TOP I: Gesundheits-, Sozial- und ärztliche Berufspolitik - Gesundheitspolitische Leitsätze der Ärzteschaft

Dienstag, 20. Mai 2008, Nachmittagssitzung

Dr. Pickerodt, Berlin: Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Ich möchte mit Erlaubnis des Herrn Präsidenten einen Satz zitieren, den Professor Richter in seiner bemerkenswerten Dankesrede gesagt hat. Er hat gesagt: Es gibt keine humane Gesellschaft ohne eine humane Medizin. Recht hat er! Wenn man seine Rede vollständig gehört hat, weiß man, dass die Umkehrung ebenfalls richtig ist. Sie hieße: Es gibt keine humane Medizin ohne eine humane Gesellschaft.

Zu diesem Problem sagt das "Ulmer Papier" leider nichts oder nur sehr wenig. Es sagt etwas zur Jugend- und Kinderarmut, aber zu dem Gesamtproblem, dass die Ärzte auch eine gesamtgesellschaftliche Verantwortung haben, sagt das Papier leider nichts.

In unserer Gesellschaft wird die Schere zwischen Reich und Arm immer größer, wie Sie leider wissen. Die Schere zwischen der Lebenserwartung von reichen Mitbürgern und der Lebenserwartung von armen Mitbürgern wird ebenfalls immer größer. Ich denke, in dieser Situation ist es zu wenig, wenn das "Ulmer Papier" wieder und wieder in einer etwas larmoyanten Form fordert, dass mehr Geld in das System hineinzustecken ist. Ich möchte Ihnen gern eine Folie aus dem "New England Journal of Medicine" zeigen, die drei Punkte deutlich macht. Der erste Punkt ist - wir wissen es seit Langem -: Es gibt keine Explosion der Kosten im Gesundheitswesen in Deutschland. Es gibt aber eine Explosion der Kosten in den USA. Die neuesten Zahlen von 2008 weisen aus, dass die Kosten in den USA mittlerweile bei 16 Prozent des Bruttoinlandsprodukts angelangt sind. Die Prognose für die nächsten sieben Jahre beträgt 20 Prozent des Bruttoinlandsprodukts.

Der zweite Punkt ist, dass Deutschland noch immer - darauf hat Herr Dietrich hingewiesen - weit in der Spitzengruppe der entwickelten Länder liegt, was den Anteil der Gesundheitskosten am Bruttoinlandsprodukt betrifft.

Der dritte Punkt ist, wie ich denke, der entscheidende. Das US-amerikanische Gesundheitswesen ist ein Gesundheitswesen, das im Wesentlichen auf Wettbewerb und Profit beruht. Wenn wir dies so sehen, mit den entsprechenden Steigerungen der Kosten, dann müssen wir erkennen, dass Wettbewerb kein Mittel ist, um Kosten zu senken, sondern Wettbewerb im Gesundheitswesen ist - neben den grundsätzlichen Einwänden - ein Mittel, die Kosten nach oben zu treiben, nicht aber zu senken.

Ich denke, deswegen ist das, was vielfach als Staatsmedizin apostrophiert wird, das Gegenteil einer Wettbewerbsmedizin und dient dazu, dass die Kosten in einem erträglichen Umfang bleiben.

Ich denke, wenn wir das sehen, können wir akzeptieren, dass es nicht darum geht, dass mehr Geld in das Gesundheitssystem gepumpt wird, sondern dass das Geld so verteilt wird, dass die Aufgaben, die wir als Ärztinnen und Ärzte haben, richtig erfüllt werden können.

Ich danke Ihnen.

(Beifall)

Präsident Prof. Dr. Dr. h. c. Hoppe: Vielen Dank, Herr Pickerodt. - Als nächster Redner Herr Kollege Emminger aus Bayern.

© Bundesärztekammer 2008