Prof. Dr. Dr. habil.
Dietrich, Bayern: Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Als ich den Titel
dieses Tagesordnungspunkts las, dachte ich, wir würden etwas darüber hören, wie
wir unseren Patienten in Zeiten des technischen Fortschritts, der weiteren
Technisierung der Medizin beibringen können, wie sie zu mehr autonomen
Entscheidungen kommen können, wie sie sich in dem Dschungel der neuen Medizin
zurechtfinden.
Was mich bei beiden Vorträgen sehr
entsetzt hat, ist die Tatsache, dass ich kaum etwas über Patienten gehört habe.
Ich habe nichts über Patientenschutz, Patientenrechte gehört. Ich habe nur
etwas über Arztschutz gehört. Ich habe eine reine Defensive gehört: Wie können
wir uns dagegen wehren, dass irgendwelche Ansprüche gestellt werden? Wie können
wir uns wehren, in Zeiten der Rationierung irgendwo haftungsrechtlich belangt
zu werden?
Ein ganz interessanter Aspekt dabei
ist folgender. Gestern haben wir über Priorisierung gesprochen. Herr Hoppe hat
versucht, uns den feinen Unterschied zwischen Rationierung und Priorisierung
beizubringen. Der heutige Tagesordnungspunkt bezieht sich auf Zeiten der
Rationierung. Wir gehen also davon aus: Wir rationieren. Gestern haben wir noch
gesagt: Wir priorisieren, dann muss man sehen, wie es weitergeht. Heute tun wir
so, als müssten wir unseren Patienten wirklich Mittel vorenthalten.
Da frage ich mich: Wo ist das
eigentlich der Fall? Ich möchte wirklich einmal die Beispiele hören. Natürlich
müssen wir rationieren. Wenn wir einen Patienten haben, dem eine Niere
transplantiert werden muss, muss er warten. Das wissen wir seit 10 oder 20
Jahren. Bei einer Herztransplantation ist es das Gleiche.
Heißt das aber, dass wir etwas
vorenthalten? Nein, das heißt es eben nicht. Ich arbeite seit über 30 Jahren in
einem sehr hoch technisierten Bereich der Medizin, in der Herzchirurgie. Was
ich bisher gesehen habe, ist nicht, dass etwas vorenthalten worden ist. Im
Gegenteil, zum Teil wurde unseren Patienten der größte Unsinn angetan. Was ich
an Mittelverschwendung gesehen habe, was ich an inhumaner Medizin gesehen habe,
was wir alten Patienten im Herz-OP und auf der Intensivstation antun, das
stinkt zum Himmel! Wir sollten darüber reden, wie wir diesen Patienten die Mittel
zukommen lassen, die sie wirklich brauchen, um ihre persönliche Autonomie zu
wahren, dass sie auch am Lebensende in Würde Entscheidungen treffen können, ihr
Leben in Würde zu Ende bringen können.
(Vereinzelt Beifall)
Hier wurde das Beispiel von Gabriel
García Márquez gebracht: der Patient in Zeiten der Cholera, der Arzt in Zeiten
der Cholera, der Arzt in Zeiten der Rationierung. Ich habe das Gefühl: Wir
segeln isoliert auf einem Schiff irgendwohin, kein Mensch wird uns mehr
wahrnehmen, kein Patient wird uns mehr ernst nehmen. Wir schaffen nur
Opposition, wir schaffen es inzwischen nur noch, dass uns weder die Politik
noch die Patientenvertreter noch die Justiz mit unserer Argumentation ernst
nehmen. Das, was wir diskutieren, entspricht lange nicht dem, was in der
klinischen und in der medizinischen Praxis tagtäglich stattfindet.
Überlegen Sie es sich wirklich gut.
Mich interessieren die Beispiele für eine echte Rationierung, wie wir sie bei
uns heute haben.
Danke sehr.
(Beifall)
Vizepräsident Dr. Montgomery:
Vielen Dank, Herr Kollege Dietrich, aber was unsere Wahrnehmung durch die
Außenwelt angeht, bin ich wesentlich optimistischer, als Sie das hier
darstellen,
(Beifall)
gerade wenn Sie die Presse heute
betrachten, denn sie nimmt doch das Argument von der nötigen Priorisierungsdebatte
auf. Ich glaube, da können wir guter Hoffnung sein, lieber Herr Dietrich.
Völlig klar ist, dass in die Debatte über die Priorisierung immer auch die
Frage nach der Vermeidung von Verschwendung gehört. Ich glaube, das ist ein impliziter
Anteil der ganzen Priorisierungsdebatte.
Als Nächster steht auf der
Rednerliste der Kollege Professor Dr. Nix aus der Landesärztekammer
Rheinland-Pfalz.
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