Dr.
Gitter, Bremen: Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen!
Als Krankenhausärztin – übrigens in Ausübung eines freien Berufs – bin ich doch
ein bisschen entsetzt über den Verlauf der Diskussion hier. Herr Professor
Hoppe hat das Thema Priorisierung versus Rationierung angestoßen, und zwar ganz
bewusst, weil er wollte, dass in der öffentlichen Diskussion für Furore gesorgt
wird und endlich auf unsere Not aufmerksam gemacht wird. Als Krankenhausärztin
erlebe ich genauso wie wahrscheinlich Sie alle hier im Saal und alle
Kolleginnen und Kollegen im Lande in Praxis und in Klinik tagtäglich und
zunehmend die Rationierung, die ungehemmt, ungeregelt, schleichend und heimlich
und jetzt immer offener zutage tritt.
Und was machen wir hier? Wir
diskutieren darüber, wie man den Versorgungsvertrag hier ändern kann, Gruppen
hier und Gruppen da. Das ist doch Quatsch!
(Beifall)
Die Not ist überall und wird nicht
dadurch gelindert, dass man guckt, wo man dem anderen in die Tasche langen
kann. Wenn irgendwo ein Versorgungsvertrag gut funktioniert, dann doch nicht
deswegen, weil ein neuer Vertrag geschlossen wurde, sondern deshalb, weil im
Moment einmal ausreichend Gelder dorthin fließen, die woanders fehlen.
Das kann nicht die Lösung sein. Ich
möchte an dieser Stelle dringend appellieren: Kommen Sie zum Thema zurück,
reden Sie offen darüber, dass in dieser Gesellschaft rationiert wird. Es ist so
wichtig, dass deutlich wird, dass den Bürgern Gesundheitsleistungen
vorenthalten werden, die ihnen eigentlich zustehen. Es ist nämlich nicht so,
dass noch immer das medizinisch Notwendige geleistet werden kann. Durchs Rost
fallen die sozial Bedürftigen, das sogenannte Prekariat.
Herr Professor Hoppe, mich hat in
dieser unsäglichen Talkshow, die ich mir genehmigt habe, sehr entsetzt, dass
die Journalistin sehr süffisant lächelnd die kleinen Filmchen begleitet hat, wo
genau dieses Problem so offen zutage trat. Sie lächelte über den Mann, der sich
die Currywurst reinschob und sagte: Ich zahle dauernd in die gesetzliche
Krankenversicherung ein, da darf ja auch mal was bei rauskommen. Ich sitze
derweil vor dem Bildschirm und weiß genau: Die Zeit, die für die Versorgung
dieses Problems in der hausärztlichen Praxis in der Bundeshauptstadt vorhanden
sein müsste, ist gar nicht da, um das Problem nachhaltig zu lösen.
Herr Professor Dietrich, ich möchte
Ihnen den Zusammenhang zwischen der Autoindustrie und den fehlenden Geldern für
die Versorgung bei uns ganz gern erklären. Wir fordern seit Jahren, dass Gelder
in die Hand genommen werden müssen, um endlich die Finanzierung im
Gesundheitssystem nachhaltig umzustellen, dass sie für die kommenden
Generationen ausreicht. Nichts ist passiert. Aber mit einem Handstreich werden
Milliarden in die Schrottpresse der Autoindustrie gepumpt, obwohl eigentlich
klar ist, dass das schon seit Jahren keine Wachstumsindustrie mehr sein kann.
Die Wachstumsprognosen für die Autoindustrie sind marginal; die
Wachstumsprognosen für das Gesundheitswesen sind exorbitant.
Vielen Dank.
(Beifall)
Präsident Prof. Dr. Dr. h.
c. Hoppe: Sehr gut! Vielen Dank, Frau Gitter. – Der nächste Redner ist Herr
Kollege Rettkowski aus Niedersachsen. Bitte schön.
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