Prof. Dr. habil. Bach, Sachsen:
Danke schön, Herr Präsident. – Sehr geehrter Herr Präsident! Meine
verehrten Damen und Herren! Gestern ist der Satz gefallen: Wenn es keine
Rationierung gäbe, bräuchten wir keine Versorgungsforschung. Ich möchte dem
entgegenhalten – mein Hintergrund ist, dass ich als Psychiater
sozialpsychiatrische Forschungen betrieben habe –, dass die Entwicklung
der gesamten psychiatrischen Versorgung in Deutschland nach dem Zusammenbruch
des Dritten Reichs, nach der Verelendung in der Psychiatrie mit der Enquete,
die in den 70er-Jahren die psychiatrische Entwicklung in der Bundesrepublik
Deutschland entschieden gefördert hat, Produkt einer Versorgungsforschung war,
die sich zentral dem Thema gewidmet hat: Was müssen wir für die Verbesserung
der Situation von Menschen mit psychiatrischen Erkrankungen tun?
Nun ist das Thema des Tagesordnungspunkts II – Situation
pflegebedürftiger Menschen in Deutschland – an sich schon ein Appell an
die Versorgungsforschung, denn wie ist die Situation? Wir wissen vieles, aber
vieles wissen wir auch nicht. Die beiden Vorträge, die wir heute Vormittag
gehört haben, waren meines Erachtens Vorträge, die eine Fülle von Fragen
aufgeworfen haben, die wir durch die Versorgungsforschung beantworten müssen.
Ich bitte Sie, dem Antrag II-5, in dem ich dezidiert
Versorgungsforschung fordere, zuzustimmen, zumal wir vor allen Dingen in den
psychiatrisch forschenden Einrichtungen die Neigung haben, uns immer mehr der
rein biologischen Forschung zuzuwenden und diese bedeutsame
Versorgungsforschung gerade auf diesem Feld zu vernachlässigen. Ich habe
überlegt, was man alles beforschen könnte, und bin auf eine große Liste
gekommen, die ich hier aus Zeitgründen nicht vortrage. Ich möchte nur zwei
Beispiele herausgreifen. Ich bin in einer Besuchskommission des Freistaats
Sachsen, die in den Pflegeheimen die Verhältnisse evaluiert. Vor diesem
Hintergrund spreche ich hier.
Eine solche Frage ist beispielsweise: Ist das Niveau der
menschlich-fachlichen Ausgestaltung der altenpflegerischen Betreuung der
Tatsache angepasst, dass die zu pflegende Population immerhin aus dem
Computerzeitalter stammt und zum Teil aus bürgerlichen Schichten mit einem
hohen intellektuellen Differenzierungsgrad kommt? Demenz bedeutet ja nicht,
dass sich alle in dem Zustand befinden, wie es hier Herr Professor Kruse im
Zusammenhang mit seinem speziellen Forschungsprojekt erwähnt hat. Sie sind
vielmehr zu einer differenzierten Lebenserfahrung fähig, wenn auch nicht mehr
zu einer differenzierten Lebensbewältigung.
So gibt es eine Fülle von Fragen, die man stellen könnte, die
ich auf Anfrage gern zur Verfügung stelle. Deshalb bitte ich Sie, meinem Antrag
Folge zu leisten.
Schönen Dank.
(Beifall)
Präsident Prof. Dr. Dr. h. c. Hoppe: Schönen
Dank. Ich möchte die Situation kurz aufklären. Ich habe das in dem Zusammenhang
mit den Indikatoren gesagt, die deutlich machen, dass wir eine Unterfinanzierung
haben. Die Versorgungsforschung, die ich meine, soll die Ergebnisse und die
Folgen dieser Unterfinanzierung erforschen und daraus Schlüsse ziehen, wie man
die Versorgung – nicht die Finanzierung – verbessern kann.
Das ist eine andere Versorgungsforschung als jene, die wir
seit Jahrzehnten in allen möglichen Fächern der Medizin betreiben. Die
epidemiologische Versorgungsforschung gehört natürlich zum Wissenschaftsarsenal
von Ärztinnen und Ärzten, gerade im Public-Health-Bereich. Darüber möchte ich
keinen Irrtum aufkommen lassen. Diejenige Versorgungsforschung, die
beispielsweise in den skandinavischen Ländern und in Großbritannien betrieben
wird, die dauernd misst, wo die Folgen der Unterfinanzierung so sehr zu spüren
sind, dass eine Mangelsituation eintritt, die sich diesem Thema zuwendet und
auf der nächsten Stufe wieder etwas anderes entdeckt, hätten wir in Deutschland
nicht nötig, wie ich meine, wenn es bei uns keine Rationierung gäbe. Die
Tatsache, dass wir die Versorgungsforschung implementiert haben, ist ein
Zeichen dafür, dass wir jetzt auch eine Rationierung haben. So bitte ich das zu
verstehen. Die genuine medizinische Versorgungsforschung inklusive
Public-Health-Bereich habe ich damit nicht gemeint. Das wollte ich noch einmal
geklärt haben.
Der nächste Redner ist Herr Kollege Nerz. |