Eröffnungsveranstaltung

Dienstag, 19. Mai 2009, Vormittagssitzung

Dr. Klaus Theo Schröder,
Staatssekretär im Bundesministerium für GesundheitDr. Klaus Theo Schröder, Staatssekretär im Bundesministerium für Gesundheit: Herr Präsident Hoppe! Herr Präsident Hessenauer! Herr Ehrenpräsident Engelhard! Sehr verehrte Frau Staatsministerin! Meine sehr geehrten Damen und Herren Abgeordneten des Europäischen Parlaments, des Deutschen Bundestages und des rheinland-pfälzischen Landtages! Meine sehr verehrten Damen! Meine Herren! Herzlichen Dank für die Einladung, zum 112. Deutschen Ärztetag zu Ihnen sprechen zu können. Die Bundesministerin für Gesundheit, Ulla Schmidt, überbringt durch mich ihre besten Grüße. Sie hat ja in Ulm zugesagt, sie kommt wieder. Sie wäre auch wiedergekommen, wenn wir nicht die sogenannte neue Grippe hätten, wenn nicht seit gestern die Weltgesundheitsorganisation in der Weltgesundheitsversammlung in Genf tagte und, wie Herr Hessenauer gesagt hat, unter anderem die sogenannte G-7-Runde plus Mexiko heute zusammensäße, um gemeinsam mit der WHO zu überlegen – das ist eine der entscheidenden Schlüsselfragen –: Welche Impfstrategie sollen wir eigentlich einschlagen?

Diese Frage ist deshalb entscheidend, meine sehr geehrten Damen und Herren: Wenn wir eine falsche Entscheidung treffen, blockieren wir auf Monate hin die Kapazität für die Impfproduktion, die wir haben. Dann kann möglicherweise, was ja einige befürchten, in einer zweiten Welle der Virus in einer Form auftauchen, gegen die eine Impfung nicht möglich oder nicht entscheidend wäre.

Deshalb bitte ich um Verständnis, dass die Ministerin diese Entscheidung getroffen hat, nach Genf zu reisen und nicht nach Mainz zu kommen. Die Entscheidung ist ihr schwergefallen.

(Unruhe)

– Ich nehme das Bedauern gern mit.

(Heiterkeit – Beifall)

Meine sehr geehrten Damen und Herren! Herr Ministerpräsident Beck hat es schon gesagt: In vier Tagen feiern wir in Deutschland das 60-jährige Bestehen unseres Grundgesetzes. Vor 60 Jahren wurde nach dem furchtbaren Terror der Nazis und nach einem Krieg, der von Deutschland ausging, unser Land neu begründet und aufgebaut. Mit dem Grundgesetz haben wir eine demokratische Verfassung geschaffen, die in der Tat ein belastbares Fundament unseres Zusammenlebens darstellt. Mit der Verfassung wurde auch die Sozialstaatlichkeit der Bundesrepublik Deutschland verfasst, die uns 60 Jahre Wohlstand, Prosperität und alles in allem sozialen Frieden beschert hat.

Ärztliches Handeln, meine sehr geehrten Damen und Herren, ist aufs Engste mit dem Sozialstaatsgebot im Grundgesetz verbunden. Oberstes Ziel unseres Sozialstaates ist es, den Menschen die gleichen Chancen auf Teilhabe am sozialen, kulturellen und politischen Leben zu eröffnen. Eine medizinische Versorgung, die allen Menschen unabhängig vom Einkommen, vom Stand und vom Wohnort zugänglich ist, ist dabei eine unabdingbare Voraussetzung.

Unser solidarisches, selbstverwaltetes Gesundheitswesen gewährleistet, dass jeder, der eine medizinische Behandlung benötigt, sie auch bekommt – und das auf dem Niveau des medizinischen Fortschritts und in einem Umfang, um den uns viele in der Welt beneiden.

Ich stehe gerne hier, um an dieser Stelle zu sagen: Ihnen, Ihren Kolleginnen und Kollegen, die Tag für Tag und Woche für Woche und oft genug in der Nacht nicht nur in den Kliniken, nicht nur in der Praxis, auch beim Sanitätskorps der Bundeswehr, im öffentlichen Gesundheitsdienst, aber auch in den Forschungsinstituten ihre Arbeit tun, Dank zu sagen, dass Sie für kranke Menschen sorgen, dass unsere Versorgung verlässlich ist und dass medizinischer Fortschritt in Deutschland weiterhin Platz greift.

In der aktuellen, manchmal populistisch motivierten Diskussion um die Frage, was machen wir eigentlich mit den Kassenärztlichen Vereinigungen, vermisse ich, dass auf den Kern der Daseinsvorsorge eingegangen wird. Es geht um den Rechtsanspruch der Versicherten in Deutschland auf einen uneingeschränkten und diskriminierungsfreien Zugang zur gesundheitlichen Versorgung. Das ist der Dreh- und Angelpunkt. Das stellt notwendigerweise die Sicherstellung in den Mittelpunkt der weiteren Diskussion.

Das System der Kassenärztlichen Vereinigungen hat die Aufgabe, die wohnortnahe ärztliche Versorgung im ambulanten Bereich zu gewährleisten. Deshalb muss derjenige, meine sehr geehrten Damen und Herren, der das infrage stellt, eine Antwort auf die Frage geben: Wer sollte es denn anstelle der KVen anders machen? Wie könnte es anders gemacht werden?

Der Staat vielleicht? Von einem staatlich regulierten System haben wir in Deutschland bewusst abgesehen. Ein Blick auf staatlich organisierte Gesundheitssysteme sagt mir, dass dies keine Option ist. Der Staat, zumal auf der Ebene des Bundes, hat viel zu wenig Einsicht in die notwendigen differenzierten Lagebeurteilungen in den einzelnen Regionen. Man braucht zu einer guten Versorgung selbstverständlich medizinisches Fachwissen. Das gilt im Übrigen auch für die Honorarverteilung und erst recht für die Beurteilung der Qualität ärztlicher Leistung.

Die Krankenkassen? Wollen wir denen die Sicherstellung überantworten? Wer die Geschichte kennt – nicht nur die Mainzer –, der weiß, dass es dies bereits einmal gab. Es wurde ganz bewusst abgeschafft. Ich glaube, die Entscheidung war gut so.

(Beifall)

So schwierig das ist, auch für Sie, die Sie die Verantwortung tragen: Es gibt sehr wahrscheinlich keinen besseren Rahmen für die Steuerung der wohnortnahen Versorgung als durch die gemeinsame Selbstverwaltung. Wenn es da etwas zu verbessern gibt – gut, dann packen wir’s an. Aber bleiben wir dabei: Wir wollen den Rechtsanspruch auf Versorgung sicherstellen – das ist das Markenzeichen des deutschen Systems – für alle zu gleichen Bedingungen.

(Beifall)

Meine Damen und Herren, dabei kann man ja ganz legitim darüber nachdenken: Sind wir denn mit der Leistungsfähigkeit und der Gestaltungsfähigkeit der bisherigen Bedarfsplanung wirklich gut gefahren? Ich habe über 60 gute Jahre geredet. Gleichzeitig gilt, dass in bestimmten ländlichen Regionen, aber auch in sozial schwierigen Stadtbezirken eher Unterversorgung droht und wir im städtischen Ballungsraum und in gut situierten Stadtbereichen eine Überversorgung haben. Das ist unser Problem. Darum müssen wir uns, glaube ich, gemeinsam kümmern.

Die Frage ist also: Welche Gestaltungsspielräume brauchen wir und können wir nutzen? Ich zumindest halte es für vernünftig, unterversorgte Regionen auch über finanzielle Anreize so zu steuern, dass in Zukunft eine optimale Versorgung möglich ist. Das steht bereits im Gesetz und ist ab dem nächsten Jahr durch entsprechende Zuschläge im ambulanten Bereich möglich.

Natürlich, meine sehr geehrten Damen und Herren, wird das nicht ausreichen. Niemand kann in unserer freiheitlichen Ordnung gezwungen werden, sich im ländlichen Raum niederzulassen, auch wenn die meisten sehr wahrscheinlich ein bisschen mit modischer Attitüde unterschätzen, wie reizvoll das sein kann.

Die Länder haben zum Teil Überlegungen angestellt, ob sie nicht Stipendien mit der Bedingung vergeben, dann auch im ländlichen Raum zu arbeiten. Ich halte das für eine gute Lösung. Wir sollten sie offensiv weiter diskutieren. An der Stelle wären wir auch gar nicht allein; das tun andere auch.

Mit welchem Typus von angehendem Arzt und angehender Ärztin haben wir es denn zu tun? Ich glaube, bessere Teamarbeit, eine Kooperation auch mit dem nichtärztlichen Personal und – das sage ich vor diesem Hintergrund bewusst – neuere Entwicklungen, die man unter dem Stichwort „Schwester AGnES“ zusammenfasst, sind Rahmenbedingungen, die für die Zukunft bedeutsam sind und bedeutsam sein können.

Ich bin der festen Überzeugung, meine sehr geehrten Damen und Herren, dass ergänzend zum Kollektivvertrag einzelvertragliche und auch sektorübergreifende Versorgungslösungen notwendig sind. Das gilt für die integrierte Versorgung, das gilt für die hausärztliche Versorgung, das gilt auch für Medizinische Versorgungszentren, die einen Beitrag zur Verbesserung der Versorgung leisten können.

Das gilt auch dafür, dass wir in diesem System Schritt für Schritt in den nächsten Jahren einen elektronischen Backbone für den Informations- und Kommunikationsaustausch brauchen auf einer flexiblen, sicheren und natürlich den Datenschutz gewährleistenden Grundlage. Die Diskussionen, die wir im letzten Jahr auch und gerade mit der Bundesärztekammer hatten, haben gezeigt: Das ist nicht so einfach, es ist schwierig. Aber wir haben die Chance, ein solches System, das in der Zukunft umso wichtiger werden wird, zu entwickeln.

Ich will an der Stelle auch hinzufügen: Ich kenne niemanden, der irgendjemanden in dieses System zwingen will, am Anfang allemal nicht. Was sollte das auch?

Wenn wir die Versorgung weiterentwickeln, dann ist die Frage: Wie ist eigentlich das Verhältnis von einzelvertraglichen Lösungen und Kollektivvertrag gewährleistet? Wir brauchen ein ausbalanciertes System, um die Chancen und Möglichkeiten des Systems wirklich vollständig zu entwickeln.

Niemand, meine sehr geehrten Damen und Herren, hat ein Interesse daran, „dass sich hochinnovative Inseln der Spitzenversorgung in einem Umfeld von Unterversorgung entwickeln“, wie es einmal sehr schön ein KV-Vorstand dargestellt hat. Wir brauchen also eine kollektivvertragliche, belastbare Grundlage und einzelvertragliche Ergänzungen da, wo notwendig und sinnvoll, wo auch klar ist, dass wir damit mehr Effizienz erreichen können. – Ich gucke nicht ohne Grund in Richtung der Vorstände der KBV, vor dem Hintergrund der Beschlusslage, die mir übermittelt worden ist.

Ein zweites Stichwort dominiert immer wieder die Diskussionen: Bei allen gebotenen Änderungen – ich sehe wirklich eine ganze Reihe von Notwendigkeiten der Veränderungen – steht die freiberufliche Tätigkeit von Ärztinnen und Ärzten nicht zur Debatte, überhaupt nicht.

(Beifall)

Das gilt für die Bundesministerin, das gilt für jeden in unserem Hause, der Verantwortung trägt.

(Zuruf)

– „In unserem Hause“ habe ich gesagt.

Wir haben nie einen Zweifel daran gelassen, dass wir zu diesem System ohne Wenn und Aber stehen, zu den Vereinbarungen, die wir getroffen haben, zur Basis, auf der wir die letzte Gesundheitsreform gemeinsam realisiert haben.

Es ist völlig klar: Die ambulante Versorgung beruht im Kern auf den beiden Schultern der Hausärzteschaft und der Fachärzteschaft. Natürlich ist es sinnvoll, auch die Krankenhausversorgung in diese Versorgung mit einzubeziehen.

Wer verloren gegangene Freiheitsgrade in der Diskussion ab und zu bedauert, den lade ich ein, konkret zu benennen, wo denn eine wirkliche Beeinträchtigung und Beeinflussung freiheitlicher Tätigkeit geschieht.

(Zurufe)

Medizinische Versorgungszentren – das ist ein zweites Stichwort in dieser Reihe – sind, wie ich eben sagte, aus unserer Sicht eine sinnvolle Ergänzung des Angebots. Von einer „feindlichen Übernahme“ zu reden, davon sind wir, meine sehr geehrten Damen und Herren, doch wirklich meilenweit entfernt. Wir haben ungefähr 125 000 Ärztinnen und Ärzte in niedergelassener Tätigkeit und 1 200 Versorgungszentren. Sie haben ihren Platz gefunden und finden ihren Platz, nicht nur weil sie eine Antwort auf Bedürfnisse von Ärztinnen und Ärzten sind, sondern auch von Patientinnen und Patienten.

Die Ärzte orientieren sich vielfach an Teamarbeit, einige wollen die finanziellen Risiken einer Praxisgründung nicht eingehen, bei anderen wiederum steht deutlich mehr als in der Vergangenheit im Vordergrund, dass sie ihre ärztliche Tätigkeit mit ihren familiären Bedürfnissen vereinbaren möchten. Neue Ordnungsmöglichkeiten, Organisationsmöglichkeiten für ärztliche Tätigkeit zu entwickeln, das kann doch nicht als Einschränkung der Freiheit missverstanden werden.

Wir dürfen, glaube ich – Sie und alle, die Verantwortung im Gesundheitswesen tragen –, die Augen nicht vor der Realität verschließen, die schon viel weiter fortentwickelt ist, als man es manchmal wahrhaben will. Zu dieser Realität gehört die Feminisierung des Arztberufs. Sie ist auf dem Vormarsch. Wenn unsere Buchhaltung stimmt, sind mittlerweile 58 Prozent der Erstmeldungen bei den Landesärztekammern Frauen. Es würde niemand verstehen, wenn wir nicht Organisationsformen entwickelten, mit denen wir diese Talente, die vorhanden sind und dort schlummern, nutzen. Das Berufsverständnis hat sich geändert. Aber es gibt genügend Möglichkeiten, die ganzen Potenziale an ärztlichen Fähigkeiten und Fertigkeiten, die vorhanden sind, in unser System zu integrieren und es gleichzeitig weiterzuentwickeln.

Meine sehr geehrten Damen und Herren, was wäre ein Deutscher Ärztetag, bei dem nicht über Honorierung diskutiert würde? Es war ein langer Weg bis zur Honorarreform, die am 1. Januar in Kraft getreten ist. Weil das manchmal vergessen wird, muss man an das Jahr 1997 erinnern. Im 2. GKV-Neuordnungsgesetz war das Regelleistungsvolumen zum ersten Mal, wenn Sie so wollen, etabliert. Vorschläge kamen nicht zuletzt aus der Kassenärztlichen Bundesvereinigung. Das war 2003 und 2004 ähnlich. Auch bei den Diskussionen um das GKV-Wettbewerbsstärkungsgesetz gab es Vorschläge, die die Politik geprüft, aufgegriffen und in die gesetzlichen Grundlagen des SGB V aufgrund von Vorschlägen aus der Ärzteschaft selber aufgenommen hat.

Wir wissen alle miteinander: Es gibt seit Wochen eine heftige Diskussion; die Selbstverwaltung kämpft immer noch mit dem Thema. Der Kern ist: feste Preise einer Euro-Gebührenordnung, Kalkulierbarkeit des Honorars, Übertragung des Morbiditätsrisikos auf die Krankenkassen. All das, meine Damen und Herren, waren in der Vergangenheit doch zentrale Forderungen der deutschen Ärzteschaft, die mit dem Gesetz umgesetzt worden sind.

Natürlich gibt es, wenn man das heute anschaut, Verwerfungen. Hatten wir die in der Vergangenheit nicht? Wieso erklären sich in der Vergangenheit eigentlich die Unterschiede der Honorierung beispielsweise in Baden-Württemberg und in Thüringen?

Ganz besonders wichtig war bei dieser Reform – ich unterstreiche das ausdrücklich –, dass 20 Jahre nach dem Fall von Mauer und Stacheldraht die Vergütung in den neuen Ländern endlich an das Westniveau angeglichen wurde. Das war ein überfälliger Schritt. Es ist gut, dass er getan worden ist, auch wenn er damit in eine ganz bestimmte Richtung Honorarvolumen bindet.

Die Honorarreform hat das System auch transparenter gemacht. Da ist so manche Schieflage, manche Ungereimtheit, manche Ungerechtigkeit erst offensichtlich geworden. Zumindest meine Gesprächspartner können mir nicht immer erklären, warum es klare, rationale Ursachen für die Unterschiede gibt, die festzustellen waren und zum Teil immer noch festzustellen sind.

Meine sehr geehrten Damen und Herren, vertrauen wir doch in die Fähigkeit, diesen Prozess zu gestalten. Wir stehen nicht am Ende dieser Honorarreform, wir stehen doch erst am Anfang dieser Honorarreform.

(Unruhe)

Die Möglichkeiten, die der gesetzliche Rahmen bietet, den die Selbstverwaltung ausschöpfen kann, zeigen, dass wir Schritt für Schritt auch Fehler, die gemacht worden sind, korrigieren können und damit am Ende zu einer Honorarverteilung kommen, die heute natürlich nicht in Stein gemeißelt ist, die weiterentwickelt werden kann.

Natürlich wird es darüber immer wieder Diskussionen geben. Aber die Möglichkeiten, die vorhanden sind, die wirklich historischen Möglichkeiten, die vorhanden sind, gemessen an dem, was früher zu Recht kritisiert worden ist, sollten wir ausschöpfen.

Natürlich kann man ein System mit begrenzten Ressourcen – damit komme ich zu einem weiteren wichtigen Punkt auf der Agenda dieses 112. Deutschen Ärztetages – nicht ohne Mengensteuerung fahren, selbst wenn der Heilige Stuhl von Mainz mithelfen würde, an allerhöchster Stelle zu intervenieren. Solange wir uns auf dieser Erde befinden, sind die Ressourcen leider begrenzt. Das heißt, wir müssen immer wieder darüber nachdenken: Wie können wir das System immer wieder Schritt für Schritt optimieren, effektiver machen? Deshalb ist die Frage der vermeintlichen Rationierung, die heute ja nicht zum ersten Mal diskutiert wird, die Ärztetage schon manchmal angesprochen haben, aus meiner Sicht ein bisschen vor dem Hintergrund der Sachdaten zu beleuchten.

In diesem Jahr stehen allein in der GKV 11 Milliarden Euro mehr zur Verfügung, ohne jeden Abstrich. Die sind – ich betone es noch einmal – für die Versorgung garantiert.

Wir bewegen uns immer noch an vierthöchster Stelle, weil wir 11 Prozent des Bruttoinlandsprodukts für die gesundheitliche Versorgung ausgeben.

In deutschen Krankenhäusern sind die Patientinnen und Patienten im Schnitt 8,4 Tage. Bezogen auf die WHO-Statistik, kommen hierzulande auf 10 000 Einwohner 83 Klinikbetten. Im EU-Vergleich hat lediglich die Tschechische Republik eine größere Zahl mit 84.

Zur Versorgungsdichte in der ambulanten Versorgung: Im EU-Durchschnitt gibt es 326 praktizierende Ärztinnen und Ärzte pro 100 000 Einwohner, bei uns sind es 357. Von dem Grundvermögen des Systems her, von den objektiven Möglichkeiten her, meine sehr geehrten Damen und Herren, kann, glaube ich, nicht wirklich jemand behaupten, wir hätten ein Rationierungsproblem.

In der letzten Woche hat ein Vertreter einer KV darauf aufmerksam gemacht, dass die Deutschen überproportional häufig zum Arzt gehen. Die Antwort, die darauf gekommen ist, können wir nicht mittragen; das sage ich deutlich. Die Erhöhung der Praxisgebühr ist nicht auf der Tagesordnung, meine sehr geehrten Damen und Herren.

Es geht deshalb weiter – wie in der Vergangenheit auch – aus unserer Sicht darum: Wie können wir das System effizienter machen? Welche Potenziale können wir ausschöpfen? Ich glaube, wenn wir das gemeinsam diskutieren, haben wir auch eine Chance, das, was im Augenblick an Kritik vorhanden ist, zu überwinden. Natürlich müssen wir uns dann offen dazu bekennen: Auch die ärztliche Tätigkeit hat eine ökonomische Dimension. Wir können uns aus dem System nicht völlig entfernen.

Meine sehr geehrten Damen und Herren, wer Entscheidungsfreiheit für sich in Anspruch nimmt, zu Recht in Anspruch nimmt, hat natürlich auch daraus erwachsende Verpflichtungen wahrzunehmen. Wo bewegen wir uns denn? Seien wir doch mal ehrlich: Ist diese Debatte nicht manchmal auch kleinmütig? Ich will nur ein paar Stichworte nennen. Es ist, glaube ich, ziemlich genau 42 Jahre her, da hat Christiaan Barnard im Groote-Schuur-Krankenhaus in Kapstadt das erste Herz verpflanzt. Was hätten wir damals wohl gesagt? Heute ist das eine Regelleistung in der GKV, Standard, Normalität.

Mir hat einmal ein alter Chefarzt gesagt: Mitte der 60er-Jahre gab es im ganzen Ruhrgebiet eine einzige Dialysestation, heute ist das Standardversorgung.

Wir brauchen nicht 40 Jahre zurückzugehen. Wer die Situation 1988/89 in der damaligen DDR kannte, weiß, dass da ein riesiges Problem war. Das haben wir zu Recht beseitigt und wir finanzieren das. Das gilt für die Onkologie, das gilt für anderes mehr.

Ich will auch daran erinnern: Das Wettbewerbsstärkungsgesetz hat an vielen Stellen sehr bewusst – die Diskussion war nicht einfach, am Ende musste ja der Beitragssatz beschlossen werden – dort, wo neue Leistungen notwendig waren, diese auch beschlossen.

Die spezialisierte ambulante Palliativversorgung war ein großes Defizit in diesem Land. Ich glaube, wir standen gemeinsam dafür, dass wir sagen: Die Sterbebegleitung ist die einzige ethisch vertretbare Alternative zur Verkürzung des Lebens.

Die Rehabilitation zur Pflichtleistung zu machen vor dem Hintergrund der älter werdenden Gesellschaft, das war eine notwendige Entscheidung, weil wir möglichst lange schaffenskräftige, gesunde Menschen in unserem Lande brauchen.

Die Impfung als wichtige Prävention zur Pflichtleistung zu machen, das war eine weitere solche Entscheidung.

Meine Damen und Herren, wir wollen, dass auch in Zukunft – um es deutlich zu sagen – alle am medizinischen Fortschritt teilnehmen, auch wenn sie keine ergänzende Privatversicherung abgeschlossen haben. Dieses System hat das in der Vergangenheit geleistet und wird es auch in der Zukunft leisten. Niemand sollte ein Interesse daran haben, auf eine Zusatzversicherung zu verweisen, die man gefälligst abschließen soll, damit bestimmte Leistungen erbracht werden. Dann stünden wir wirklich in Gefahr, in diesem Land über eine Zweiklassenmedizin reden zu müssen.

(Lachen)

Meine sehr geehrten Damen und Herren, wir reden zu Recht und notwendigerweise über die Weiterentwicklung: Wie sieht es mit Kosten und Nutzen aus, wie sieht es mit den Leitlinien aus, wie sieht es mit der Evidence Based Medicine aus? Lassen Sie mich ein kurzes Zitat eines Ihrer Kollegen vortragen. Es geht um einen Onkologen und Hämatologen, der lange in den USA geforscht und praktiziert hat. Er hat gesagt: Ich bin deshalb aus Amerika nach Deutschland zurückgekommen, weil ich hier alle meine Patienten nach den neuesten Erkenntnissen der medizinischen Wissenschaft behandeln kann. Das geht in den USA nicht.

Da ist vielleicht an der einen oder anderen Stelle die Spitzenversorgung besser. Das mag ja sein, für 1, 1,5, 0,5 Prozent, an einigen Stellen, wenn überhaupt. – Ich kann Ihr Kopfschütteln gut nachvollziehen, Herr Henke. Aber in der Breite gibt es das Angebot nicht.

Meine sehr geehrten Damen und Herren, wir sollten auch das Thema Patientenrechte und Patientensicherheit nicht in der falschen Ecke diskutieren. Ich bekenne offen: Für uns war die Orientierung auf die Patientin und den Patienten bei der Weiterentwicklung der Gesundheitspolitik der letzten Jahre von zentraler Bedeutung. Patientenrechte zu stärken, die Patienten in ihrem Selbstverständnis zu stabilisieren, hilft nach meiner festen Überzeugung niemandem mehr als Ihnen, weil aufgeklärte Patientinnen und Patienten die besseren Patientinnen und Patienten sind.

Ich bin dankbar, dass wir gemeinsam mit vielen aus Ihren Reihen, aus den Reihen der deutschen Ärzteschaft – beispielsweise im „Aktionsbündnis Patientensicherheit“ – in den letzten Jahren kontinuierliche Verbesserungen erreicht haben. Ich nenne folgende Stichworte: anonyme Fehlermeldesysteme, die bundesweite Statistik der Gutachter- und Schlichtungsstellen, das Fortbildungsangebot zum Fehler- und Risikomanagement, die Versorgungsforschung auf dem Gebiet der Patientensicherheit und die kritische Auseinandersetzung mit der gegenwärtigen Obduktionspraxis.

Lassen Sie uns dort weiterarbeiten. Die Menschen werden es uns danken.

Meine sehr geehrten Damen und Herren, es gibt natürlich bei der Vielzahl der Patientinnen und Patienten Gruppen, die nicht allein in dem Sinne ihre Rechte vertreten können. Dazu gehören auch Menschen mit Behinderung. Ich bin Ihnen ausdrücklich im Namen der Bundesgesundheitsministerin sehr dankbar, dass Sie dieses Thema prominent auf die Tagesordnung gesetzt haben. In Ihrem Dokument zum Deutschen Ärztetag schreiben Sie: „Jeder Mensch in Deutschland – ob mit oder ohne Behinderung – hat Anspruch auf eine bedarfsgerechte gesundheitliche Versorgung.“ Ja, wir sollten uns gemeinsam auf diesen Satz verständigen, weil er das Credo des Versorgungssystems in unserem Land ist. Behinderte Menschen brauchen Angebote, die ihre besondere Situation berücksichtigen und ihnen so viel Teilhabe und Selbstständigkeit wie nur eben möglich eröffnen. Das war unter anderem der Hintergrund, dass im sogenannten WSG die häusliche Krankenpflege, die neuen Wohnformen, die neuen Wohngemeinschaften ausgeweitet wurden, um auch dafür die entsprechende Versorgung sicherzustellen.

Der Leistungsanspruch auf ambulante und mobile Rehabilitation findet eine seiner Begründungen genau in diesem Feld.

Wir wissen, dass es natürlich noch einer ganzen Reihe von weiteren Instrumenten bedarf, aber es gilt, dass in der hausärztlichen wie in der fachärztlichen Versorgung entsprechende Instrumente ebenso zur Verfügung stehen wie im Fallpauschalensystem, das wir in unseren Krankenhäusern anwenden. Hier werden Mehrkosten entsprechend berücksichtigt oder es werden über die Zusatzentgelte für die Versorgung von Schwerstbehinderten krankenhausindividuell Mehrkosten berücksichtigt.

Meine sehr geehrten Damen und Herren, ich würde mich freuen, wenn Ihre praktischen alltäglichen Erfahrungen in die Weiterentwicklung des Systems eingehen würden. Akut diskutieren der Deutsche Bundestag und der Gesundheitsausschuss darüber, ob es nicht Möglichkeiten gibt, behinderten Menschen beim Krankenhausaufenthalt die gewohnte Assistenz weiterhin zur Verfügung zu stellen, was auch bedeuten würde, dass man diejenigen, die die Pflege und die ärztliche Behandlung im Krankenhaus durchführen, entlasten könnte.

Noch eine letzte Bemerkung, meine sehr geehrten Damen und Herren, zu diesem Themenkreis. Ich bin froh, dass der Bundestag in der Debatte um die sogenannte Spätabtreibung eine Lösung gefunden hat, bei der Behindertenverbände und Ärzteschaft zustimmen können. Das ist zumindest mein Eindruck. Der angenommene Gesetzentwurf sieht eine bessere psychosoziale Beratung bei vorgeburtlichen Untersuchungen vor sowie eine dreitägige Bedenkzeit, bevor die Entscheidung über einen Schwangerschaftsabbruch fällt. Das ist ein guter Ansatz, um den betroffenen Frauen in einer unheimlich schwierigen und belastenden Situation die größtmögliche Unterstützung zu geben. Ganz erfolgreich wären wir, wenn wir alle gemeinsam ein behindertenfreundliches Land aufbauen würden, sodass die Entscheidung vielleicht gar nicht zu fällen ist.

(Beifall)

Meine sehr geehrten Damen und Herren, ich komme zum Schluss und damit zurück zum Tagungsort. Von Mainz ging im 14. Jahrhundert eine Revolution aus, deren Bedeutung und Reichweite erst viel später offenbar wurde. Die Erfindung des Drucks mit beweglichen Lettern durch Johannes Gutenberg war die Voraussetzung für umwälzende politische, soziale und kulturelle Veränderungen durch Bildung und Wissen der nachfolgenden Jahrhunderte.

Inzwischen wissen wir alle: Im Gesundheitswesen gibt es keine Revolutionen, noch nicht einmal eine Jahrhundertreform. Aber es gibt die Notwendigkeit, das System kontinuierlich weiterzuentwickeln. Ich bin ganz sicher, dass durch die Reformfreudigkeit der Mainzer der Deutsche Ärztetag in diesem Jahr inspiriert



wird, dazu weitere gute Gedanken beizutragen. Ich bin gespannt auf die Ergebnisse. Ich wünsche Ihnen gute Beratungen und bedanke mich herzlich für Ihre Aufmerksamkeit.

(Beifall)

© Bundesärztekammer 2009