Dr. Jaeger,
Schleswig-Holstein: Sehr verehrte Damen und Herren! Ich wollte eigentlich
etwas ganz anderes sagen. Insofern könnte auch ich eine getrennte Redezeit
beantragen. Ich möchte zunächst auf die Ausführungen von Herrn Professor
Dietrich erwidern. Ich muss sagen, Herr Dietrich: Ihre Ausführungen haben bei
mir eine akute obere Einflussstauung verursacht. Sie haben nach Beispielen für
eine Rationierung gefragt. Ich muss schon sagen: Ihren Schilderungen entnehme ich,
dass Sie Krankenhausarzt sind. Entweder liegt Ihr Krankenhaus irgendwo auf
Wolke sieben oder Sie sind in einem Bereich tätig, bei dem Sie sich schon lange
von der Basis, vom medizinischen Alltag auf der Station, in der Ambulanz usw.
entfernt haben.
(Beifall)
Sie baten um Beispiele für eine
Rationierung. Ich könnte Ihnen 20 Beispiele aufzählen. Ich will es bei drei
Beispielen belassen.
Wenn ich auf der Station gezwungen
werde, bei 35 Patienten in 30 Minuten eine Visite zu machen, dann ist das eine
Rationierung, weil den Patienten etwas Wichtiges vorenthalten wird, nämlich das
Arztgespräch.
(Beifall)
Diese Rationierung wird am
Wochenende noch dadurch verstärkt, dass, wenn ich in Vertretung der Kollegen
auf einer mir nicht bekannten Station Visite mache, in der Regel keine
Krankenschwester mehr die Visite begleitet, weil der Stellenplan das nicht
hergibt.
(Beifall)
Das kann man durchaus als
Doppelblindversuch bewerten: Der Arzt weiß nichts und die Patienten können
möglicherweise nicht sprechen.
Das sind ganz konkrete Beispiele
für eine Rationierung. Ein weiteres Beispiel: Wenn ich aufgrund eines engen
Stellenplans als einziger Arzt in der Ambulanz tätig bin für mehr als 20
Patienten, wo eigentlich drei Ärzte vorgesehen sind, und ich von meiner
Chefärztin angehalten werde, schneller zu arbeiten, woraufhin ich sie frage, ob
ich schnell oder sorgfältig arbeiten soll, dann bin ich genau in dem
Gewissenskonflikt, der hier bereits angesprochen wurde.
(Beifall)
Als letztes Beispiel für
Rationierung möchte ich Ihnen den Fall meiner Tante schildern. Sie wurde mit einer
bradykarden Herz-Rhythmus-Störung von 30 – wahrscheinlich durch eine relative
Überdosierung von Antiarrhythmika – von einem sehr sorgfältigen Hausarzt
eingeliefert. Sie wurde nicht, wie es bei uns eigentlich selbstverständlich
sein sollte, an einen Monitor gelegt. Am nächsten Morgen bei der Visite war sie
tot. Der Fehler war wahrscheinlich, dass sie Privatpatientin war, denn es hieß:
Der Oberarzt kommt erst später zur Visite. Bei Rücksprache mit den behandelnden
Ärzten sagte man: Wir hatten in der Nacht – es war Wochenenddienst – viele
Aufnahmen, Ihre Tante schien die Gesündeste zu sein, wir hatten nicht so viele
Monitorplätze, außerdem war der Arzt völlig überarbeitet. Insofern wurde meine
Tante in ein Normalzimmer geschoben, weil sie eben recht gesund erschien.
Keiner hat nach ihr geschaut; bei der Visite war sie tot.
Das sind die Beispiele für
Rationierung. Ich kann Ihnen noch weitere 20 Beispiele nennen.
(Beifall)
Vizepräsident Dr.
Montgomery: Vielen herzlichen Dank, lieber Norbert. – Die nächste Rednerin
ist die Kollegin Anke Müller aus Mecklenburg-Vorpommern.
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