Dr. Jonitz, Vorstand der
Bundesärztekammer: Lieber Jörg, es ist dir ausdrücklich zu danken, dass du
dieses heikle Thema, das eine große Resonanz gefunden hat, so klar angesprochen
hast, auch wenn es offensichtlich nicht alle Medien verstanden haben, aber
einige doch. Die Wahrheit ist den Menschen zumutbar. Wir müssen diesen Ärztetag
heute nutzen, um unsere alltäglichen katastrophalen Erfahrungen der
Öffentlichkeit gegenüber transparent zu machen, damit sie weiß, was läuft, und
sich nicht permanent von der Politik vorführen lässt. Ich lese fast mit
Vergnügen, wie sich die Ministerin gegen das Thema Priorisierung und
Rationierung wehrt. Warum sagt sie der Öffentlichkeit gegenüber nicht, dass
genau diejenigen Gesundheitssysteme, die ihr als Vorbild dienen – die
skandinavischen Länder, Großbritannien, Holland –, genau diese Verfahren
bereits routinemäßig eingeführt haben?
(Vereinzelt Beifall)
Dort wird priorisiert, dort wird
auch rationiert auf einer völlig normalen Ebene. Wenn sie jetzt sagt, dass sie
das Thema doof findet, dann sagt sie nicht die Wahrheit.
Das Thema Rationierung ist ja auch
kein neues Thema. Schon Mitte der 90er-Jahre hat der damalige Professor für
Gesundheitssystemforschung Michael Arnold – er war auch einmal
Sachverständigenratsvorsitzender – immer wieder darauf hingewiesen, dass wir
uns nicht darüber unterhalten, ob wir rationieren, sondern darüber, wie wir
zuteilen. Das ist völlig normal. Wir müssen es nur richtig machen und es nicht
in die Klemme führen lassen.
Die Zentrale Ethikkommission der
Bundesärztekammer hat bereits 2000 und 2007 Stellungnahmen dazu veröffentlicht.
Das heißt, das Thema ist da; es wurde von der Politik verdrängt. Jetzt sorgen
wir dafür, dass die Politik von diesem Thema eingeholt wird.
Meine Damen und Herren, ich glaube,
es ist inhaltlich gesehen extrem wichtig: Priorisierung ist nicht Rationierung.
Joachim Dehnst hat in seinem Beitrag zu Beginn dieser Diskussion darauf
hingewiesen, dass es Länder gibt, die damit seit vielen Jahren arbeiten.
Interessanterweise berichten diese Länder über mittlerweile gute Erfahrungen.
Durch die breite öffentliche
Debatte über das, was in der Patientenversorgung sinnvoll und was nicht
sinnvoll ist, wurde nicht nur in vielen Bereichen – beispielsweise in Schweden
oder auch in Oregon – nachweislich die Patientenversorgung verbessert, es wurde
dafür auch zielgerichtet neues Geld zur Verfügung gestellt. Versuchen Sie bitte
zu trennen: Rationierung ist das eine – das ist kein angenehmes Wort –, Priorisierung
ist etwas richtig Sinnvolles.
Wenn wir wollen, dass auch in
Zukunft der medizinische Fortschritt für alle finanzierbar ist, müssen wir auch
den Mut haben, zu sagen: Nicht alles kann und muss überall zur Verfügung
stehen. – Beifall?
(Beifall)
Ich würde diesen Beifall nämlich
gern weitergeben an die Gesundheitsministerin Ulla Schmidt, die genau dieses
Zitat 2005 vor dem Deutschen Ärztetag brachte. Möglicherweise hat der Mut sie
verlassen.
Danke.
(Beifall)
Vizepräsident Dr.
Montgomery: Vielen Dank, Günther. – Der nächste Redner ist Horst Massing,
Hausarzt und Delegierter der Ärztekammer Westfalen-Lippe.
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