TOP I: Gesundheits-, Sozial- und ärztliche Berufspolitik

Dienstag, 19. Mai 2009, Nachmittagssitzung

Dr. Albring, Niedersachsen: Lieber Herr Hoppe! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Ich habe mich heute Morgen nach Ihrem Referat, Herr Präsident, sehr gerne erhoben, aber in einem Punkt muss ich Ihnen heftigst widersprechen. Das betrifft das Schwangerschaftskonfliktgesetz. Wie läuft das denn in der Realität? Die Patientin kommt zu mir in der 18. oder 20. Woche, ich mache einen Ultraschall, stelle bei dem Baby ein Problem fest, schicke die Patientin zum Pränatalmediziner. Es dauert zwei, drei Tage, bis ich dort einen Termin bekomme. Der Pränatalmediziner wird die Diagnose bestätigen, aber er hat noch immer keine endgültige Diagnose getroffen. Er macht eine Amniozentese, also eine Fruchtwasserpunktion, er macht möglicherweise, wenn ein Infekt vorliegt, auch noch eine Blutanalyse. Das dauert und dauert.

Letztendlich wird die Diagnose gestellt: Das Baby ist schwerkrank; die Diagnose beispielsweise thanatophorer Zwergwuchs oder Zystennieren ist nicht mit dem Leben vereinbar.

Was passiert dann? Jetzt muss die Frau, nachdem diese Diagnose und die Indikation gestellt ist, noch drei Tage warten. Sie muss sozusagen noch in ihrem eigenen Saft schmoren, um dann endlich den Schwangerschaftsabbruch zu bekommen.

Nach Ansicht der Frauenärzte, die damit zu tun haben, der Pränatalmediziner, von „pro familia“ und vielen anderen Beratungsstellen – außer den kirchlichen Beratungsstellen – ist das unmenschlich und frauenfeindlich. Deshalb können wir nicht begrüßen, dass das so gelaufen ist.

Was passiert denn heute?

Eine Frau mit 35 Jahren weiß schon vom Hörensagen, wenn sie ungewollt schwanger ist: Es könnte möglicherweise ein Chromosomenproblem vorliegen. Was passiert dann im Gegensatz zu früher? Sie wird Angst haben, dass sie, wenn sie ein Kind mit einem Fehler hat, den Schwangerschaftsabbruch nicht mehr vornehmen kann, weil die Gesetze so rigide geworden sind. Sie wird dann zum Notanker greifen und eventuell die Möglichkeit des Schwangerschaftsabbruchs bis zur 14. Woche bzw. 12 Wochen post conceptionem wahrnehmen. Das ist nicht in Ordnung.

Ich habe selbst solche Fälle in der Praxis, wo die Patienten genau das fürchten und deshalb vorher den Schwangerschaftsabbruch durchführen lassen. Wir haben also überhaupt keine Möglichkeit mehr, die Patientin zu überzeugen: Geben Sie dem Kind doch noch eine Chance, es könnte ja gesund sein. Die Frau wird einfach, weil sie Angst hat, den Abbruch vornehmen lassen, wenn sie schon vier Kinder hat. Wenn sie 40, 41 Jahre alt ist, ist die Gefahr ja auch relativ groß.

Der Abbruch wird also vor Ablauf der Zeit durchgeführt werden. Alle anderen Frauen werden ins Ausland gehen, weil es hier in Deutschland so schwierig geworden ist. Ich meine, damit hat die Ärztekammer den Frauen in Deutschland einen Bärendienst erwiesen. Darauf dürfen wir nicht stolz sein.

Ich danke Ihnen.

(Vereinzelt Beifall)

Präsident Prof. Dr. Dr. h. c. Hoppe: Danke schön, Herr Albring. – Jetzt bitte Herr Professor Schwantes aus Brandenburg.

© Bundesärztekammer 2009