Dr. Jonitz, Vorstand der
Bundesärztekammer: Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und
Kollegen! Das "Ulmer Papier" ist unvollständig, aber es ist von großer
politischer, auch innenpolitischer Bedeutung. Die Tatsache, dass es unvollständig
ist, erkennt man daran, dass bereits im Vorfeld eine sehr große Diskussion über
die Frage stattgefunden hat, welche Themen aufgegriffen werden sollen, wie der
rote Faden aussehen soll, wie der Aufbau sein soll. Sie alle wissen, dass sehr
viel Arbeit und Gehirnschmalz in das vorliegende Papier investiert wurden.
Sie werden Anträge vorfinden, die dieses "Ulmer Papier" als
Grundlage für die weitere Diskussion zu einer anderen Rolle der Ärzteschaft im
künftigen Gesundheitswesen und in der künftigen Gesundheitspolitik vorschlagen.
Deshalb ist dieses "Ulmer Papier", wie es vorliegt, außerordentlich wichtig.
Die Bundesärztekammer, die verfasste Ärzteschaft nimmt nämlich
mit diesem Papier und auch mit diesem Ärztetag eine neue Rolle ein. Wir kommen
Gott sei Dank langsam aus der Rolle des stabilen Verteidigers heraus. Der
Catenaccio, diese ständige Defensive, dieses ständige Beklagen von Missständen,
die die Politik eingerührt hat, findet zwar noch immer statt, aber wir wehren
uns wesentlich effektiver. Den Schlüssel zu einer besseren Gegenwehr hat uns
Rudolf Henke gerade geliefert, nämlich nichts weiter als die Kraft der
Wahrheit. Wer nahe am Patienten ist, ist nahe an der Wahrheit, und das sind
wir. Deswegen muss man die Wahrheit aussprechen können, auch wenn sie wehtut.
Das Thema Rationierung ist da, hat medial sehr gut eingeschlagen. Es ist ganz
banal die Wahrheit. Wir werden nach dem Ärztetag sicherlich Gelegenheit haben,
an der einen oder anderen Stelle entsprechende Belege zu liefern.
Das Wohlergehen der Ärzte ist der Öffentlichkeit und auch der
Regierung relativ gleichgültig. Wenn es aber dem Arzt schlecht geht und es
dadurch dem Patienten schlecht geht und wir den Beleg dafür liefern können,
dann entsteht die richtige Bewegung.
Ich wünsche mir zwei Dinge, nämlich erstens, dass die
Diskussion fortgesetzt und das "Ulmer Papier" möglichst vollständig von diesem
Deutschen Ärztetag positiv verabschiedet wird. Ich wünsche mir zweitens, dass
wir mit diesem "Ulmer Papier" als Grundlage zunehmend weggehen von der
Befunderhebung und von der Diagnose von Zuständen hin zum Therapievorschlag.
(Vereinzelt Beifall)
Nach zehn Minuten oder auch einer Stunde Diskussion über
vorhandene Probleme sollten 50 Minuten oder auch fünf Wochen Diskussion über
die Vorschläge, die wir zu machen haben, folgen. Auch hierzu finden Sie
konstruktive Beiträge im "Ulmer Papier". Deswegen ist es eine gute Grundlage.
Wir sollten als Bundesärztekammer schauen, dass wir sobald wie
möglich aus der Position des Verteidigers in die Position des offensiven
Mittelfeldspielers geraten und die entsprechenden Vorlagen liefern, die die
Politik braucht, um entweder sich ihr eigenes - Entschuldigung - Versagen
gegenüber der Öffentlichkeit vorspielen zu lassen oder bessere Vorschläge zum
Handeln zu machen.
Wir haben vorhin ein jahrtausendealtes Zitat aus China gehört.
Der Antrag I-3, der gerade umgedruckt wird, wird bei Ihnen möglicherweise zu
einer gewissen Erheiterung führen. Es ist ein historischer Rückblick in das
Jahr 1848. Einige werden gewisse Parallelen zur Gegenwart erkennen. Ich wünsche
mir, dass das, was Rudolf Virchow damals geschrieben hat und was heute noch
aktuell ist, sich insofern nicht wiederholen möge, als wir anschließend lieber
nicht auf den Barrikaden stehen und lieber keine Kriege erleben müssen, um
bessere Arbeitsbedingungen zu bekommen.
(Beifall)
Präsident Prof. Dr. Dr. h. c. Hoppe: Vielen Dank,
Günther Jonitz. - Der nächste Redner ist Herr Kollege Zimmer aus Nordrhein,
bitte. |