Zimmer, Nordrhein:
Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Das deutsche Gesundheitswesen
ist schwer krank, es ist chronisch krank, es bedarf dringend einer
ganzheitlichen Behandlung. Es droht massiv zu zerfallen. Allerorten werden
Kliniken separiert in Einrichtungen für Privatpatienten mit entsprechendem
wunderbaren räumlichen und pflegerischen Ambiente und in Einrichtungen der
Regelversorgung. Herr Professor Hoppe, Ihr Modell würde ich in Anlehnung an das
Atommodell von Niels Bohr eher als eine Art Schalenmodell beschreiben wollen.
Das klingt nicht so verletzend, das ist weniger belastend. Ich habe mich dabei
nämlich mit meiner eigenen Figur vorgestellt.
Ein Wort zu der von Ihnen angesprochenen 4. bis 6. Schale.
Vielleicht erhalten Sie auch gelegentlich Post von einem sogenannten
"Euroforum". Dort unterhalten sich Leute relativ autistisch über ein Gesundheitswesen,
von dem sie glauben, es sei so, wie sie es dort beschreiben. Aber sie nehmen in
der Regel im Kontakt mit den Patienten überhaupt nicht mehr an der Versorgung
teil.
Das Ganze hat mittlerweile eine Spielvariante, die Sie
vielleicht schon einmal bei Ihren Kindern gesehen haben. Man nennt sie "Second
Life". Man gründet eine neue Vision, wie man auch leben könnte, mit eigener
Identität usw.
Wenn diejenigen, die uns regieren, oder diejenigen, die die
großen Geldmittel steuern, wirklich glauben, die Welt sei so, wie sie auf
Kongressen von "Euroforum" dargestellt wird, dann lade ich herzlich ein, doch
einmal in eine Praxis oder in ein Krankenhaus zu kommen. Dann werden wir uns
den Problemen schon nähern.
(Beifall)
Das Krankenhaus sieht anders aus. Wenn ich heute einen
82-Jährigen zur
Hüftendoprothese schicke, muss ich immer schauen: Fällt er bei den Orthopäden
unter einen Integrationsvertrag, weil er noch relativ gesund und robust ist?
Dann wird er dort eingeschleust und für viel Geld in Eigenregie operiert und relativ
kompakt versorgt, weil er ja vorher gut mobil, Ski fahrend und Golf spielend
dort aufgeschlagen ist. Ein nur 75 Jahre alter Patient, der aber bereits ein
paar kleine kardiale Probleme hat, wird explizit in diesen gleichen Integrationsvertrag
nicht übernommen; er gelangt in die Regelversorgung. In dieser Regelversorgung
muss ihn dann ein Krankenhaus operieren, natürlich mit schlechtem Risiko. Der
Outcome ist, statistisch übers Jahr gesehen, schlecht, weil die guten Patienten
irgendwo anders operiert wurden.
Für uns in der Hausarztpraxis bedeutet das eine schnellere
Entlassung in einem relativ schlechten Zustand. Wir brauchen plötzlich mehr
Krankengymnastik, wir brauchen teure Thromboseprophylaxen, wir brauchen
Laborkontrollen. Wir erfahren dann vom Patienten, dass er im Krankenhaus auch
nicht regelmäßig Schwestern gesehen hat, die dort ständig arbeiteten, sondern
dort Personal von Zeitarbeitsfirmen tätig ist. Das wird mittlerweile getoppt
durch 1-Euro-Personen, die am Wochenende auf Stationen mit operierten Patienten
arbeiten müssen.
Davon finde ich in dem Papier nichts. Aber das halte ich doch
für einen Ausdruck massiver Rationierung, weil in demselben Krankenhaus zwei
Stockwerke höher auf einer isolierten Privatstation die Versorgung anders
abläuft.
Ich frage mich: Wie muss ein guter Arzt sein? Ich habe ja noch
15 Jahre Zeit, es zu werden. Ich habe heute die Antwort erhalten - dafür danke
ich Herrn Professor Richter -: Es geht nach wie vor um die beste menschliche
Zuwendung. Es ist nicht damit getan, die beste Therapie und die beste
Diagnostik zu machen. Diesbezüglich hätte ich in dem Papier gern auch eine
Präzisierung.
Ich habe den Eindruck, heute glauben viele Kollegen, dass sie
den besten Job im Krankenhaus dann machen, wenn sie die beste DRG-Kodierung mit
dem höchsten finanziellen Outcome für das Krankenhaus erledigen. Ich glaube, da
müssen wir unseren Kollegen ein bisschen Hilfestellung geben.
(Beifall)
Ich persönlich glaube nicht, dass es nicht genügend Geld im
Gesundheitssystem gibt. In meiner Heimatstadt - das ist eine relativ kleine
Stadt - werden monatlich Hunderttausende von Euro für plastische chirurgische
Eingriffe - Stichworte: Brust, Falten und Fett - ausgegeben. Wir können
Diätenerhöhungen in respektabler Höhe immerhin im Deutschen Bundestag
realisieren. Wenn die Firma Nokia eine Pleite hinlegt, sind plötzlich
Steuergelder vorhanden, um diese Defizite aufzufangen. Dasselbe gilt, wenn eine
Bank Pleite macht.
Ich bin der Meinung, wir haben schon noch eine ganze Menge
Ressourcen, wo wir etwas abschöpfen können.
Ich möchte zum Schluss auf ein ganz kleines Problem des
Papiers selber zu sprechen kommen. Auf Seite 11 heißt es in den Zeilen 36 ff.:
In Anbetracht der rückläufigen Hausarztzahlen wird insbesondere
für den Primärversorgungsbereich die Einführung einer neuen, nichtärztlichen
Leistungserbringergruppe mit Direktzugang für die Patienten nach dem Vorbild
der Nurse Practitioner diskutiert.
Das halte ich für eine geradezu kontraproduktive Aussage. Dies
bedeutet die Substitution des Hausarztes durch Nurse Practitioner. Wir reden
davon, dass wir keine Rationierung haben wollen, fordern sie aber in unserem
eigenen Papier.
(Beifall)
Ich habe den Antrag gestellt, diesen Satz zu streichen. Herr
Crusius, zumindest bei Ihnen könnte ich ein bisschen Unterstützung erwarten.
Die Delegation ärztlicher Leistungen ist überhaupt kein Problem, aber eine
Substitution dieser Art halte ich für einen Einstieg.
Die nächste Frage lautet: Was machen wir, wenn wir nicht mehr
genügend Gastroskopiker haben? Nehmen wir dann statt Gastroenterologen
Endoskopieschwestern aus Japan? Nehmen wir dann für den Urologen den
Katheterpfleger von der Intensivstation der letzten Urologie, die geschlossen
wird?
Wir müssen uns schon überlegen, warum wir den Hausarzt plötzlich
wieder zerlegen dürfen, während wir an anderen Stellen vielleicht noch gar
nicht bemerkt haben, dass die Zerlegung kurzfristig zum Filetieren bereitsteht.
Danke schön. Ich hoffe auf Ihre Unterstützung.
(Beifall)
Präsident Prof. Dr. Dr. h. c. Hoppe: Schönen
Dank, Herr Zimmer. - Der nächste Redner ist Herr Professor Dietrich aus Bayern. |