TOP VI: Tätigkeitsbericht der Bundesärztekammer

Freitag, 23. Mai 2008, Vormittagssitzung

Prof. Dr. Dr. h. c. Scriba, Referent: Verehrter Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Ich möchte, wenn Sie es erlauben, mit einem Wort des Dankes an die Ärztetage dafür beginnen, dass sie mit großer Weisheit beschlossen haben, die Versorgungsforschung zu fördern und den Vorstand der Bundesärztekammer zu autorisieren, aktiv in die Versorgungsforschung einzusteigen. Das verdient Dankbarkeit, Respekt und Anerkennung, jedenfalls aus meiner Sicht.

Sie werden wahrscheinlich fragen: Wozu ist es eigentlich notwendig, dass wir Geld in die Hand nehmen - es sind letztlich Ihre Beiträge -, um damit die Versorgungsforschung zu fördern? Das ist eine berechtigte Frage. Ich will versuchen, mit wenigen Worten zu erläutern, was wir getan haben. Das ist ja der Sinn des jährlichen Berichts, den wir hier erstatten. Die Förderinitiative kümmert sich um die Versorgungsforschung. Versorgungsforschung ist die wissenschaftliche Untersuchung der Versorgung von Einzelnen und der Bevölkerung mit gesundheitsrelevanten Produkten und Dienstleistungen unter Alltagsbedingungen.

Was soll mit der Förderung der Versorgungsforschung durch die Ärzteschaft erreicht werden? Es soll die wissenschaftliche Kompetenz und Verantwortung für die Versorgung in der Selbstverwaltung demonstriert werden. Es soll nachgewiesen werden, dass die Ärzteschaft in der Lage ist, selbst Verbesserungspotenziale aufzuzeigen und entsprechende Vorschläge zur Umsetzung zu machen.

Im Rahmen der Förderinitiative der Bundesärztekammer zur Versorgungsforschung sollen Fragestellungen untersucht werden, die von besonderer beruflicher und gesundheitspolitischer Relevanz für die gesamte Ärzteschaft und insbesondere auch für die Patienten sind.

Es sollen die Ergebnisse der Versorgungsforschung für Politikberatung aufbereitet und Hinweise auf Probleme der gesundheitlichen Versorgung und zur Verbesserung der Versorgungssituation gegeben werden.

Schließlich sollen Projekte mit Modellcharakter gefördert und deren Ergebnisse in die Fläche oder in andere Bereiche der gesundheitlichen Versorgung übertragen werden.

Im Rahmen der Förderinitiative gibt es drei verschiedene Fördertypen: Einzelprojekte mit Modellcharakter, Querschnittsprojekte sowie Kurzgutachten und Expertisen. Darauf möchte ich im Folgenden kurz eingehen.

Was haben wir bisher erreicht? Zunächst zu den Einzelprojekten mit Modellcharakter, den sogenannten Typ-I-Projekten. Mit 17 Projekten wurden Verträge abgeschlossen. 11 Projekte erhalten eine "Vollförderung", sechs einen Projektzuschuss. Informationen zu den geförderten Projekten wurden in Form von aktuellen "Projektvisitenkarten" zusammengefasst und liegen hier aus. Das ist im Übrigen eine Form der Transparenz über laufende Forschungsvorhaben, die es in keinem anderen mir bekannten Förderverfahren gibt.

(Beifall)

Laufende Projektbegleitung und Controlling durch die "Ständige Koordinationsgruppe Versorgungsforschung" (SKV) hebt sich ebenfalls aus dem Üblichen hervor. Es gibt für jedes Projekt einen Projektpaten aus dem Kreis der Ständigen Koordinationsgruppe, der beratend zur Verfügung steht. Es werden für jedes Projekt Zwischenberichte erstellt, die durch den Projektpaten der SKV begutachtet werden. Die Projektpaten berichten auf den Sitzungen der SKV, und die Projektergebnisse werden darüber hinaus in Projektworkshops vorgestellt.

Auch das ist eine Form der begleitenden konstruktiven Kritik, die ziemlich herausragend ist.

Die Themenfelder der ersten Förderphase der Typ-I-Projekte lauten: 1. Implementierung von Leitlinien in den ärztlichen Alltag, 2. Einfluss der Ökonomisierung auf die Patientenversorgung und die Freiheit der ärztlichen Tätigkeit, 3. Einfluss der maßgeblichen arztseitigen Faktoren auf die Versorgung.

Ich zeige Ihnen jetzt vier Diagramme, die deutlich machen, wie Themen und Laufzeiten der Projekte aussehen. Ich möchte nicht auf die Einzelheiten eingehen, weil das auch schriftlich vorliegt.

Es werden bereits 2008 viele Ergebnisse kommen. Ein einzelnes Projekt ist bereits beendet. Auf dem nächsten Ärztetag werden wir also Substanzielles zu berichten haben. Es gibt eine vorgezogene Ausschreibung für ein Typ-I-Projekt im Vorgriff auf das, was in der zweiten Förderphase gefördert werden soll. Das Thema lautet: "Auswirkungen unterschiedlicher Trägerstrukturen (inklusive "Privatisierung") von Krankenhäusern auf die Qualität der Krankenversorgung der Bevölkerung". Das ist im Grunde angelehnt an die Diskussion vor zwei Jahren um die Privatisierung von Gießen und Marburg.

Wir haben ein Projekt von Herrn Professor Pfaff bekommen. Er möchte feststellen, ob die Trägerschaft selbst bzw. ein Trägerwechsel Auswirkungen auf die Qualität der Versorgung hat. Er greift dabei einerseits auf Umfragen zur Unternehmensstrategie und andererseits auf die Routinedaten des WidO (§ 301 SGB V) zurück.

Unsere dringende Bitte an alle, die entsprechende Verbindungen und möglicherweise Einfluss haben, dabei zu helfen, die derzeit laufenden bundesweiten standardisierten schriftlichen Befragungen ärztlicher Direktorinnen und Direktoren in Krankenhäusern zu unterstützen.

Das zweite Projekt, das teilgefördert ist und von Herrn Professor Busse stammt, möchte in vergleichbarer Weise 53 Ergebnisqualitätsindikatoren mithilfe des Datensatzes nach § 21 Krankenhausentgeltgesetz zusammenführen und mit Indikatoren von privatisierten Krankenhäusern vergleichen, die seit mindestens zwei Jahren privatisiert sind. Er möchte die Daten vor und nach der Privatisierung miteinander vergleichen.

Wir haben die dringende Bitte an die Klinikbetreiber und die Trägerschaft, soweit sie Einfluss haben, die Wünsche der beiden Projektnehmer auf Lieferung von Daten zu unterstützen.

Damit komme ich zum Stand der zweiten Förderphase bei den Typ-I-Projekten. Das Auswahlverfahren zeichnet sich aus durch eine hohe Transparenz, den offenen Abgleich auch kontroverser Gutachtermeinungen und einen deutlich höheren Aufwand als in sonstigen Begutachtungsverfahren üblich. Zu diesem höheren Aufwand gehört eine zweistufige Begutachtung, Antragsskizzen durch vier schriftliche Gutachten, ausführliche Anträge durch sechs Gutachter sowie jeweils zweitägige Gutachtersitzungen.

Dem Vorstand der Bundesärztekammer werden gemäß der Ausschreibung Projekte aus folgenden Themenbereichen vorgeschlagen: Optimierung der palliativmedizinischen Versorgung, Optimierung der Versorgung multimorbider Patienten, Optimierung der Versorgungssituation von Menschen mit psychischen Erkrankungen, Auswirkungen einer stärkeren Einbeziehung nichtärztlicher Gesundheitsberufe in Versorgungskonzepte, Monitoring der beruflichen Situation sowie der Arbeitszufriedenheit von Ärztinnen und Ärzten in der ambulanten und stationären Versorgung und Versorgungssteuerung durch "Qualitätswettbewerb" am Beispiel der "Qualitätsberichte".

Ich komme zu den Querschnittsprojekten, den Typ-II-Projekten. Es soll ein "Report Versorgungsforschung" erstellt werden, der die Gesamtärzteschaft beraten soll. Es geht um die Aufbereitung eines versorgungsforschungsrelevanten Themas auf der Grundlage eines Symposiums. Solche Symposien werden durch Hinzuziehung anderer Expertenbeiträge ergänzt.

Der erste Band ist von Frau Kurth herausgegeben. Er stellt Konzepte eines kontinuierlichen Versorgungsmonitorings vor, er beschreibt die Vernetzungsmöglichkeiten unterschiedlicher Daten sowie die Anforderungen an die Qualität der Daten. Beantwortet werden die Fragen: Welche regulär erhobenen Daten sind für die Versorgungsforschung nutzbar? Welche Anwendungsmöglichkeiten gibt es? Ich glaube, dieser erste Band ist ein Werk, auf das man auch noch in einiger Zeit mit gewissem Stolz wird zurückblicken können.

Der zweite Band dieser Reihe startet mit einem Workshop, der im Herbst stattfinden wird und unter dem Thema steht: "Arbeitsbedingungen und Befinden von Ärztinnen und Ärzten - Befunde und Intervention". Der zweite Band wird von Herrn Angerer und Herrn Schwartz herausgegeben werden.

Dann gibt es noch die Typ-III-Projekte, nämlich Kurzgutachten und Expertisen. Diese Projekte sind geeignet, um schnell die wissenschaftlichen Erkenntnisse zu von uns vorgegebenen konkreten Fragen zusammenzustellen. Sie unterscheiden sich von Typ-I-Projekten - wissenschaftliche Lösungsvorschläge für eine bestimmte Rahmenfragestellung - durch die noch gezieltere Fragestellung: Was wissen wir zu einer bestimmten Thematik?

Das ist eine aus meiner Sicht sehr lohnende programmatische Ergänzung. Bisher wurden zwei Expertisen erstellt: "Internationale Literatur zum Thema "Physician Factor" - das ist bereits im "Deutschen Ärzteblatt" nachlesbar - und die Machbarkeitsstudie zu den Folgen der Privatisierung des Universitätsklinikums Gießen/Marburg. Darüber habe ich vor einem Jahr berichtet.

Wir haben entsprechend einem Auftrag des 110. Deutschen Ärztetages eine Expertise über die Einflüsse der Auftraggeber und die wissenschaftlichen Ergebnisse von Arzneimittelstudien in Auftrag gegeben. Das ist ein etwas heißes Thema. Die Auftragsvergabe erfolgte an die Arzneimittelkommission der deutschen Ärzteschaft. Mit der Fertigstellung dieser Expertise rechnen wir zum kommenden Herbst.

Fazit und Ausblick: Ich glaube, man kann sagen, dass die Förderinitiative der Bundesärztekammer auf einem sehr guten Weg ist, ihre Ziele zu erreichen. Die Wahrnehmung der wissenschaftlichen Kompetenz der Ärzteschaft in der Versorgungsforschung ist gestärkt. Es ist aus unserer Sicht zu begrüßen, wenn diese Aktivitäten nicht nur fortgesetzt werden, sondern dabei auch neue Allianzen befördert werden. Für den 112. Deutschen Ärztetag sind interessante Ergebnisse aus bis dahin abgeschlossenen Projekten zu erwarten.

Die Akzeptanz dieser Art von Arbeit kann man vielleicht am besten durch einen in diesem Punkt vermutlich unverdächtigen Zeugen belegen, der gesagt hat, Versorgungsforschung, die unabhängig von Interessen im Gesundheitswesen betrieben werde, sei unerlässlich; die Initiativen zur Versorgungsforschung wie zum Beispiel die der Bundesärztekammer seien zu begrüßen. Derjenige, der das gesagt hat, ist Staatssekretär Dr. Klaus Theo Schröder.

Dem habe ich nichts hinzuzufügen.

Ich danke Ihnen.

(Beifall)

Präsident Prof. Dr. Dr. h. c. Hoppe: Vielen Dank, Herr Professor Scriba. Wir werden im Rahmen der weiteren Diskussion dieses Tagesordnungspunkts auch auf dieses Thema kommen.

Gibt es Fragen an Herrn Professor Scriba? - Bitte, Frau Gitter.

© Bundesärztekammer 2008