TOP II: Patientenrechte in Zeiten der Rationierung

Mittwoch, 20. Mai 2009, Vormittagssitzung

Prof. Dr. Dr. habil. Dietrich, Bayern: Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Als ich den Titel dieses Tagesordnungspunkts las, dachte ich, wir würden etwas darüber hören, wie wir unseren Patienten in Zeiten des technischen Fortschritts, der weiteren Technisierung der Medizin beibringen können, wie sie zu mehr autonomen Entscheidungen kommen können, wie sie sich in dem Dschungel der neuen Medizin zurechtfinden.

Was mich bei beiden Vorträgen sehr entsetzt hat, ist die Tatsache, dass ich kaum etwas über Patienten gehört habe. Ich habe nichts über Patientenschutz, Patientenrechte gehört. Ich habe nur etwas über Arztschutz gehört. Ich habe eine reine Defensive gehört: Wie können wir uns dagegen wehren, dass irgendwelche Ansprüche gestellt werden? Wie können wir uns wehren, in Zeiten der Rationierung irgendwo haftungsrechtlich belangt zu werden?

Ein ganz interessanter Aspekt dabei ist folgender. Gestern haben wir über Priorisierung gesprochen. Herr Hoppe hat versucht, uns den feinen Unterschied zwischen Rationierung und Priorisierung beizubringen. Der heutige Tagesordnungspunkt bezieht sich auf Zeiten der Rationierung. Wir gehen also davon aus: Wir rationieren. Gestern haben wir noch gesagt: Wir priorisieren, dann muss man sehen, wie es weitergeht. Heute tun wir so, als müssten wir unseren Patienten wirklich Mittel vorenthalten.

Da frage ich mich: Wo ist das eigentlich der Fall? Ich möchte wirklich einmal die Beispiele hören. Natürlich müssen wir rationieren. Wenn wir einen Patienten haben, dem eine Niere transplantiert werden muss, muss er warten. Das wissen wir seit 10 oder 20 Jahren. Bei einer Herztransplantation ist es das Gleiche.

Heißt das aber, dass wir etwas vorenthalten? Nein, das heißt es eben nicht. Ich arbeite seit über 30 Jahren in einem sehr hoch technisierten Bereich der Medizin, in der Herzchirurgie. Was ich bisher gesehen habe, ist nicht, dass etwas vorenthalten worden ist. Im Gegenteil, zum Teil wurde unseren Patienten der größte Unsinn angetan. Was ich an Mittelverschwendung gesehen habe, was ich an inhumaner Medizin gesehen habe, was wir alten Patienten im Herz-OP und auf der Intensivstation antun, das stinkt zum Himmel! Wir sollten darüber reden, wie wir diesen Patienten die Mittel zukommen lassen, die sie wirklich brauchen, um ihre persönliche Autonomie zu wahren, dass sie auch am Lebensende in Würde Entscheidungen treffen können, ihr Leben in Würde zu Ende bringen können.

(Vereinzelt Beifall)

Hier wurde das Beispiel von Gabriel García Márquez gebracht: der Patient in Zeiten der Cholera, der Arzt in Zeiten der Cholera, der Arzt in Zeiten der Rationierung. Ich habe das Gefühl: Wir segeln isoliert auf einem Schiff irgendwohin, kein Mensch wird uns mehr wahrnehmen, kein Patient wird uns mehr ernst nehmen. Wir schaffen nur Opposition, wir schaffen es inzwischen nur noch, dass uns weder die Politik noch die Patientenvertreter noch die Justiz mit unserer Argumentation ernst nehmen. Das, was wir diskutieren, entspricht lange nicht dem, was in der klinischen und in der medizinischen Praxis tagtäglich stattfindet.

Überlegen Sie es sich wirklich gut. Mich interessieren die Beispiele für eine echte Rationierung, wie wir sie bei uns heute haben.

Danke sehr.

(Beifall)

Vizepräsident Dr. Montgomery: Vielen Dank, Herr Kollege Dietrich, aber was unsere Wahrnehmung durch die Außenwelt angeht, bin ich wesentlich optimistischer, als Sie das hier darstellen,

(Beifall)

gerade wenn Sie die Presse heute betrachten, denn sie nimmt doch das Argument von der nötigen Priorisierungsdebatte auf. Ich glaube, da können wir guter Hoffnung sein, lieber Herr Dietrich. Völlig klar ist, dass in die Debatte über die Priorisierung immer auch die Frage nach der Vermeidung von Verschwendung gehört. Ich glaube, das ist ein impliziter Anteil der ganzen Priorisierungsdebatte.

Als Nächster steht auf der Rednerliste der Kollege Professor Dr. Nix aus der Landesärztekammer Rheinland-Pfalz.

© Bundesärztekammer 2009