TOP IV: Auswirkungen der Telematik und elektronischen Kommunikation auf das Patient-Arzt-Verhältnis

Donnerstag, 22. Mai 2008, Vormittagssitzung

Dr. Jonitz, Vorstand der Bundesärztekammer: Herr Vorsitzender! Liebe Kolleginnen und Kollegen! So tief dürfen wir nicht sinken, den Kakao, durch den man uns zieht, auch noch zu trinken. Warum ist das Großprojekt Telematik gescheitert? Die Antwort ist relativ einfach: Weil man dazu das Gleiche braucht wie für eine funktionierende Arzt-Patienten-Beziehung, nämlich Vertrauen. Vertrauen
existiert dann, wenn man gemeinsame Ziele hat, wenn man die heimlichen Absichten darlegt und einen Konsens findet, wenn man eine gemeinsame Finanzierungsstrategie auf den Weg bringt. Das existiert aber nicht, das ist von vornherein nicht da. Die Ministerin macht uns zwar freundliche Angebote, aber letztendlich ist bei diesem Projekt nur eines klar: Wenn das Projekt realisiert wird, haben vor allen Dingen diejenigen den Nutzen, die am Gesundheitswesen Geld verdienen, nämlich die Industrie und auch die Krankenkassen. Sie machen jede Menge Druck, und zwar auf allen zur Verfügung stehenden Ebenen.

Im Sponsorenbericht der Bundesregierung aus dem letzten Jahr ist das BMG mit 50 Millionen Euro Fördermitteln als Spitzenreiter aufgeführt. Welche Summen vielleicht noch abseits dieses Berichts laufen, ist natürlich nicht öffentlich. Die Kosten sind in gar keiner Weise kalkuliert worden; sie sind auch jetzt noch nicht klar. In einem benachbarten Land jenseits des Kanals, nämlich dieser Insel vor der französischen Küste, im Vereinigten Königreich, wird das gleiche Projekt derzeit ebenfalls auf den Weg gebracht, mit staatlichen Möglichkeiten. Die Kosten belaufen sich dort bereits jetzt auf 3,5 Milliarden Pfund. Der Zeithorizont für die Einführung der Telematik im englischen Gesundheitswesen - staatlich und autoritär organisiert, klare Strukturen, klare Geldgeber - ist derzeit bis zum Jahr 2015 verlängert. Der Kostenhorizont liegt derzeit bei 12,7 Milliarden Pfund.

Das heißt, das, was auf uns zukommt, ist nicht kalkulierbar. Klar ist: Das Risiko für alles, was dort drinsteckt, für die Gesundheitskarte genauso wie für den elektronischen Arztausweis, liegt bei uns. Das heißt, die einen profitieren, und wir sind dann diejenigen mit dem Schwarzen Peter.

(Beifall)

Genau deswegen ist hier erhebliche Skepsis angezeigt; denn genauso, wie wir für die inhaltliche Arbeit am Patienten die Letztverantwortung haben, haben wir auch die Letztverantwortung für den Bereich der Einführung neuer Techniken mit ihren Risiken und Nebenwirkungen.

Ich möchte Ihre Aufmerksamkeit darauf lenken, dass wir mit sehr großer konstruktiver Skepsis das Thema der elektronischen Patientenakte anschauen. Dazu bedarf es eines Schlüssels, das ist der elektronische Arztausweis. Dieses Projekt wird derzeit mit Macht vorangetrieben, ohne dass ausreichend geklärt ist - zumindest aus der Sicht der Ärztekammer Berlin -, welche Risiken, welche Kosten für die einzelnen Kammern und damit auch für die Beitragszahler daraus resultieren.

Ich bitte Sie, sich mit dem Antrag 14 zu befassen und ihn anzunehmen.

Vielen Dank.

(Beifall)

Vizepräsident Dr. Montgomery: Vielen Dank, lieber Günther. - Die nächste Rednerin ist die Kollegin Professor Alexandra Henneberg aus der Ärztekammer Hessen.

© Bundesärztekammer 2008