TOP II: Patientenrechte in Zeiten der Rationierung

Mittwoch, 20. Mai 2009, Vormittagssitzung

Dr. Müller, Mecklenburg-Vorpommern: Ich habe mich auf diesen Ärztetag gefreut. Ich bin gern hierhergekommen aus diesem kleinen Dorf Strasburg am Ende der Welt, kurz vor Polen, mit 6 000 Einwohnern. Ich wollte mich hier mit Kollegen treffen, die ich von der Akademie für Allgemeinmedizin her kenne. Da ich nicht das erste Mal hier bin, wollte ich mich auch mit vielen anderen netten Kollegen treffen. Ich wollte einmal heraus aus dem weißen Kittel. Ich habe mich ein bisschen in eine Farbe gezwängt; mit 52 muss man schon aufpassen, dass man ein bisschen besser aussieht, nicht so alt, wie man eigentlich ist. Ich hatte gehofft, dass ich hier ein bisschen abschalten kann. Ich wollte hier Berufspolitik mitmachen, mich aber auch ein bisschen erholen.

Die Eröffnungsveranstaltung hatte ich noch gar nicht hinter mich gebracht, da erreichte mich schon der erste Anruf. Es war mein Bruder. Mein Bruder teilte mir mit – ich bin die Hausärztin sowohl meines Bruders als auch meiner Mutter, aller meiner Geschwister, der Enkel und Urenkel und von vielen 100 Patienten –, ich hätte vergessen, unserer Mutter die Tabletten aufzuschreiben, sie suche danach. Meine Mutter nimmt unter anderem Corvaton.

Natürlich hatte ich es nicht vergessen. Sie war in die Apotheke gegangen und hatte irgendwelche Tabletten bekommen, die blaue Streifen hatten. Sie kam zum x-ten Mal nicht damit zurecht, dass sie wieder etwas anderes bekommen hatte. Nun kann man mir ja entgegenhalten, ich hätte ein Kreuz machen und die Aut-idem-Regelung in Kraft setzen können. Das habe ich alles durch. Früher habe ich die Präparatenamen aufgeschrieben, die Firma dahinter. Es sollte ja die billigste Firma sein. Daran habe ich mich nicht immer gehalten. Dann habe ich versucht, nur noch den Wirkstoffnamen aufzuschreiben. Da ich mittlerweile nicht mehr überblicke, was ich aufschreiben darf, weil es so viele Rabattverträge gibt und ich einen Großteil der Zeit damit verbringe, dem Patienten zu erklären, wie er das Medikament einnehmen muss, sage ich nun: Okay, Wirkstoff. Ich rede und rede und rede. Wir versuchen mal, dass die Welt in Ordnung kommt.

Heute Morgen wollte ich mich nun bei meinem Mann ausheulen. Ich habe ihn angerufen und ihn gefragt: Alles in Ordnung? – Ja, alles in Ordnung. Unsere Mutter hat angerufen. – Ja, ich habe mal wieder die Tabletten vergessen, das stimmt nicht. Mein Mann, der kein Mediziner ist, hat gesagt: Das habt ihr von eurer Sparpolitik, kein Mensch sieht mehr durch, was man einnehmen soll, das schadet euch gar nichts!

Der Trost war also dahin. Was will ich damit sagen? Mich stinkt es ganz genauso an wie viele meiner Kollegen, dass ich mich auf einem Feld bewege, wo die Sicherheit für den Patienten nicht mehr gegeben ist, weil wir ständig neue Regelungen haben, weil wir dem Patienten erklären müssen, was er einnehmen darf und was er nicht einnehmen darf.

Ich danke Ihnen für den ausgezeichneten Vortrag, Herr Professor Katzenmeier. Ich kann nur hoffen, dass mein Sohn, der Jura studiert, mich irgendwann heraushaut, wenn irgendetwas Schlimmes mit meinen Patienten passiert.

Mein Kollege hat mich heute gefragt, ob die Welt besser geworden sei, seit ich in Mainz bin. Ich habe geantwortet: noch nicht. Vielleicht, Herr Professor Hoppe, sollten wir versuchen, dass die Welt ein bisschen besser wird, dass wir uns von Ulla Schmidt oder wem auch immer nicht unterstellen lassen, dass wir nur noch Abzocker sind, dass wir nicht wissen, was wir tun.

Wir sind vernünftige Ärzte, die vernünftig handeln. Wir sollten uns nicht in eine Position drängen lassen, mit der wir selber ganz, ganz schlecht leben können.

Danke.

(Beifall)

Vizepräsident Dr. Montgomery: Vielen Dank, Frau Müller. – Der nächste Redner ist Günther Jonitz, Präsident der Ärztekammer Berlin.

© Bundesärztekammer 2009