TOP II: Patientenrechte in Zeiten der Rationierung

Mittwoch, 20. Mai 2009, Vormittagssitzung

Dr. Dehnst, Westfalen-Lippe: Sehr geehrtes Präsidium! Hochverehrte Kolleginnen und Kollegen! Der Umgang mit begrenzten Ressourcen gehört eigentlich zu den Herausforderungen des Alltags, natürlich auch bei uns in der Medizin, in der medizinischen Versorgung, in der Gesundheitsversorgung. Deshalb ist es nicht mehr als legitim, darüber zu sprechen, wie man mit dieser Begrenztheit der Ressourcen umgeht und welche Strategien man einschlägt.

Leider ist die mediale Umsetzung der Darstellung, auch der Darstellungen unseres Präsidenten gestern nur sehr unzureichend erfolgt. Die primäre Stoßrichtung, dass auch eine politische und gesellschaftliche Diskussion darüber in Gang kommen muss, was uns die Gesundheitsversorgung wert ist, ob die Gesundheit wirklich unser höchstes Gut ist, ist gar nicht umgesetzt worden. Die Medien haben sich mehr darauf kapriziert, dass wir, die Ärzteschaft, Ranglisten aufstellen wollen. Hieran müssen wir noch sehr intensiv arbeiten.

Die Beispiele aus dem Ausland zeigen uns, dass auch unter dem Begriff Priorisierung die Diskussion schon sehr lange geführt wird, in Norwegen bereits seit 1987. Schon 1997 erfolgte die erste Überprüfung der festgelegten Überlegungen.

In Schweden gibt es die Diskussion seit 1992. 1997 wurden Grundprinzipien und Richtlinien beschlossen. Seit 2001 gibt es ein Priorisierungscenter, etwa so, wie es auch bei uns installiert werden könnte.

In Finnland wurde 1994 eine Studie von STAKES, einem staatlichen Forschungsinstitut, unter dem Titel „Von Werten zur Wahl“ veröffentlicht. Dort wird eine gleiche Versorgung bei gleichem Behandlungsbedarf gefordert. Nicht akzeptabel als Kriterien sind Alter an sich, Lebensstil und ökonomische Leistungsfähigkeit.

Das zeigt schon ein bisschen auf, wie schwierig die Diskussion ist. Wir werden uns die Sache sicher nicht leicht machen, wenn wir uns auf Priorisierung einlassen, denn dies ist überhaupt nicht unproblematisch. Zumeist führt die Auseinandersetzung zu einer Art von Verwaltung, die in Wartelisten mündet. In den nordeuropäischen Ländern ist es üblich, dass es dort zwei Wartelisten gibt: eine Warteliste vor der fachärztlichen Untersuchung und eine vor der konservativen und operativen Therapie. Dies führt zu zunehmenden Verwaltungskosten. Dort ist in jedem kleinen Krankenhaus ein Angestellter nur damit beschäftigt, diese Wartelisten zu verwalten.

Ferner tut sich das Problem auf, dass es verschieden lange Wartezeiten in den einzelnen Regionen gibt. Was passiert bei der grenzüberschreitenden Versorgung, die zunimmt? Hier erwachsen ganz neue Ansprüche.

Ein weiteres Beispiel für die Schwierigkeiten, die auf uns Ärzte zukommen werden, sind sogenannte Punktescores. Beispielsweise gibt es einen Punktescore für gynäkologische Krebserkrankungen. Beurteilt werden die zu erwartende Lebensqualität, die wahrscheinliche Lebenserwartung und mögliche Komplikationen durch eine Therapie. Es wird gefordert, Einschätzungen vorzunehmen, wie hoch die Lebenserwartung ist. Es wird die Einschätzung gefordert, wie sich die Lebensqualität möglicherweise verbessern wird.

Ich sehe da ganz große Probleme. Dennoch dürfen wir dieser Diskussion nicht aus dem Wege gehen. Rationierung und Priorisierung gibt es auch bei uns schon lange; das wissen wir. Unlängst hat das Wettbewerbsstärkungsgesetz eigentlich schon eine Priorisierung vorgenommen, indem es uns Ärzte zwingt, selbst verschuldete Krankheiten der Patienten – wir denken da an Piercing, an Tattoos – an die Krankenkassen zu melden. Es fehlt die Zielpunktdefinition. Das IQWiG ist nichts anderes als ein in meinen Augen unzureichendes und ungeeignetes Instrument, Priorisierungen durchzuführen. Das Beispiel der Untersuchung der Insulinanaloga zeigt uns, dass hier letztendlich die Zielpunktdefinition fehlt. Untersucht wurden die Überlebenszeiten, die zugegebenermaßen nicht verlängert werden konnten. Was aber nicht untersucht werden konnte, war die Lebensqualität.

Insofern müssen wir uns fragen, ob die jetzt bestehenden Regelungen überhaupt zu einer gerechten Gesundheitsversorgung führen können. Ist die Gesundheit unser höchstes Gut? Diese Frage muss die Gesellschaft beantworten. Herr Professor Hoppe hat es gestern gefragt.

Vielen Dank für Ihre Aufmerksamkeit.

(Beifall)

Vizepräsident Dr. Montgomery: Vielen Dank, Herr Kollege Dehnst. Als Nächster hat das Wort der Kollege – –

(Zuruf: Redezeit!)

– Ein Antrag zur Geschäftsordnung. Ich hatte den Namen des Kollegen noch nicht ausgesprochen. Deswegen geht der Antrag vor. Herr Dr. Emminger aus Bayern beantragt eine Redezeitbeschränkung auf drei Minuten.

(Beifall)

Wünscht jemand dagegenzusprechen? – Formal. Dann bitte ich Sie, darüber abzustimmen. Bitte benutzen Sie die gelben Abstimmungskarten. Wer für die Beschränkung der Redezeit auf drei Minuten ist, den bitte ich, die Hand zu heben. – Die Gegenprobe! – Enthaltungen? – Dann ist mit wenigen Gegenstimmen und wenigen Enthaltungen fast einstimmig die Begrenzung der Redezeit auf drei Minuten beschlossen.

Das trifft zuerst den Kollegen Dr. Peter Eichelmann aus der Ärztekammer Sachsen-Anhalt.

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