Es gibt 6 200 Euro, nämlich 3 000 Euro für die Infrastruktur und 3 200 Euro für Aufwand, Schulung etc. Für den Regelbetrieb müssen von den zuständigen Verhandlungspartnern, zu denen für uns als Ärzte die KBV und die Deutsche Krankenhausgesellschaft gehören, Verhandlungsergebnisse erzielt werden, die sicherstellen, dass nicht die Ärzte ein Projekt finanzieren, welches im Ergebnis Nutzen für die gesamte Gesellschaft verspricht. Auch hierzu haben wir uns in der gemeinsamen Erklärung und entsprechend dem Antrag des Vorstands V-3 klar positioniert: Die Telematik-bedingten Kosten sind zu erstatten. Punkt, aus, basta!

(Beifall)

Präsident Prof. Dr. Dr. h. c. Hoppe: Herzlichen Dank, Herr Bartmann, für den Vortrag. Ich glaube, jeder ist jetzt informiert. Wir können in die Diskussion eintreten.

Wir werden, wenn Sie einverstanden sind, folgendes Verfahren anwenden, das sehr logisch ist. Wir werden später zunächst über den Antrag 2 abstimmen, der sich nur mit dem elektronischen Arztausweis beschäftigt, nicht mit der Gesundheitskarte. Die Anträge 35 und 97 laufen beide darauf hinaus, die ganze Idee zu verwerfen, also abzulehnen. Wenn diese Anträge angenommen werden, brauchen wir uns mit dem Rest nicht mehr zu befassen. Wenn aber diese kategorische Generalablehnung nicht durchkommt, werden wir uns mit den Anträgen, die ansonsten gestellt worden sind, die unterhalb dieser strengen Totalablehnung liegen, die aber Modifikationen, Neuanfänge und dergleichen enthalten, befassen.

Unter diesen Kautelen bitte ich jetzt die Redner, das Wort zu ergreifen. Es ist schriftlich eine Redezeitbegrenzung von drei Minuten beantragt worden. Wer möchte die Redezeit auf drei Minuten begrenzen? - Wer ist dagegen? - Wer enthält sich? - Damit ist die Begrenzung der Redezeit auf drei Minuten beschlossen.

Wir beginnen mit der Rednerliste. Der erste Redner ist Herr Dr. Brunngraber aus Niedersachsen.

© Bundesärztekammer 2007