TOP I: Gesundheits-, Sozial- und ärztliche Berufspolitik - Gesundheitspolitische Leitsätze der Ärzteschaft

Dienstag, 20. Mai 2008, Nachmittagssitzung

Janßen, Berlin: Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Das Papier dient als Versuch, wie es heißt, einheitliche gesundheitspolitische Leitsätze der deutschen Ärzteschaft zu formulieren. Ich bezweifle, dass es hier zu einer konsentierten Verabschiedung kommen wird, weil nach meiner Erfahrung viele von uns nicht viel mehr gemein haben als das gemeinsame Staatsexamen, das vor drei, fünf oder 20 oder 30 Jahren abgelegt wurde. Die Interessen der verschiedenen Arbeitsbereiche, in denen wir tätig sind - in der Akutklinik, in der Rehabilitation, im öffentlichen Gesundheitsdienst, in der Praxis, als niedergelassener oder als angestellter Kollege in einem MVZ -, sind einfach viel zu unterschiedlich.

Darüber hinaus - das haben wir heute in der Debatte erlebt - sind die politischen Grundhaltungen, die sich ja nicht an den Parteigrenzen festmachen lassen, viel zu unterschiedlich, als dass es hier zu einem machtvollen Instrument kommen kann. Für meine Begriffe ist die Spannung noch nicht deutlich genug. Der Kollege Dietrich beispielsweise hat es vorhin deutlich gemacht, dass noch etwas an der Spannung fehlt. Ich lasse mich bis zum Ende der Behandlung dieses Tagesordnungspunkts und vielleicht auch bis Freitagmittag gern vom Gegenteil überzeugen.

Als Debütant auf einem Deutschen Ärztetag steht es mir nicht an, die Institution des Deutschen Ärztetages in Abrede zu stellen. Damit macht man sich hier sicherlich keine Freunde.

Ich möchte noch auf folgenden Punkt eingehen, nämlich auf Abschnitt 8.2 auf den Seiten 33 und 34. Dort geht es um die Finanzierung. Dort ist die Rede von einer sozialverträglichen Erweiterung der Eigenbeteiligungsformen. Die Idee ist, die Steuerung der Inanspruchnahme von Leistungen über eine Eigenbeteiligung oder über Zuzahlungen zu erreichen. Wie aber sieht die Realität aus? Als Berliner Hausarzt in einem sozialen Problembezirk kann ich nicht nur mit selbst erlebter Evidenz aufwarten, sondern es gibt einschlägige Untersuchungsergebnisse, die besagen, dass jede sogenannte Eigenbeteiligung, jede Zuzahlung immer eine soziale Schieflage bewirkt. Es werden nämlich insbesondere von solchen Versicherten und Patienten weniger Leistungen in Anspruch genommen, die einem niedrigen sozioökonomischen Status angehören. Es werden nicht nur Leistungen, die überflüssig sind, nicht in Anspruch genommen, sondern es werden auch Leistungen, die dringend notwendig wären, nicht in Anspruch genommen.

Das heißt, die Idee der Leistungssteuerung durch eine Zuzahlung bringt im Ergebnis eine soziale Diskriminierung von Leistungen. Die letzten einschlägigen Beispiele sind die Praxisgebühr mit Fallzahleinbrüchen und die Versorgung mit Zahnersatz. Das sollte meines Erachtens nicht Bestandteil dieses Papiers sein, schon gar nicht Bestandteil eines immer noch existierenden solidarischen Gesundheitswesens.

Vielen Dank.

(Beifall)

Präsident Prof. Dr. Dr. h. c. Hoppe: Schönen Dank, Herr Janßen. - Nunmehr haben wir das vorgesehene Tagungsende von 18 Uhr bereits etwas überschritten. Herr Bolay steht aber schon am Rednerpult. Ich schlage vor, dass wir ihn noch hören. Dann machen wir für heute Schluss. Herr Bolay, Sie haben für heute das Schlusswort. Bitte schön.

© Bundesärztekammer 2008