Eröffnungsveranstaltung

Dienstag, 20. Mai 2008, Vormittagssitzung

Dr. Monika Stolz, MdL, Ministerin für Arbeit und Soziales des Landes Baden-Württemberg: Sehr geehrter Herr Präsident Professor Hoppe! Sehr geehrte Frau Präsidentin Dr. Wahl! Sehr geehrte Frau Bundesgesundheitsministerin Schmidt! Liebe Kollegen aus dem Bundestag! Sehr geehrter Herr Oberbürgermeister Gönner! Sehr geehrte Herren Ehrenpräsidenten Professor Vilmar und Professor Kolkmann! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Seit 1873 tagt der Deutsche Ärztetag in der Regel jährlich. Im Oktober 1948 versammelten sich nach Unterbrechung durch den Krieg in Stuttgart erstmals wieder Vertreter der deutschen Ärzteschaft zum 51. Deutschen Ärztetag. Es entstand die ärztliche Selbstverwaltung heutiger Prägung mit der länderübergreifenden Zusammenarbeit der Ärztekammern.

60 Ärztetage später steht unter anderem das "Ulmer Papier" auf der Tagesordnung des Ärztetages, mit dem sich die Ärzteschaft mit gesundheitspolitischen Leitsätzen in die Diskussion zu einer grundlegenden Neuausrichtung des Gesundheitswesens einbringt.

Jetzt sage ich ganz selbstbewusst: In Baden-Württemberg wurden eben schon immer Meilensteine gesetzt.

Als Ulmer Bürgerin und Landtagsabgeordnete freut es mich ganz besonders, dass der 111. Deutsche Ärztetag dieses Jahr in Ulm stattfindet. Ich bin der freundlichen Einladung in meine Heimatstadt zur Eröffnung dieses Ärztetages und dem Wunsch, ein Grußwort zu sprechen, sehr gerne nachgekommen. Ich darf Ihnen auch die herzlichsten Grüße unseres Ministerpräsidenten Günther Oettinger überbringen.

Ohne dem Herrn Oberbürgermeister vorgreifen zu wollen, will ich sagen: Wir Ulmer haben uns für diesen Tag mächtig ins Zeug gelegt. Wir haben es immerhin geschafft, Herr Oberbürgermeister, dass wir zur gesündesten Stadt Deutschlands geworden sind. Ich denke, das ist das richtige Ambiente für diese Fülle von Doctores, die sich hier versammelt haben und die für die Gesundheit der Bevölkerung die erste und vordringlichste Verantwortung haben.

Meine sehr geehrten Damen und Herren, der Umbruch unseres Gesundheitswesens ist im vollen Gang. Die Rollen von Staat, Markt und Selbstverwaltung sind neu zu definieren. Sie werden sich im Verlauf des diesjährigen Ärztetages intensiv damit auseinandersetzen.

Bevor ich näher darauf eingehe, möchte ich die Gelegenheit nutzen und Ihnen, liebe Frau Präsidentin Dr. Wahl, für die hervorragende Zusammenarbeit in diesen nicht ganz einfachen Zeiten danken. In den vielen Bereichen der Zusammenarbeit des Ministeriums für Arbeit und Soziales mit der Landesärztekammer habe ich Sie immer als kompetente und verlässliche Partnerin erlebt. Sie führen diese Kammer in vorbildlicher Weise. Sie stellen sich den aktuellen gesundheitspolitischen Themen und beziehen klare Positionen. Ich denke, wir können die Herausforderungen unseres Gesundheitswesens nur partnerschaftlich bewältigen. Deswegen möchte ich Ihnen, liebe Frau Dr. Wahl, für Ihr Engagement und die gute Zusammenarbeit hier in Baden-Württemberg an dieser Stelle ganz herzlich danken.

(Beifall)

Meine sehr geehrten Damen und Herren, der Gesundheitssektor stellt einen der wichtigsten Wirtschaftsbereiche in Baden-Württemberg dar. Sein Anteil an der baden-württembergischen Wirtschaftsleistung beträgt rund 11 Prozent. Er hat einen Anteil von 12 Prozent der gesamten sozialversicherungspflichtigen Beschäftigung in Baden-Württemberg. Entgegen dem gesamtwirtschaftlichen Trend stieg die Zahl der Arbeitsplätze in der Gesundheitswirtschaft seit 2000 um etwa 10 Prozent.

Dies zeigt das Wachstum dieses Sektors und seine Bedeutung für die Beschäftigung im Land.

Die demografische Entwicklung und der medizinisch-technologische Fortschritt werden weiterhin zu einer verstärkten Nachfrage im Bereich der Gesundheitswirtschaft führen. Es ist daher zu erwarten, dass die Gesundheitswirtschaft auch künftig ein starker Motor der wirtschaftlichen Entwicklung bleibt und ihre Spitzenstellung unter den Wirtschaftszweigen noch ausbauen wird.

Gesundheit wird - neben Bildung - insgesamt zum Standortfaktor und damit zur Grundlage für Lebensqualität, Wirtschaftskraft und Wettbewerbsfähigkeit in der Zukunft.

Eine immer größere Bedeutung gewinnen Vernetzungen unter den Akteuren im Gesundheitswesen. Zur Unterstützung des Netzwerkgedankens hat das Ministerium für Arbeit und Soziales im Jahr 2000 das Gesundheitsforum Baden-Württemberg ins Leben gerufen. Sein Hauptziel ist die Zusammenführung der verschiedenen Gesundheitsbranchen und die Förderung von übergreifenden Kooperationen.

Wie richtig wir mit diesem Ansatz liegen, zeigt ein Wettbewerb, den das Bundesministerium für Bildung und Forschung vor Kurzem ausgeschrieben hat. Es geht dabei um "Gesundheitsregionen der Zukunft - Fortschritt durch Forschung und Innovation". Prämiert werden sollen Regionen, die ein Konzept entwickeln, Dienstleistungen, Forschung, Gesundheitsversorgung und die Industrie besser miteinander zu verzahnen.

Baden-Württemberg verfügt über eine äußerst leistungsfähige Gesundheitsforschung und Gesundheitswirtschaft auf allen Stufen der Wertschöpfungskette. Deshalb bin ich überzeugt, dass die baden-württembergischen Bewerbungen bei diesem Wettbewerb gute Chancen haben.

Was bewegt uns, wenn wir bei dem Thema Gesundheitspolitik sind? Die Gesundheitsreform durch das GKV-WSG bewegt die Gemüter der Akteure wie kaum ein anderes Thema. Gesundheitsfonds, Morbi-RSA und Honorarreform sind nur einige der Stichworte, an denen deutlich wird, welche weitreichenden Veränderungen ab 2009 auf uns zukommen werden. Und dass sie kommen werden, halte ich für sicher. Das Gesetz steht, und Mehrheiten für andere Lösungen sind derzeit nicht realisierbar.

Ich mache keinen Hehl daraus, dass ich mir als Landespolitikerin, vielleicht auch als Ärztin in vielen Punkten andere Lösungen gewünscht hätte. Der Zentralismus, der an vielen Stellen des Gesetzes die Grundrichtung prägt, zieht vor allem in der Finanzierung eine gewaltige Umverteilung nach sich.

Und obwohl wir das alles immer eingefordert haben, haben wir bislang keine Antwort auf die Frage erhalten, wie die Finanzgrundlagen in den Ländern ab 2009 genau aussehen werden.

Wir haben hier in Baden-Württemberg sehr gute Versorgungsstrukturen und sind bisher auch sehr gut in der Lage gewesen, die vielfältigen Angebote mit einem vernünftigen Beitragssatz zu finanzieren. Diese Erfolge wollen wir nach Möglichkeit behalten.

Wer einen echten Wettbewerb mit seinen positiven Effekten haben will, braucht die Dualität von privater und gesetzlicher Krankenversicherung - ebenso wie die Pluralität innerhalb der GKV.

(Beifall)

Wir wollen auch keine Staatsmedizin, sondern an den bewährten Grundsätzen der Selbstverwaltung mit freiberuflichen Vertragsärzten festhalten.

(Beifall)

Ich denke, dass wir in diesem Punkt übereinstimmen, und ich möchte Sie gerne ermuntern, gemeinsam für diese Position einzutreten.

Dabei geht es auch darum, die Selbstverwaltung und deren weitreichende Kompetenzen in unserem Gesundheitswesen zu erhalten. Ich bin der festen Überzeugung, dass zum Beispiel eine ärztliche Honorarverteilung, die im Ministerium in Berlin festgelegt wird, weniger sachgerecht ausfällt als ein Ergebnis, das die Ärzteschaft mit den Krankenkassen unter sich ausgehandelt hat.

(Beifall)

Der Selbstverwaltung ist es ja bereits gelungen, einen neuen EBM-Katalog vorzulegen; ich sehe das außerordentlich positiv. Nicht nur, dass inhaltlich ein guter Katalog erarbeitet wurde; es ist dies doch vor allem ein Dämpfer für alle diejenigen gewesen, die schon mit einer Ersatzvornahme durch das BMG gerechnet haben.

Jetzt geht es im nächsten Schritt um die Höhe der Vergütung und die weitere Verteilung. Da werden die Verhandlungen noch schwieriger.

Ich möchte daher an die Verantwortlichen appellieren, Sie aber auch herzlich bitten: Beteiligen Sie sich konstruktiv an diesem Verfahren, und seien Sie kompromissfähig. Denn eines ist sicher: Wenn die Selbstverwaltung scheitert, kommt die Staatsmedizin. Und es gibt nicht wenige, die dies so wollen.

Meine Damen und Herren, es ist Ihnen bekannt, dass auch im Krankenhausbereich mit dem Wechsel zum Jahr 2009 einige wichtige gesetzliche Entscheidungen zur Krankenhausfinanzierung anstehen. Dabei geht es um die grundsätzliche Frage, wer künftig die Letztverantwortung für die Krankenhausplanung und die Krankenhausförderung tragen soll.

Nun gibt es Initiativen von den Krankenkassen, aber auch von der Bundesebene, die sich dafür aussprechen, diese Verantwortung von den Ländern auf die Krankenkassen zu verlagern, zum Beispiel unter dem Stichwort "monistische Finanzierung".

Die Länder haben sich mittlerweile positioniert: Über zentrale, wichtige Grundsätze der Weiterentwicklung des ordnungspolitischen Rahmens der Krankenhausversorgung herrscht unter den Ländern Einigkeit. So vertreten die Länder die Auffassung, dass derzeit gesetzgeberischer Handlungsbedarf in erster Linie nur bei der Anschlussgesetzgebung zum Fallpauschalengesetz besteht. Ein umfassender ordnungspolitischer Handlungsbedarf oder die Notwendigkeit eines Systemwechsels werden für den stationären Bereich derzeit nicht gesehen.

Das finanzielle Engagement der Länder in der Krankenhausfinanzierung ist Ausdruck der Daseinsvorsorgeverantwortung und deshalb beizubehalten. Gerade Baden-Württemberg braucht sich für sein Engagement in der Krankenhausfinanzierung wirklich nicht zu verstecken. Wir wollen zu dieser Verantwortung auch weiterhin stehen.

(Beifall)

Meine sehr geehrten Damen und Herren, auch die Situation pflegebedürftiger Menschen darf uns nicht ruhen lassen. Deshalb begrüße ich es, dass der 111. Deutsche Ärztetag dieses Thema am Beispiel Demenz aufgreift. Angesichts der zunehmenden Zahl demenzkranker Menschen in unserem Land ist die Ärzteschaft gefordert, auch für dieses Krankheitsbild ein hohes Niveau an Kompetenz flächendeckend vorzuhalten.

Das bürgerschaftliche Engagement in der Pflege kann nach dem jetzigen Stand aus Mitteln der Pflegekassen mit zusätzlichen 15 Millionen Euro unterstützt werden, wenn die Länder und Kommunen Mittel in gleicher Höhe bereitstellen. Damit hat der Bund die Anregung aus meiner Bundesratsinitiative vor zwei Jahren im Pflegeweiterentwicklungsgesetz aufgegriffen.

Viel hängt jedoch davon ab, ob von den Angeboten Gebrauch gemacht wird. Ich möchte Sie deswegen ausdrücklich darum bitten, in Kontakt mit den Patientinnen und Patienten dafür zu werben, die Hilfen im Vor- und Umfeld der Pflege anzunehmen.

Meine Damen und Herren, die Entwicklung im Gesundheitswesen erfordert zunehmend berufsgruppenübergreifende Versorgungskonzepte. Ich begrüße es daher, dass sich der 111. Deutsche Ärztetag mit der Weiterentwicklung von Zusammenarbeit und Kompetenzverteilung zwischen ärztlichen und nichtakademischen Gesundheitsberufen befasst.

Überlegungen zu den arztunterstützenden Maßnahmen und zur Delegation ärztlicher Leistungen an qualifiziertes Personal sind das eine. Das Pflegeweiterentwicklungsgesetz geht einen Schritt weiter, indem es für die Pflegeberufe modellhaft einige heilberufliche Kompetenzen nach entsprechender Ausbildung und Qualifikation vorsieht.

Ich bin der Auffassung, dass von einer Neuordnung der Aufgabenverteilung im Gesundheitswesen alle Gesundheitsberufe profitieren können. Diese Neuordnung muss aber zu einer besseren Übereinstimmung zwischen den Erfordernissen eines sich ständig wandelnden Versorgungssystems und den Zielen, Aufgaben und Kompetenzen seiner Akteure führen.

Allerdings muss jede Änderung der Kooperation und Aufgabenverteilung zwischen den heute bestehenden Gesundheitsberufen sehr sorgfältig geprüft werden.

Ausgehend von der persönlichen Leistungserbringung als eines der wesentlichen Merkmale freiberuflicher Tätigkeit und dem Facharztstandard muss genau geprüft werden, was medizinisch, ökonomisch und haftungsrechtlich sinnvoll ist. Die Patientensicherheit und die Qualität der Versorgung müssen erhalten oder verbessert werden. Ich hoffe, dass die derzeit laufenden Modellvorhaben hierzu belastbare Erkenntnisse bringen.

Zunehmend - auch diesen Fragen stellen Sie sich auf dem diesjährigen Ärztetag - geht es um schwierige ethische Fragen am Beginn und am Ende des menschlichen Lebens. Im April 2008 hat der Bundestag die Änderung des Stammzellgesetzes beschlossen und den Stichtag für die Einfuhr embryonaler Stammzellen auf den 1. Mai 2007 verschoben. Ich kann diese Lösung akzeptieren, denn sie stellt sicher, dass von Deutschland kein Anreiz zum Verbrauch von Embryonen ausgehen darf.

Auch beim Thema Pränataldiagnostik ist der Schutz des Lebens unsere gemeinsame Richtschnur. Deswegen haben wir Ende letzten Jahres in Baden-Württemberg acht Modellvorhaben im Zusammenhang mit der Beratung bei Pränataldiagnostik in die Wege geleitet. Ziel ist es, die Beratung zur Pränataldiagnostik durch eine bessere Kooperation zwischen Ärzteschaft und psychosozialen Fachkräften zu verbessern. Diese Projekte werden wissenschaftlich begleitet. Ich bin sehr gespannt auf die Ergebnisse.

Derzeit wird auch heftig um eine Regelung zur Patientenverfügung gestritten. Bestehende Rechtsunsicherheiten sollen dadurch beseitigt werden. Ich glaube, dass eine hundertprozentige Verrechtlichung dieses sensiblen letzten Lebensabschnitts nicht möglich ist und auch nicht die einzige Antwort auf die Ängste der Menschen sein darf.

(Beifall)

Ich halte ein gutes Konzept zur Palliativversorgung für entscheidend. Nur so können wir Schwerkranken und Sterbenden ein menschenwürdiges Leben bis zuletzt in einer Qualität ermöglichen, die unserem Anspruch an eine humane Gesellschaft entspricht.

Die Palliativversorgung hat einen umfassenden Ansatz. Der Schwerpunkt liegt auf der Schmerzlinderung und der Symptomkontrolle. Somatische, psychische, soziale und seelisch-spirituelle Aspekte sind zu integrieren.

Auch in der Palliativversorgung gilt der Grundsatz: ambulant vor stationär, weil die Mehrzahl der betroffenen Patienten bis zum Ende ihres Lebens in ihrer häuslichen Umgebung bleiben wollen.

Wir haben in Baden-Württemberg hier beispielhafte Strukturen geschaffen. Der flächendeckende Ausbau der ambulanten palliativen Versorgung und die Verzahnung mit dem stationären Bereich bleiben weiterhin ein ganz wichtiger gesundheitspolitischer Schwerpunkt.

Eine gute palliative Versorgung lässt in den meisten Fällen den Wunsch nach aktiver Sterbehilfe nicht aufkommen, und das ist gut so. Deshalb ist es sehr wichtig, in der Öffentlichkeit Vertrauen in die palliativen Strukturen zu schaffen und die vorhandenen palliativen Angebote weiter bekannt zu machen.

Meine sehr verehrten Damen und Herren, nahtlos anknüpfend an diesen ethischen Ausblick möchte ich Sie, bevor ich zum Schluss komme, gerne auf den Tag der Organspende am 7. Juni 2008 hinweisen. Der Tag der Organspende wird dieses Jahr unter meiner Schirmherrschaft mit einem ökumenischen Gottesdienst hier im Ulmer Münster begangen. Herzliche Einladung dazu.

Das Hohelied auf Ulm haben Sie, Frau Präsidentin, schon gesungen. Sie haben auch schon unsere stolzen Söhne und Töchter der Stadt genannt. Wir sind stolz darauf, dass Einstein hier geboren wurde. Er hat seine frühesten Monate hier in Ulm verbracht, also hat er sich die wesentlichen Grundlagen hier in Ulm erworben,

(Heiterkeit)

nämlich die Grundlagen für Weisheit, wegweisende Formeln und das Voranbringen unserer Welt. Ich wünsche Ihnen in diesem Ambiente der gesündesten Stadt Deutschlands, der Geburtsstadt unseres weisen Einstein, spannende Diskussionen, einen offenen Meinungsaustausch und natürlich gute Entscheidungen.

(Beifall)

© Bundesärztekammer 2008