TOP I: Gesundheits-, Sozial- und ärztliche Berufspolitik

Dienstag, 19. Mai 2009, Nachmittagssitzung

Zimmer, Nordrhein: Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Herr Präsident, es schmerzt mich, wenn Sie feststellen mussten, dass behinderte Kinder nach ihrem 18. Geburtstag in die Wüste geschickt werden. Ich habe in über 20 Jahren nur einmal erlebt, dass ein solcher junger Mensch unvorbereitet vom vorbehandelnden Pädiater nach draußen geschickt wurde. In der Regel ist das Überleitungsmanagement ganz hervorragend, zumindest in meiner Wahrnehmung. 20 Jahre Tätigkeit in Kreisstelle und KV haben dort nicht einen einzigen Problemfall erkennen lassen.

(Beifall)

Ich bin überrascht, dass ich im Leitantrag I-01 unter der Überschrift „Prüfsteine für eine neue, vorausschauende Gesundheitspolitik“ unter Punkt 11 lese, dass die flächendeckende Sicherstellung der ambulanten Versorgung durch die Kassenärztlichen Vereinigungen vorausgesetzt wird. In meiner Kreisstelle werden 28 Hausarztsitze als offen ausgewiesen. Im letzten Jahr ist ein Kollege mit gerade einmal 50 Jahren aus vollem Saft und Kraft verstorben, ein weiterer ist inzwischen schwerstkrank. Beide haben ihre Praxis nicht verkaufen können. Wir sind jetzt bei 30 offenen Sitzen. Das zeigt, dass das mit der flächendeckenden Sicherung so, wie es in dem Papier dargestellt wird, zumindest in meiner Kreisstelle nicht klappen kann.

(Beifall)

Es ist für mich auch kein stabiler Kollektivvertrag, wenn in dieser Region Nordrhein 35 Euro im Quartal, also schlappe 12 Euro pro Monat, für eine hausärztliche Versorgung übrig bleiben, die alle Kerngeschäfte – Hausbesuche, EKGs, Lungenfunktionsprüfungen usw. –, das sogenannte Regelleistungsvolumen, umfasst. Das kann nicht dazu führen, dass sich Kollegen motiviert fühlen, in dieser Region anzutreten. Sie werden im Rahmen der individuellen Priorisierung andere Gebiete der Republik aufsuchen, wo sie für dieselbe verantwortungsvolle Tätigkeit ungefähr das Doppelte an Honorar bekommen.

Ich möchte auf den letzten Satz in Punkt 11 hinweisen. Dort steht, dass eine Abschottung der hausärztlichen von der fachärztlichen Versorgung verhindert werden muss. Meine Wahrnehmung ist, dass im derzeitigen KV-System 50 Prozent der Patientenkontakte ohne diese Kommunikation stattfinden, bei voller Abschottung zwischen hausärztlicher und fachärztlicher Versorgung. Das Schreiben der Arztbriefe ist im Facharztlager bei weit unter 50 Prozent angekommen, sodass derzeit die Abschottung geradezu manifestiert ist.

Zum Schluss möchte ich das Plenum bitten: Wenn wir morgen über Priorisierung reden, sollten wir uns, wenn wir Ressourcen in Form von Weiterbildungskapazitäten und Geld einsetzen, bemühen, eine stabile, wohnortnahe, demografiegerechte hausärztliche Versorgung als erste Priorität ärztlichen Weiterbildungshandelns und ärztlicher Tätigkeit zu favorisieren.

Danke schön.

(Beifall)

Präsident Prof. Dr. Dr. h. c. Hoppe: Vielen Dank, Herr Zimmer. – Der nächste Redner ist Herr Kollege Dietsche. Er kommt aus Baden-Württemberg.

© Bundesärztekammer 2009