TOP III: Arztbild der Zukunft und Zusammenarbeit mit anderen Gesundheitsberufen

Freitag, 23. Mai 2008, Vormittagssitzung

Dr. Windhorst, Referent: Liebe Kolleginnen und Kollegen! Ich freue mich, dass Sie nach der schönen Feier gestern Abend jetzt schon so zahlreich erschienen sind. Ich hoffe, dass ich diejenigen, die bereits anwesend sind, mit diesem Thema der Zusammenarbeit mit anderen Gesundheitsberufen besonders beglücken kann. Gestern Nachmittag durften wir noch ja das wirklich hervorragende Referat des Kollegen Schulze genießen.

Warum ist die Zusammenarbeit mit anderen Gesundheitsberufen ein Thema für den Deutschen Ärztetag? Schon seit den Anfängen der wissenschaftlichen Medizin arbeiten Ärzte und andere Gesundheitsberufe zum Wohle des Patienten zusammen. Zwar haben wir nicht immer ohne Spannungen zusammengearbeitet, aber es war doch immer klar: Der Patient wird vom Arzt und von Pflegefachberufen begleitet und hervorragend versorgt. Nachdem wir durch verschiedenste Studien festgestellt haben, dass wir - immer noch - eines der besten Gesundheitssysteme der Welt haben, müssen wir uns mit diesem Thema beschäftigen, weil es wichtig ist, dass unser Beruf von vielen bürokratischen und dokumentarischen Dingen entrümpelt wird, die wir nur mit Ärmelschonern erledigen können.

Der Mangel hat allen politischen Playern ein bisschen auf den Weg geholfen, sich mit diesem Thema zu beschäftigen. Die demografische Entwicklung in Deutschland mit mehr chronisch Kranken und multimorbiden Patienten, mit mehr Pflegebedürftigen führt schon heute und noch mehr in der Zukunft zu einem stetig wachsenden Bedarf. Wir haben unterversorgte Bereiche, wir haben zu gering strukturierte Bereiche mit einer zu geringen Dosis Arzt. Es ist ein Skandal, dass in der gesetzlichen Krankenversicherung inzwischen mehr Geld für Medikamente als für die Honorare in der vertragsärztlichen Versorgung ausgegeben wird.

(Beifall)

Diese implizite Rationierung spüren inzwischen auch unsere Patienten.

Es herrscht Mangel an Ärzten. In den Medien ist der Ärztemangel inzwischen Dauerthema. Längst beschränkt sich der Ärztemangel nicht mehr auf die dünn besiedelten Regionen in den neuen Bundesländern. Händeringend suchen die Krankenhäuser und jeder, der seine Praxis veräußern will, nach Ärzten. 1992 gab es einen Pflegenotstand. Da hat sich die Politik viel mehr bewegt. Da gab es Geld, der Beruf wurde interessanter gemacht, in dieses Berufsbild wurde investiert. Es war gut, und es hat genutzt.

Aber beim Arzt keine Reaktion. Uns laufen die Kolleginnen und Kollegen weg. Nach einem aktuellen Artikel von Herrn Kopetsch im "Deutschen Ärzteblatt" sind inzwischen 19 000 deutsche Ärzte ins Ausland abgewandert. Die Rahmenbedingungen haben sich so grottenschlecht entwickelt. Ärzte werden durch die überbordende Bürokratie von ihren Patienten ferngehalten und verjagt. Wenn Politik und Kostenträger diese Aufgaben wirklich für unverzichtbar halten, wie es damals beim Pflegenotstand der Fall war, müssen sie sich bewegen. Es müssen neue Berufe von uns mitgeschaffen werden, indem wir nichtärztliche Berufe im Zusammenhang mit den Pflegefachberufen neu kreieren, die aber auch extrabudgetär berücksichtigt werden müssen.

Es herrscht natürlich Versorgungsmangel. Angesichts des Verdrängungswettbewerbs unter den Krankenhäusern, angesichts des jetzt einsetzenden Wettbewerbs auch im vertragsärztlichen Bereich - Stichwort: hausarztzentrierte Verträge in Baden-Württemberg - und angesichts der Erosion des Gesamtsystems stellt sich die bange Frage: Wer wird in fünf, zehn oder 15 Jahren für die Sicherstellung einer flächendeckenden und wohnortnahen Versorgung geradestehen?

Aber Not macht bekanntlich erfinderisch. Angesichts dieser Mangelsituation haben die Big Player im Gesundheitswesen national wie international nach Lösungen gesucht, die vor allem eines sein müssen: kostengünstig.

Wie haben andere Länder diese Probleme bewältigt? Schon seit 1970 gibt es in Kanada Nurse Practitioners. Seit 1989 gibt es in Großbritannien Practice Nurses und seit 1997 Nurse Practitioners in den Niederlanden. Es gibt sehr viele Studien aus Großbritannien, die aussagen, dass das System nicht unbedingt kostengünstiger wird, indem man eine Versorgungszwischenebene einzieht, die natürlich auch eine gewisse Eigendynamik entwickelt.

Sehen wir uns das niederländische Beispiel etwas näher an. Auslöser für die Einführung der Nurse Practitioners waren ein Arztmangel vor allem im hausärztlichen Bereich sowie die Akademisierung von Pflegeberufen. Die Gesetzgebung ebnete dann zügig den Weg, auch den Pflegeberufen die Ausübung der Heilkunde zu ermöglichen. Zu den Aufgaben der Nurse Practitioners in den Niederlanden zählen die Erhebung der Anamnese, die körperliche Untersuchung, die medizinische Diagnostik, die Verschreibung von Medikamenten und die Überweisung an Fachärzte. Zuvor waren dies Aufgaben von Ärzten.

Welchen Vorteil haben diese Systeme? Verbesserung der Qualität? Abbau von Wartelisten? Verbesserung der Mangelsituation? Verbesserung der Patientensicherheit?

Aus den Niederlanden gibt es keine genauen Zahlen. Aber es gibt Studien aus anderen Ländern, aus denen wir lernen können. Die einzige Alternative hinsichtlich einer Zwischenebene bei der Patientenversorgung wäre eine Akademisierung der Pflegeberufe. Erinnern wir uns, dass in den USA eine ähnliche Regelung gefunden wurde. Aber ist das amerikanische System preisgünstiger geworden? Ist das amerikanische System mit diesem Wettbewerb, unter Umgehung der Berücksichtigung der Patienteninteressen, wirklich ein Vorbild für uns? Ich meine: nein.

Der Commonwealth Fund International Health Policy Survey von 2007 zeigt, dass Deutschland hinsichtlich der Patientensicherheit an erster Stelle liegt.

(Beifall)

Nach einer Schweizer Recherche von Künzi, der immerhin 250 Arbeiten ausgewertet hat, ist die Substitution ärztlicher Tätigkeit durch andere Berufe weder kostengünstiger noch qualitativ besser. Allerdings ist die Patientenzufriedenheit aufgrund der größeren Zuwendung zum Patienten besser. Dies wünschen wir uns doch auch: Wir wollen die Zeit für eine stärkere Zuwendung zum Patienten haben. Die Studie sagt nicht aus, dass die Substitution ärztlicher Tätigkeit die Situation verbessert.

Im November 2005 formulierten CDU/CSU und SPD in ihrem Koalitionsvertrag:

Es wird geprüft, inwieweit nichtärztliche Heilberufe stärker in Versorgungskonzepte einbezogen werden können.

Vielleicht stand dahinter auch die Frage: Wie kann man die Stellung des Arztes an oberer Stelle in der Berufsprestigeskala ein wenig anknabbern? 2007 widmete das Gutachten des Sachverständigenrats zur Begutachtung der Entwicklung im Gesundheitswesen ein eigenes Kapitel dem Thema: "Die Entwicklung der Zusammenarbeit der Gesundheitsberufe als Beitrag zu einer effizienten und effektiven Gesundheitsversorgung". Als eine der zentralen Thesen in diesem Gutachten findet sich:

Es zeigt sich eine nicht immer effiziente Arztzentriertheit der Krankenversorgung.

Der Begriff "Arztzentriertheit" ist für uns ein absolut positiver Ausdruck. Es ist doch gut, wenn sich der Arzt um den Patienten kümmert. Hier wird dieser Be­griff aber in einem Kontext benutzt, bei dem Ineffizienz und Hierarchie mitschwingen. Ich lehne es grundsätzlich ab, diesen Begriff in einem solchen Zusammenhang zu verwenden.

(Beifall)

Liebe Kolleginnen und Kollegen, das Gegenteil ist richtig: Arztzentrierung ist ein Qualitätsmerkmal! Wer sonst, wenn nicht der Arzt, trägt die Hauptlast der Verantwortung bei der Behandlung der Patienten? Im Übrigen hat der Sachverständigenrat in seinem Gutachten viele Vorschläge gemacht, wie beispielsweise die Logopäden, die Physiotherapeuten und die Ergotherapeuten sich weiterentwickeln können, indem sie in den ärztlichen Beruf eingreifen.

Das Pflegeweiterentwicklungsgesetz will eine Öffnung des Arztvorbehalts. Ich war außerhalb der Bundesärztekammer und der Kassenärztlichen Bundesvereinigung bei einer Anhörung des Gesundheitsausschusses des Deutschen Bundestages und habe dargelegt, was wir alle denken. Ich denke, es ist verstanden worden, dass wir keine Modellvorhaben unterstützen werden, die in irgendeiner Weise versuchen, beispielsweise in Altenheimen und Pflegeheimen Testpersonen zu rekrutieren, um mit nichtärztlichem Personal die medizinische Versorgung durchzuführen.

Physiotherapeuten sollen selbstständig die Dauer der physikalischen Therapie und die Frequenz der Behandlungseinheiten bestimmen. Diese Modellvorhaben sind nach den Einwendungen von Bundesärztekammer und Kassenärztlicher Bundesvereinigung abgeschwächt worden. In diesem Bereich wird der Physiotherapie schon ein eigenes Budget überantwortet. Es stellt sich die Frage, wer die Gesamtverantwortung für diesen Bereich trägt. Diese Frage wurde aber nicht beantwortet.

Das Gesetz sieht noch gravierendere Veränderungen vor. Nach § 63 Abs. 3 c kann in Modellvorhaben die Übertragung ärztlicher Tätigkeiten, bei denen es sich um die selbstständige Ausübung der Heilkunde handelt, auf die Angehörigen der Pflegeberufe vorgesehen werden. Das geht mit unserem System und mit unserem Verantwortungsethos für die Patienten nicht. Dies ist meiner Meinung nach der direkte Weg in die Zweiklassenmedizin: eine ärztliche Versorgung mit einem Rechtsanspruch auf Facharztstandard und eine nichtärztliche Versorgung zweiter Klasse, die politisch gewollt ist. Das kann es doch nicht sein, liebe Kolleginnen und Kollegen!

(Beifall)

Welche bislang dem Arzt vorbehaltenen Tätigkeiten auf nichtärztliche Berufe übertragen werden können, soll durch den Gemeinsamen Bundesausschuss entschieden werden. Die Bundesärztekammer muss in diesem Verfahren laut Gesetz angehört werden. Ich bin dankbar dafür, dass wir gnädigerweise angehört werden. Wir sagen Nein zu dieser Entwicklung!

(Beifall)

Das Pflegeweiterentwicklungsgesetz bringt nicht nur nachteilige Veränderungen für Patienten und Ärzte. Nach § 87 Abs. 2 b SGB V wird eine Erweiterung der Delegation ärztlicher Leistungen möglich. Es soll eine Regelung getroffen werden, nach der ärztlich angeordnete Hilfeleistungen der nichtärztlichen Gesundheitsberufe im häuslichen Umfeld des Patienten auch in Abwesenheit des Arztes - aber nach ärztlicher Anordnung und vor allem: unter ärztlicher Verantwortung - vergütet werden. Das ist "Schwester Agnes" in Reinkultur nach dem Delegationsprinzip unter ärztlicher Verantwortung. Das können wir akzeptieren.

Die Ausübung der Heilkunde ist an zahlreiche Rechtsnormen gebunden. Oberstes Gebot für uns Ärzte ist dabei: primum nil nocere. Diese uralte Maxime ärztlichen Handelns begleitet uns schon lange und definiert ärztliches Handeln. Wir sind im Bereich der Patientensicherheit wirklich gut, wie der bereits erwähnte Commonwealth Fund International Health Policy Survey ergeben hat.

Der Bundesgerichtshof hat 1983 geurteilt:

Die Sicherheit des Patienten geht allen anderen Gesichtspunkten vor und darf nicht etwaigen personellen Engpässen geopfert werden.

Das können wir seitens der Ärzteschaft voll unterstützen.

Klar ist: Wir werden, auch wenn Engpässe vorhanden sind, uns nicht gleich erpressen lassen und unseren Beruf zerstückeln und etwas abgeben, nur um dem Billigheimer das Wort zu reden.

(Beifall)

Juristen haben den Begriff des Arztvorbehalts geprägt. Ulsenheimer schreibt in seinem Buch "Arztstrafrecht in der Praxis" 2003:

Kennzeichnend für die Arztvorbehalte ist des weiteren, dass die Tätigkeiten, die dem approbierten Mediziner vorbehalten sind, regelmäßig mit erheblichen Gefahren für den Patienten oder für die Allgemeinheit verbunden sind ?

Der Tatbestand der Körperverletzung ist erfüllt, wenn keine ärztliche Diagnose für einen bestimmten Eingriff vorliegt und wenn der Patient keine Einwilligung gegeben hat. Die besonderen Risiken können nur mit ärztlichem Fachwissen beherrscht werden. Das ist und bleibt unsere Forderung, und zwar nicht aus Gründen der Besitzstandswahrung, sondern weil es den klaren Arztvorbehalt gibt, den wir einfordern.

(Beifall)

Der Gesetzgeber hat den Arztvorbehalt in zahlreichen Gesetzen festgeschrieben. Meldepflichtige Infektionserkrankungen, Bluttransfusionen, der Umgang mit Embryonen und Röntgenstrahlen, mit Betäubungs- und Arzneimitteln, die Anwendung von Medizinprodukten: Mit Blick auf das Gefahrenpotenzial hat der Gesetzgeber hier Ärztinnen und Ärzten die Verantwortung und damit auch das Haftungsrisiko zugeschrieben.

Auch die Wissenschaft formuliert klare Aussagen zum Arztvorbehalt. Ein Beispiel: Angesichts des Risikopotenzials von sogenannten "Parallelnarkosen" und der Durchführung von Narkosen durch Nichtärzte hat die Deutsche Gesellschaft für Anästhesie in ihrer "Münsteraner Erklärung" den wissenschaftlichen Erkenntnisstand festgehalten:

Es gibt klare Hinweise dafür, dass die Qualifikation dessen, der das Anästhesieverfahren durchführt und überwacht, mit dem Behandlungserfolg korreliert. Zwischenfälle in der Anästhesie sind selten. Das darf aber nicht darüber hinwegtäuschen, dass es sich dann in der Regel um lebensbedrohliche Krisen mit schweren und schwersten Folgen für den Patienten handelt, zwischen deren Erkennen und Beherrschen meist nur wenige Minuten liegen.

Der Patient muss sich darauf verlassen können, dass es sich um eine am Facharztstandard orientierte Narkose handelt.

(Beifall)

Es gibt also klare Erklärungen, was wir nicht wollen, beispielsweise auch das, was eine große Klinikkette durchführen zu müssen meinte. Wir als Advokaten unserer Patienten haben nicht nur das Recht, sondern auch die Pflicht, davor zu warnen, dass so etwas nicht passiert.

Diese Erklärung wird auch durch wissenschaftliche Erkenntnisse der AWMF bestätigt. Auch die AWMF spricht sich für eine einheitliche Heilkundeausübung durch Ärztinnen und Ärzte aus.

Die Bundesärztekammer und die Kassenärztliche Bundesvereinigung erarbeiten zurzeit unter großen Anstrengungen unter dem Titel "Möglichkeiten und Grenzen der Delegation ärztlicher Leistungen" einen Rahmen für die Zuweisung von Aufgaben und delegationsspezifischer Verantwortung.

Was geschieht, wenn der Arztvorbehalt nicht beachtet wird? Ich zeige Ihnen zwei Beispiele aus Erfurt und Nordrhein-Westfalen. Es kann doch nicht sein, dass wir tatenlos zusehen, wenn Kosmetikerinnen Lokalanästhetika spritzen, nicht wissend, wie es wirkt und was sie da spritzen, nur um bei einer Patientin die Haare zu entfernen.

(Beifall)

Das Schema der Delegationsfähigkeit ist eindeutig. Es gibt eine grundsätzliche Delegationsfähigkeit. Sie beginnt beim Blutdruckmessen und kann mit vielen anderen Stationen hinterlegt werden. Wir wissen, dass es bei einigen delegationsfähigen Aufgaben noch keine klare Rechtssituation gibt. Die Infusion von Zytostatika nach der Gabe von i.v.-Medikamenten nach dem Legen von Kanülen unter ärztlicher Aufsicht ist etwas, was geklärt ist. Zytostatika dürfen mittlerweile im Delegationsprinzip und in Kooperation gegeben werden. Das gilt beispielsweise aber nicht für Bluttransfusionen. Das Transfusionsgesetz steht dem entgegen.

Es gibt auch nicht delegationsfähige Leistungen. Denken Sie an die CTAs. Es gibt eine Schule, die in einem 80-Stunden-Kurs für den Pflegeberuf qualifizieren soll. Die CTAs dürfen beispielsweise den Bauch öffnen, nicht nur schließen, sie dürfen Blutstillung machen, sie dürfen Drainagen anlegen. Und das alles nach 80 Stunden Fortbildung! Das ist ein Hohn im Hinblick auf unsere ärztliche Arbeit!

(Beifall)

Der Patient kann sich nicht wehren. Das können nur wir für ihn tun. Natürlich brauchen wir eine gute Zusammenarbeit mit den anderen Gesundheitsberufen. Das können wir auch gut absprechen.

Im Sozialrecht gibt es auch schon Bestimmungen zur Delegation. § 15 Abs. 1 SGB V schreibt ausdrücklich vor:

Ärztliche oder zahnärztliche Behandlung wird von Ärzten oder Zahnärzten erbracht. Sind Hilfeleistungen anderer Personen erforderlich, dürfen sie nur erbracht werden, wenn sie vom Arzt (Zahnarzt) angeordnet und von ihm verantwortet werden.

Diese Bestimmung soll durch die Ergänzung nach dem Pflegeweiterentwicklungsgesetz fallen. Hilfeleistungen dürfen nur erbracht werden, wenn sie vom Arzt angeordnet und von ihm verantwortet werden, "soweit nicht in Modellvorhaben nach § 63 Abs. 3 c etwas anderes bestimmt ist".

Ausdrücklicher Bestandteil der ärztlichen Leistung ist nach § 28 SGB V auch die Hilfeleistung anderer Personen, die vom Arzt angeordnet und von ihm zu verantworten ist.

Patienten selbst wollen eine ganzheitliche Versorgung. Nicht nur Ärzte wandern aus, sondern die Patienten nehmen Reißaus; denn die Verantwortung der Ärzte ist zum Teil bei uns durch den Arztvorbehalt geregelt. Es kann ja sein, dass die Patienten in ein Billiglohnland gehen, wo sie noch eine ganzheitliche Versorgung bekommen. Das dürfen wir natürlich überhaupt nicht unterstützen. Unsere Patienten dürfen nicht den Eindruck haben, sie müssten vor dem Arzt fliehen, sondern der Patient muss vom Arzt ganzheitlich und geborgen versorgt werden.

(Beifall)

Um Einstein, der ja hier in Ulm geboren ist, zu zitieren: Wir wollen die Dinge anders tun! Die steigenden Anforderungen durch Demografie und medizinischen Fortschritt, aber auch der wachsende ökonomische Druck erfordern ein anderes Vorgehen in der Zusammenarbeit aller im Gesundheitswesen Tätigen. Dem wird sich die Ärzteschaft nicht verweigern. Patientenwohl, aber auch die Arztzufriedenheit werden durch die Morbiditätsentwicklung in besonderer Weise herausgefordert.

Wir wollen die Dinge zusammen tun. Natürlich setzen auch Ärztinnen und Ärzte auf Kooperation mit allen Gesundheitsberufen. Moderne Medizin ist komplex und kann nur in arbeitsteiliger Kooperation zu guten Ergebnissen führen. Dagegen wehren wir uns ja auch nicht. Aber es gibt bestimmte Grundregeln, die dabei zu beachten sind und nicht Fachgruppeninteressen geopfert werden dürfen.

Wir wollen Dinge aber auch nicht mehr tun. Wir wollen nicht weiter zuwarten, wie in der immer komplexeren Versorgung und bei der demografischen Entwicklung die Ärzteschaft für die Eskalation des Mangels verantwortlich gemacht wird. Viel zu lange und viel zu oft wurden und werden Ärztinnen und Ärzte durch Tätigkeiten belastet, die nicht zu unseren eigentlichen Aufgaben zählen. Als Stichwort gehört hierher die überbordende Bürokratie, die Dokumentationswut. Es kann nicht sein, dass wir mehr Zeit am Computer als am Patienten verbringen.

(Beifall)

Ich bitte Sie daher, dem Antrag des Vorstands auf Drucksache III-3 "Stärkere Einbeziehung von Gesundheitsberufen in das Case Management" zuzustimmen.

Ich weise auf das Beispiel der Flugsicherheit hin. Wir haben gehört, dass es beim Bau des A380 Schwierigkeiten gab, weil es zu wenig Techniker gab, die die Kabelbäume installieren konnten. Hat man per Zeitungsannonce neue Techniker gesucht? Nein, aus Gründen der Sicherheit, der Qualität haben die Diplom-Ingenieure die Kabelbäume selber verlegt. Sie haben sich in dieser Mangelsituation selbst geholfen.

Genauso ist es bei uns. Wir werden die Mangelsituation nicht eliminieren können, aber wir werden uns bemühen, Lösungsansätze zu finden.

(Beifall)

Wir haben aus der teamorientierten Zusammenarbeit auf dem Gebiet der Flugsicherheit und des Qualitätsmanagements in der Luftfahrt gelernt. Wir haben aus der Luftfahrt gelernt, dass Teamarbeit, richtig dosiert, die Flugsicherheit ausmacht. Die richtige Dosis an Teamarbeit in der Gesundheitsversorgung macht die Patientensicherheit aus. Jeder an seinem Platz ist wichtig!

Maßstab für die Fortentwicklung der Aufgabenverteilung zwischen den Gesundheitsberufen ist aus Sicht der Ärzteschaft das Primat der Qualität und Sicherheit der Patientenversorgung. Erst dann kommen ökonomische Aspekte wie die Optimierung von Prozessen und die Wirtschaftlichkeit. Wir machen uns neue Aufgaben zu eigen, wir bewegen uns mit einem wachen Auge auf Kernkompetenzen und unter dem Aspekt, dass die Weiterbildung für unseren Nachwuchs keinen Schaden erleidet.

(Beifall)

Wir werden bei der Weiterentwicklung die Debatte über die Besitzstandswahrung von vornherein unterbinden. Wir werden die Kernkompetenzen schützen.

Die Forderung der Ärzteschaft bei einer Neuverteilung von Aufgaben lautet, dass wir die Gesamtverantwortung behalten. Es ist völlig klar, dass wir mit einer Fragmentierung nicht nur nichts anfangen können, weil wir uns für den Patienten voll verantwortlich fühlen, und wir haben der Substitution eine klare Absage erteilt. Wir wollen keine Einführung einer neuen nichtärztlichen Versorgungsebene. Es kann nicht sein, dass wir eine Zwischendecke dort einziehen, wo gar keine erforderlich ist, weil sich sonst auch wieder ein Eigenleben entwickeln würde. Wahrscheinlich müssten wir dann auch noch Koordinatoren neu beschäftigen. Das kann nicht sein.

(Beifall)

Wir haben für den niedergelassenen Bereich schon eine sehr gute Basis. Die Medizinischen Fachangestellten müssen stärker eingebunden werden. Sie sind die Vertrauten des Hausarztes, in dessen Verantwortung sie auch arbeiten. Das Projekt "Schwester Agnes" muss in diesem Zusammenhang erwähnt werden. Auch das Projekt VERAH, das von der Kassenärztlichen Bundesvereinigung impliziert wurde. Es ergibt ein Potenzial von 300 000 Arzthelferinnen und Medizinischen Fachangestellten. Hierin steckt noch ein großes und qualitativ gutes Potenzial.

Seit Oktober 2007 wurden von der Bundesärztekammer fünf Fortbildungscurricula zur Weiterqualifizierung der Medizinischen Fachangestellten verabschiedet: Patientenbegleitung und Koordination, Ernährungsmedizin, Prävention im Kindes- und Jugendalter, Prävention bei Jugendlichen und Erwachsenen sowie ambulante Versorgung älterer Menschen.

Für Medizinische Fachangestellte soll es auch Weiterentwicklungsmöglichkeiten geben. Wir können, wenn wir wollen, die Medizinische Fachangestellte weiterqualifizieren. Ich erteile aber ganz klar der Bachelor- und Master-Entwicklung in den medizinischen Fachberufen eine Absage.

(Beifall)

Wir werden nicht zulassen, dass ein "Arzt light" in dem Sinne entsteht, dass womöglich noch Preistreiberei entsteht. Das wird mit uns nicht gehen. Das ist für uns als Ärzte eine ganz klare Kampfansage.

(Beifall)

Medizinisch-digitale Technik mit Audio-Video-Verbindung ist möglich, aber nur auf dem Delegationsweg unter Verantwortung des Arztes, mit der Möglichkeit, dieses mit einer eigenen EBM-Ziffer zu belegen, damit klar ist, dass die Arbeit im Auftrag des Arztes geschieht.

Ich bitte Sie, dem Antrag des Vorstands der Bundesärztekammer zur Weiterentwicklung des Berufsbildes der Medizinischen Fachangestellten auf Drucksache III-2 zuzustimmen. Als direkter Ansprechpartner für den Arzt, der die Versorgung durchführt, ist die MFA eine Vertrauensperson, die der besonderen Aufmerksamkeit bedarf.

Auch in der stationären Versorgung sieht die Ärzteschaft durch verbesserte Qualifizierungen Lösungsmöglichkeiten. So unterstützt die Bundesärztekammer Bestrebungen zu einer bundeseinheitlichen Regelung des Berufs des Operationstechnischen Assistenten, des OTA. Der OTA kommt aus dem technischen Bereich und möchte nicht in den Pflegeberuf involviert werden, wie es die Direktoren der mittlerweile schon 70 existierenden Schulen vorhaben. Der OTA ist in allen Bereichen der Versorgung im interventionellen Bereich einsetzbar. Wir wollen beginnen mit der Viszeralchirurgie, der Gynäkologie, der Unfallchirurgie und der Orthopädie. Er hat nichts mit der ärztlichen Tätigkeit im engeren Sinne zu tun. Ich denke, hier besteht eine gute Möglichkeit für die Entlastung der Ärzte. Die Finanzierung soll im Rahmen des Krankenhausfinanzierungsgesetzes erfolgen.

Auch an anderer Stelle im stationären Bereich führen Qualifizierungen nichtärztlicher Berufe zu einer Entlastung, beispielsweise bei der Dokumentation und der Verschlüsselung, die durch medizinische Dokumentationsassistenten besser gewährleistet werden können als durch Ärzte.

Ein weiteres Beispiel ist das Case Management. In einem Gutachten von Professor Nagel aus Bayreuth wurden 50 Case-Management-Projekte untersucht. Case Manager als Fallverantwortliche sollen arztentlastend und arztunterstützend Bereiche der Dokumentation, der Qualitätssicherung und der allgemeinen intersektoralen Organisation übernehmen. Dort brauchen wir noch weitere Evaluationen. Die Case Manager sollen auch an Visiten teilnehmen und nah mit dem Arzt zusammenarbeiten und entsprechend dem Delegationsprinzip Verantwortung übernehmen.

Das Universitätsklinikum Münster hat neue Aufgabengebiete für die Pflege getestet. An der Medizinischen Universitätsklinik Freiburg kann die intravenöse Applikation von Zytostatika nach ärztlicher Anordnung und nach schriftlicher Einverständniserklärung der Patienten auch durch das Pflegepersonal erfolgen. Wir gehen ja zunächst einmal davon aus, dass der Patient im Krankenhaus nach dem Arztstandard versorgt wird. Wenn eine andere Versorgungsebene ins Spiel kommt, muss der Patient darüber aufgeklärt werden. Wenn beispielsweise ein chirurgisch-technischer Assistent am OP-Tisch stehen sollte, weil die Kolleginnen und Kollegen in der Chefarztetage es nicht besser wissen, dann muss die Aufklärung des Patienten erfolgen. Es muss auch ein Hinweis an die Haftpflichtversicherung gegeben werden, denn das kann unter ärztlichen Aspekten nicht mehr abgedeckt werden.

(Beifall)

Zusammengefasst lauten unsere Ziele: Erstens. Der Patientenschutz muss absoluten Vorrang haben. Zweitens. Der Facharztstandard muss beibehalten werden. Wir werden ganz klar der Delegation in Kooperation das Wort reden. Wir werden auf der Basis der guten Erfahrungen, die mit den Pflegefachberufen gemacht wurden, weiterarbeiten. Wir werden aber auch berücksichtigen, dass die Ganzheitlichkeit der Ausübung der Heilkunde am Patienten bestehen bleibt.

Liebe Kolleginnen und Kollegen! Fazit: Kooperation - ja, Delegation - ja, Substitution - nein!

(Beifall)

Liebe Kolleginnen und Kollegen! Bitte unterstützen Sie den Antrag III-4 des Vorstands der Bundesärztekammer, der sich mit dem Prinzip "Delegation - ja, Substitution - nein" befasst. Unterstützen Sie mich bitte in den Alltagsgesprächen mit den Vertretern der Gesundheitsfachberufe, die sich von dieser Diskussion, die von der Politik losgetreten wurde, erwartet haben, dass sie endlich an den Kuchen der ärztlichen Versorgung herankommen und sich Teile davon herausnehmen können, was die Heilkunde am Menschen angeht. Mit uns wird die Regelung des Arztvorbehalts nie unterlaufen werden. Wir wissen, dass wir zusammen mit den anderen Gesundheitsfachberufen die führende Position hinsichtlich der Patientensicherheit erreicht haben, wie der Commonwealth Fund International Health Policy Survey aussagt. Diese Vorrangstellung wollen wir unter allen Umständen beibehalten.

Danke schön.

(Beifall)

Präsident Prof. Dr. Dr. h. c. Hoppe: Vielen Dank, Theo Windhorst.

Durch die beiden Referate haben wir nun einen guten Überblick über das Arztbild der Zukunft und die Zusammenarbeit mit anderen Gesundheitsberufen. Bisher sind zu diesem Themenkomplex 21 Anträge eingegangen. Die erste Rednerin in der Diskussion ist Frau Kollegin de Mattia aus Schleswig-Holstein.

© Bundesärztekammer 2008