TOP II: Patientenrechte in Zeiten der Rationierung

Mittwoch, 20. Mai 2009, Vormittagssitzung

Dr. Jonitz, Vorstand der Bundesärztekammer: Lieber Jörg, es ist dir ausdrücklich zu danken, dass du dieses heikle Thema, das eine große Resonanz gefunden hat, so klar angesprochen hast, auch wenn es offensichtlich nicht alle Medien verstanden haben, aber einige doch. Die Wahrheit ist den Menschen zumutbar. Wir müssen diesen Ärztetag heute nutzen, um unsere alltäglichen katastrophalen Erfahrungen der Öffentlichkeit gegenüber transparent zu machen, damit sie weiß, was läuft, und sich nicht permanent von der Politik vorführen lässt. Ich lese fast mit Vergnügen, wie sich die Ministerin gegen das Thema Priorisierung und Rationierung wehrt. Warum sagt sie der Öffentlichkeit gegenüber nicht, dass genau diejenigen Gesundheitssysteme, die ihr als Vorbild dienen – die skandinavischen Länder, Großbritannien, Holland –, genau diese Verfahren bereits routinemäßig eingeführt haben?

(Vereinzelt Beifall)

Dort wird priorisiert, dort wird auch rationiert auf einer völlig normalen Ebene. Wenn sie jetzt sagt, dass sie das Thema doof findet, dann sagt sie nicht die Wahrheit.

Das Thema Rationierung ist ja auch kein neues Thema. Schon Mitte der 90er-Jahre hat der damalige Professor für Gesundheitssystemforschung Michael Arnold – er war auch einmal Sachverständigenratsvorsitzender – immer wieder darauf hingewiesen, dass wir uns nicht darüber unterhalten, ob wir rationieren, sondern darüber, wie wir zuteilen. Das ist völlig normal. Wir müssen es nur richtig machen und es nicht in die Klemme führen lassen.

Die Zentrale Ethikkommission der Bundesärztekammer hat bereits 2000 und 2007 Stellungnahmen dazu veröffentlicht. Das heißt, das Thema ist da; es wurde von der Politik verdrängt. Jetzt sorgen wir dafür, dass die Politik von diesem Thema eingeholt wird.

Meine Damen und Herren, ich glaube, es ist inhaltlich gesehen extrem wichtig: Priorisierung ist nicht Rationierung. Joachim Dehnst hat in seinem Beitrag zu Beginn dieser Diskussion darauf hingewiesen, dass es Länder gibt, die damit seit vielen Jahren arbeiten. Interessanterweise berichten diese Länder über mittlerweile gute Erfahrungen.

Durch die breite öffentliche Debatte über das, was in der Patientenversorgung sinnvoll und was nicht sinnvoll ist, wurde nicht nur in vielen Bereichen – beispielsweise in Schweden oder auch in Oregon – nachweislich die Patientenversorgung verbessert, es wurde dafür auch zielgerichtet neues Geld zur Verfügung gestellt. Versuchen Sie bitte zu trennen: Rationierung ist das eine – das ist kein angenehmes Wort –, Priorisierung ist etwas richtig Sinnvolles.

Wenn wir wollen, dass auch in Zukunft der medizinische Fortschritt für alle finanzierbar ist, müssen wir auch den Mut haben, zu sagen: Nicht alles kann und muss überall zur Verfügung stehen. – Beifall?

(Beifall)

Ich würde diesen Beifall nämlich gern weitergeben an die Gesundheitsministerin Ulla Schmidt, die genau dieses Zitat 2005 vor dem Deutschen Ärztetag brachte. Möglicherweise hat der Mut sie verlassen.

Danke.

(Beifall)

Vizepräsident Dr. Montgomery: Vielen Dank, Günther. – Der nächste Redner ist Horst Massing, Hausarzt und Delegierter der Ärztekammer Westfalen-Lippe.

© Bundesärztekammer 2009