TOP I: Gesundheits-, Sozial- und ärztliche Berufspolitik - Gesundheitspolitische Leitsätze der Ärzteschaft

Mittwoch, 21. Mai 2008, Vormittagssitzung

Prof. Dr. Dr. habil. Dietrich, Bayern: Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Ich möchte zu einem Antrag sprechen. Aber bevor ich das tue, erlauben Sie mir eine Bemerkung. Ich habe gestern relativ scharf Herrn Hoppe und seinen Vortrag sowie das "Ulmer Papier" kritisiert. Ich habe nicht unbedingt viel Beifall von Ihnen erhalten. Das bin ich gewohnt. Ich bin auch gewohnt, was hinterher geschah, nämlich dass sehr viele Kollegen zu mir kamen und sagten: Mensch, Dietrich, das war eigentlich gar nicht so schlecht, das stimmt sogar! Wir haben eine Überversorgung, wir haben Fehler im System. Es fehlt an Selbstkritik im "Ulmer Papier".

Meine Damen und Herren, da komme ich mir ein bisschen vor wie der Hofnarr, der früher die Wahrheiten sagen durfte, und alle guckten zu und warteten, ob er geköpft wird oder seine Belohnung erhält. Ich bin nicht ganz sicher, ob ich eine Belohnung erhalte; dieses Gefühl habe ich nicht. Aber ich habe das Gefühl, dass hier sehr viel Unehrlichkeit herrscht und dass hier Selbstkritik fehlt, dass niemand in der Lage ist, zu sagen, es stimmt, wir machen zu viel Medizin, wir machen falsche Medizin, wir machen Medizin, weil sie Geld bringt, nicht weil sie dem Patienten nutzt.

Das sind ganz einfache Wahrheiten, die man auch nach außen hin aussprechen muss.

(Zurufe)

- Sehen Sie, genau das ist es: Da wird "Aufhören!" gerufen. Das wollen Sie halt nicht hören, Sie wollen sich selber den Bauch streicheln und meinen, dass Sie damit in der Öffentlichkeit irgendwo etwas erreichen. Herr Kollege, da liegen Sie falsch, so werden Sie nie irgendwo weiterkommen.

Ich möchte zu einem Antrag sprechen, den ich zusammen mit Herrn Pickerodt gestellt habe. Danach soll der erste Satz des "Ulmer Papiers" lauten:

Im Bewusstsein, dass das Gesundheitswesen keine Gesundheitswirtschaft oder Industrie ist, dass Ärzte keine Kaufleute und Patienten keine Kunden sind, dass Gesundheit und Krankheit keine Waren und Wettbewerb und Marktwirtschaft keine Heilmittel zur Lösung der Probleme des Gesundheitswesens sind, dass Diagnose und Therapie nicht zum Geschäftsgegenstand werden dürfen, beschließt der 111. Deutsche Ärztetag die gesundheitspolitischen Leitsätze der Ärzteschaft "Ulmer Papier".

(Beifall)

Ich denke, mit dieser Klarstellung würden wir uns ganz eindeutig positionieren, indem wir sagen: Das Gesundheitswesen ist keine Gesundheitsindustrie, die Patienten, Krankheit und Gesundheit dürfen nicht Geschäftsgegenstand sein. Das kommt zwar im "Ulmer Papier" vor, aber gleichzeitig wird die Marktwirtschaft als eine Möglichkeit der Organisation des Gesundheitswesens anerkannt. Es wird zwar kritisiert, dass Geld gemacht wird, aber gleichzeitig wird die private Versicherungswirtschaft gefordert. Gleichzeitig werden IGeL-Leistungen in einem etwas geordneteren Rahmen gefordert. Gleichzeitig taucht das, was immer wieder durch die Presse geht, auf: Wir müssen rationieren, der Staat ist dafür da, die Rationierung zu definieren und dafür vielleicht auch zu zahlen.

Ich glaube, mit einer solchen Präambel zum Prolog würden wir klarstellen, wo die Ärzteschaft steht. Das stünde uns gut an.

Danke sehr.

(Beifall)

Präsident Prof. Dr. Dr. h. c. Hoppe: Schönen Dank, Herr Dietrich. - Der nächste Redner ist Herr Kollege Pfetsch aus Westfalen-Lippe.

© Bundesärztekammer 2008