TOP IV: Auswirkungen der Telematik und elektronischen Kommunikation auf das Patient-Arzt-Verhältnis

Donnerstag, 22. Mai 2008, Vormittagssitzung

Dr. Weichert, Referent: Ich will und brauche kein Schlusswort. Deshalb wollte ich mich zwischendurch melden. Aber vielleicht wird es doch so etwas wie ein Schlusswort, wenn der Geschäftsordnungsantrag durchgeht.

Ich bin nicht vom Saulus zum Paulus geworden, sondern ich war immer Datenschützer. Die Technologie und die Zeiten haben sich geändert. In den 90er-Jahren waren wir alle noch sehr viel technikskeptischer, weil die Selbstschutzmöglichkeiten noch nicht in der Weise bestanden wie heute. Die damalige Kryptografie war eine Technologie, die beim Bundesnachrichtendienst oder anderen Geheimdiensten verfügbar war. In der Zwischenzeit ist die Kryptografie Allgemeingut. Jeder von uns kann sie nutzen.

Das Tolle ist: Bei der Telematik, wie sie geplant ist, soll die Kryptografie, staatlich verordnet, von allen Bürgerinnen und Bürgern und allen Ärzten genutzt werden. Ich denke, das ist eine positive Entwicklung, die wir aufnehmen sollen.

Dass ich nicht vom Saulus zum Paulus geworden bin, sieht man auch bei vielen anderen Aspekten des Datenschutzes. Herr Schäuble hätte sich sicher nicht so begeistert an mich gewendet, um mich als Redner zu gewinnen, wie das die Bundesärztekammer getan hat, weil ich viel zu kritisieren habe, wenn er mit seiner Onlinedurchsuchung kommt, wenn er mit seiner Vorratsdatenspeicherung kommt, wo zentral und unverschlüsselt durch den Betroffenen Daten verfügbar sind, genauso wie bei Google, die ausgewertet werden können.

Auch die Dateien in Liechtenstein sind Daten in einer Datenbank einer Bank gewesen, die unverschlüsselt durch den Betroffenen selbst gespeichert waren und deshalb missbraucht werden konnten. Genauso verhält es sich mit den Daten in Großbritannien. Die vielen Missbrauchsbeispiele, die hier vorgetragen wurden, sind alles Beispiele dafür, dass Daten unverschlüsselt an Dritte zur Verfügung gestellt worden sind. Das soll mit der Telematikinfrastruktur, wie sie die gematik geplant hat und wie ich sie verstanden habe, nach allen Konzepten, die ich bisher gesehen habe, nicht der Fall sein.

Hören Sie also bitte auf mit den unsachlichen und falschen Argumenten hinsichtlich einer zentralen Datenspeicherung. Es gibt vielleicht eine physikalische zentrale Datenspeicherung, aber es gibt keine logische. Wenn es so umgesetzt wird, haben wir sogar eine absolut dezentrale Datenspeicherung, weil jeder mit seinem Schlüssel in der Tasche durch die elektronische Gesundheitskarte den Schlüssel für den Zugang zu den jeweiligen Daten hat.

Eine Vielzahl von zentral gespeicherten unverschlüsselten Daten sind derzeit bei den Krankenkassen vorhanden. Das muss Ihnen klar sein. Diese Daten werden auch ausgewertet. Wir als Datenschützer haben seit zehn Jahren gefordert, dass eine Pseudonymisierung stattfinden soll. Damit sind wir bisher nicht durchgedrungen. Jetzt haben wir eine Ersatzdiskussion über die elektronische Gesundheitskarte. Die wahren Probleme sind aber meines Erachtens noch gar nicht thematisiert worden.

Es wurde gesagt: Wir wollen keine Datentreuhänder sein. Sie sind aber Datentreuhänder. Sie sind derzeit Verwalter der Geheimnisse Ihrer Patientinnen und Patienten. Eine neue Qualität ist, dass niemand an der elektronischen Datenverarbeitung mehr vorbeikommt. Sie müssen sich mit dieser neuen Rolle anfreunden, ob es Ihnen gefällt oder nicht, weil wir eben in einer neuen Zeit leben. Ich denke, daraus sollte man auch die strukturellen Konsequenzen ziehen.

Ich finde diese Debatte, wie sie hier stattfindet, toll. Ich habe den Eindruck, dass Sie sich ernsthaft um das Patientengeheimnis streiten, dass es für Sie ein ehrliches Anliegen ist, nicht nur die eigenen Interessen im Auge zu haben, sondern auch die Interessen Ihrer Patientinnen und Patienten zu vertreten. Das finde ich klasse. Ich denke, Sie sollten insofern Ihre kritische Haltung beibehalten. Kritische Haltung bedeutet aber nicht Verweigerung, sondern immer auch mitgestalten wollen. Ich denke, in diesem Sinne geht das Papier, wie es vom Vorstand der Bundesärztekammer vorgelegt worden ist, genau in die richtige Richtung, nicht allem himmelhochjauchzend zustimmend, was vom Ministerium und anderen Playern in diesem Bereich vorgeschlagen wird, aber hinterfragend und dann sagend: Dieses finden wir gut, jenes muss noch geändert werden, bei diesem sind wir absolut dagegen. Aber der Zug fährt weiter.

Ich bedanke mich ganz herzlich für Ihre sehr gute Diskussion, die Sie hier führen.

(Beifall)

Vizepräsident Dr. Montgomery: Vielen Dank, Herr Weichert, auch für diese spannende Intervention.

Nach der Geschäftsordnung hat Dr. Christoph von Zastrow von der Ärztekammer Niedersachsen einen Geschäftsordnungsantrag gestellt. In anticipatio hat sich bereits der Kollege Calles zur Gegenrede positioniert.

© Bundesärztekammer 2008