Prof. Dr. Fischer, geladener
Gast: Sehr geehrter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und
Kollegen! Vielen Dank dafür, dass Sie mir als Gast Gelegenheit zu einem kurzen
Statement geben.
Das "Ulmer Papier" ist aus meiner Sicht die Möglichkeit zu
einem wirklichen Durchbruch, zu einer neuen Positionierung der Medizin. Ich
möchte Ihnen zu diesem Papier ausdrücklich gratulieren.
Zivilisierte Gesellschaften, namentlich in Europa, messen sich
gern daran, wie sie mit den schwächsten ihrer Mitglieder umgehen. Dies ist
gewiss eine ihrer wertvollsten Traditionen. Heute aber müssen wir uns in
unserer Gesellschaft vor allem die Frage stellen, wie wir mit unseren Eliten
umgehen. Kaum ein Berufsstand hat die reale Bedeutung dieser Frage so bitter
erfahren wie die Medizin. Wenn wir den skandalösen Zustand verhindern wollen,
dass ärztliches
Ethos und guter Wille, namentlich auch unserer jungen Kollegen, in einem alle
Kräfte übersteigenden Alltag von Gleichgültigkeit über Demotivation bis zur
Demoralisation zermürbt werden, müssen wir versuchen, unsere Identität neu zu
bestimmen. Sie schreiben im "Ulmer Papier" sehr richtig, dass die Ärzteschaft
bereit ist, die Mitverantwortung bei der Gestaltung des Gesundheitswesens zu
übernehmen. Ich möchte einen Schritt weitergehen und anregen - hier kann ich an
eine Bemerkung des Kollegen Pickerodt anknüpfen -, eine gesellschaftliche
Mitverantwortung zu übernehmen.
Gesundheit ist untrennbar verwoben mit zentralen
Lebensbereichen wie Arbeitsfähigkeit, Bildung, Wirtschaft - Stichwort:
Humanpotenzial -, Humanität. Das haben wir heute Morgen bereits gehört.
Bereits in wenigen Jahren wird es eine Überlebensfrage nicht
nur des Wirtschaftsstandorts, sondern auch der Qualität des Lebens in dieser
Gesellschaft sein, inwieweit wir hierüber ausreichend verfügen. Die Medizin hat
dabei eine Schlüsselfunktion. Gesundheit ist ein konstitutives
gesellschaftliches Element.
Deshalb muss es, meine Damen und Herren, uns interessieren,
was in den Schulen vorgeht, weil Bildung einer der sichersten Garanten für
Gesundheit ist. Deshalb muss es uns interessieren, welche Welt-, Wert- und
Menschenbilder sich in der Gesellschaft entwickeln, weil sie die Grundlage für
die politische Ordnung unseres Gesundheitswesens bilden. Denken Sie an das
Spannungsfeld zwischen protektivem Wohlfahrtsstaat versus eigenverantwortlicher
Daseinsvorsorge.
Andererseits offenbart das Gesundheitswesen wie kaum ein
anderes Politikfeld etwas über die innere Verfasstheit unserer Gesellschaft.
Dies legitimiert uns, diese Zusammenhänge offenzulegen.
Weitere Legitimationen für diese Art der Einmischung: Wir erreichen
alle gesellschaftlichen Schichten, und wir haben ein durch Forschung
gesichertes Wissen darüber, wie sich Gesundheit im Lebenslauf herausbildet, wie
sie zu bewahren und als gesellschaftliche Kraft freizusetzen ist.
Dieses Wissen, das wir tagtäglich unseren Studierenden
beibringen - es ist Bestandteil des Gegenstandskatalogs, meine Damen und Herren
-, verpflichtet uns zu einer über den klinischen Alltag hinausweisenden
Verantwortung, nämlich gesellschaftliche Mitgestaltung und Umgestaltung nicht
nur der Medizin und des Gesundheitswesens, sondern durch Medizin. Dies
bedeutet, Gesundheit als kulturelle Kraft zu begreifen und offensiv als solche
zu vertreten. Darin liegt meines Erachtens eine der Chancen der Aufwertung
unserer Arbeit und der Potenziale, die von ihr ausgehen.
Unsere Partner auf diesem Weg sollten wir nicht nur bei den
möglicherweise geneigten Politikern suchen, sondern wir brauchen auch hier aus
gesellschaftlichen Kräften eine neue Form der Zusammenarbeit. Wir haben unsere
Partner in der Philosophie zu suchen. Das hat in der Medizin eine lange
Tradition. Von Platon bis heute befasst sich die Philosophie mit dem Faszinosum
Krankheit und Heilung.
Darüber hinaus haben wir sie zu suchen in der Sozialpolitik
und anderen sogenannten Lebenswissenschaften.
Ein Partner, meine Damen und Herren, ist Ihnen sicher, nämlich
das Medium, in dem auch ich persönlich versuche, Sie auf diesem Weg zu
unterstützen: die Deutsche Gesellschaft für Gesundheit. Wie wir das anstellen
möchten, können Sie morgen um 13 Uhr gern bei einem kleinen Empfang miterleben.
Mich hat heute Morgen die Darstellung von Herrn Professor
Richter und sein Satz "Es gibt keine humane Gesellschaft ohne humane Medizin" beeindruckt.
Dazu werden wir gebraucht. Ich wünsche Ihnen viel Erfolg auf dem Weg, dies
offensiv in der Gesellschaft darzustellen. Ich glaube, wir haben heute Morgen
gesehen: Wir sind in der glücklichen Position, einen Präsidenten zu haben, der
dieses vermag.
Vielen Dank.
(Beifall)
Präsident Prof. Dr. Dr. h. c. Hoppe: Schönen Dank,
Frau Professor Fischer. Frau Fischer war übrigens lange Jahre Inhaberin des
Lehrstuhls für Allgemeinmedizin an der Medizinischen Hochschule Hannover.
Jetzt bitte Herr Clever. |