Dr. Gitter, Bremen:
Herr Vorsitzender! Meine lieben Kolleginnen und Kollegen! Herr Präsident Hoppe,
Sie haben vorhin gesagt, dass wir nicht – ich würde sagen: noch nicht – von den
Medien verstanden werden; das betrübt Sie ein bisschen. Ich wäre da völlig
gelassen, weil nämlich die Zeit für uns arbeitet. Wir alle merken ja, dass die
Patientinnen und Patienten das am eigenen Leib mehr und mehr spüren. Die Bürger
werden selber den Politikern erklären, dass sie sich nicht mehr länger für dumm
verkaufen lassen.
Nach dem Vortrag von Herrn
Professor Katzenmeier bin ich ziemlich sicher, dass uns auch die Juristen in
nächster Zeit helfen werden, weil sie die Realität, die sich entwickelt hat,
natürlich auch in der Zukunft in der Rechtsprechung wahrnehmen und umsetzen
werden. Auch da bin ich mir ziemlich sicher.
Ich würde natürlich von einem
kritischen und investigativen Journalisten erwarten, dass er seine Funktion der
Politikkontrolle wahrnimmt und den Bürgern hier ein bisschen hilft. Ich habe
bereits gestern gesagt: Die Bedürftigen haben es besonders nötig. Mit ihrer
Erlaubnis, Herr Vorsitzender, möchte ich aus dem Brief einer großen
Gesundheitskasse in diesem Lande zitieren, um einmal darzulegen, wie andere mit
Patientenrechten umgehen. Der Brief lautet:
Sehr geehrte Damen und Herren,
auf dem Abrechnungsschein der ambulanten Notfallbehandlung vom … wurde die
Diagnose „Verletzung der Vulva“ angegeben.
Es handelte sich um ein Kind.
Bitte teilen Sie uns mit, ob
die Verletzung durch Missbrauch entstanden sein könnte.
Das war der Brief einer
Sachbearbeiterin dieser Krankenkasse. Ich habe das selbstredend abgelehnt und
ihr erklärt: Wenn Sie darauf bestehen, diese Information zu bekommen, geben Sie
das Ihrem MDK. Dann wird das von Arzt zu Arzt behandelt. Außerdem habe ich ihr
angekündigt, dass ich diesen Brief hier vorlesen werde, weil ich es einen
unsäglichen Umgang finde. Der Kasse geht es nicht um die adäquate Therapie des
Kindes, sondern selbstverständlich nur um die Wiedererlangung der Kosten durch
einen eventuellen Verursacher.
(Beifall)
Meine Damen und Herren, ich komme
bekanntermaßen aus einem der ärmeren Bundesländer. Ich kann täglich sehen, dass
die Rationierung natürlich besonders die Bedürftigen trifft. Sie haben die
Chancengleichheit im Gesundheitswesen genauso wenig wie in der Bildung. Wenn
man eine dieser Studien für das Gesundheitswesen durchführen würde, käme man
wahrscheinlich zu ähnlichen prekären Ergebnissen. Das ist das Problem, warum
genau bei diesen Bürgerinnen und Bürgern die eben ins Feld geführte
informationsbezogene Harmonisierung durch Aufklärung eben nicht geschieht. Sie
können sich nicht durch das Einkaufen der fehlenden Leistungen helfen, sondern
sie sind die Gebrandmarkten.
Noch ein Beispiel für die
Rationierung, das mittlerweile evidenzbasiert ist: Es ist nachgewiesen, dass
die Zahl der MRSA-Infektionen dort zunimmt, wo der Personalmangel groß ist.
Auch bei uns im Kinderkrankenhaus ist ein Pflegekräftemangel durch
Stelleneinsparungen eingetreten. Er trifft die Bedürftigen besonders hart. Das
sehe ich täglich. Deswegen ist es auch gut, wenn man einmal vom Elfenbeinturm
irgendwelcher anderer Realitäten herunterkommt und in die Niederungen der
medizinischen Realität in diesem Land einsteigt.
Vielen Dank.
(Beifall)
Vizepräsident Dr.
Montgomery: Vielen Dank, Heidrun. – Der nächste Redner ist Herr Kollege Dr.
Jörg Hermann, Delegierter der Ärztekammer Bremen.
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