Prof. Dr. Hommerich,
Referent: Meine Damen und Herren! Nach dieser sehr anregenden Diskussion
treiben mich viele Fragen um, vor allem aber zwei. Die eine Frage betrifft das
Arzt-Patient-Verhältnis. Das ist die Frage nach dem, was wir
Experten-Laien-Asymmetrie nennen. Auch ich bin für die hier eingeforderte
Differenzierung; das ist völlig klar. Dazu will ich aber doch noch einige
Anmerkungen machen. Das Vertrauensproblem stellt sich immer dann, wenn wir ein
Gefälle zwischen Experten und Laien haben. Wären wir alle gleichwertige
Experten, bräuchten wir kein Vertrauen, sondern könnten selbstverantwortlich in
voller Kompetenz handeln. Der Kern des Arzt-Patient-Verhältnisses ist
Wissensasymmetrie und übrigens auch Wirkungsasymmetrie bei der Übernahme der
Folgen dessen, was Ärzte verantworten müssen.
Ich bin ganz bei Ihnen, dass es
darum geht, Patienten mit Respekt und mit Empathie – das ist mir besonders
wichtig – zu begegnen. Ich bin aber auch der Meinung, dass der Arzt dem
Patienten in voller Unabhängigkeit in einem wohlaustarierten Verhältnis von
Nähe und Distanz begegnen muss, weil ein kranker Patient teilweise ein
hilfloser Patient ist, teilweise sogar ein unmündiger Patient. Damit sind wir
bei einem Kern des Problems einer jeden Profession: Die Professionen sind
deswegen in einer Sonderstellung, weil sie sich bereit erklären, in schwierigen
Situationen für ihre Patienten – ebenso wie Anwälte für ihre Mandanten –
stellvertretend zu handeln, also Verantwortung nach wohlerhobener Reflexion,
von mir aus auch gemeinsam mit den Patienten, soweit das möglich ist, und damit
eigene Risiken zu übernehmen. Genau das war der Kern meiner Botschaft. Der
Patient kann an Entscheidungen beteiligt werden, soweit es möglich und fachlich
vertretbar ist.
Es ist eine sehr schwierige und
auch ethische Frage, wo stellvertretendes Handeln der Ärzte für ihre Patienten
beginnen muss. Ich kann nur sagen – übrigens auch aus Erfahrungen in der
eigenen Familie –: Nichts ist schwieriger als ein Arzt, der Patient wird, wenn
dieser Arzt nicht loslassen kann, sondern immer weiter den Expertenstatus für
sich beansprucht, obwohl er als Betroffener nur noch eingeschränkt Experte ist.
Jeder von Ihnen wird das kennen.
Mit anderen Worten: Betroffenheit
von Krankheit schränkt die Mündigkeit in bestimmten Grenzen – manchmal
dauerhaft, manchmal zeitweise – ein. Deswegen brauchen wir Ärzte, die als
Stellvertreter dieser Menschen bereit sind, eigene Risiken zu übernehmen. Das
ist Punkt eins.
Punkt zwei war der Hinweis auf eine
von mir allerdings nicht geäußerte These durch Frau Braun: Wo Wissenschaft
endet, fängt Verantwortung an. Ich als Wissenschaftler würde das überhaupt
nicht sagen. Ich habe es auch nicht gesagt. Ich sage: Wir brauchen zunächst
einmal – jeder Arzt wie übrigens auch wir – ein kritisch-distanziertes
Verhältnis gegenüber wissenschaftlichen Ergebnissen. Wir könnten also sagen:
Verantwortung fängt beim reflektierten Umgang mit wissenschaftlichen
Ergebnissen an. Das war meine These.
(Beifall)
Sie führen eine Debatte über evidenzbasierte
Medizin. Diese Debatte treibt mich sehr um. Wir wären froh, wenn uns Evidenzen
Entscheidungen abnehmen könnten. Das wäre ja wunderbar. Wir könnten uns immer
wunderbar auf Evidenzen berufen und müssten nicht mehr entscheiden. Die
Wissenschaft hätte für uns entschieden.
Ich habe gesagt: Wissenschaft
bringt in der Regel Evidenzen mittlerer Reichweite hervor. Das heißt, wir
müssen die Evidenzen in kritischer Reflexion immer auch selber bezweifeln.
Übrigens: Schon der Begriff der Evidenz ist ein wissenschaftlich äußerst
schwieriger Begriff. Hier geht es ja nicht nur um statistische
Wahrscheinlichkeiten, sondern um sehr fundierte wissenschaftstheoretische
Aussagen.
(Beifall)
Ich plädiere also für einen
kritischen Umgang mit wissenschaftlichen Ergebnissen, die uns sehr nützlich
sein können, die uns sehr helfen können. Aber jenseits aller wissenschaftlichen
Erkenntnis bleibt in der Arzt-Patient-Beziehung, vor allem in kritischen
Situationen, die Notwendigkeit bestehen, aus eigener ärztlicher Verantwortung –
wenn Sie mich fragen: aus eigener ärztlicher Erfahrung – heraus zu handeln, und
zwar im wohlverstandenen Interesse des Patienten. Also auch hier gibt es die
stellvertretende Übernahme von Risiken.
Zum Schluss kurz noch ein
persönliches Fazit. Mir war wichtig, vor allem eine Botschaft zu verkünden, die
extrem wichtig ist, wenn wir wieder Verantwortungsstrukturen in unsere
Gesellschaft bringen können: Das ist die These von der Autonomie als gelebter
Autonomie; wenn Sie so wollen: von der Autonomie als gelebter Ethik. Denn nur
unter der Bedingung ethischer Rahmung des Handelns der Professionals, der
Ärzte, der Anwälte und aller anderen, können wir Vertrauenswürdigkeit in diesen
Professionen erhalten.
Das ist für mich von besonderer
Wichtigkeit, weil wir gerade in diesen Jahren erlebt haben, wozu es führt, wenn
wir diese Vertrauensstrukturen durch ethische Absicherung nicht mehr haben. Es
treibt Millionen von Menschen in Armut und Krise, während sich andere die
Taschen vollgesteckt haben. Das kann nicht sein.
(Beifall)
Deswegen ist es so wichtig, dass
wir kämpfen, jeder in seiner Profession – übrigens wir Wissenschaftler auch in
unserer –, für kollegiale Selbstkontrolle statt Fremdkontrolle, durch wen auch
immer: Fremdkontrolle durch Fremdinteressen ökonomischer Art, aber auch
Fremdkontrolle durch staatliche Kontrolle. Wohin die staatliche Kontrolle
gerade im Finanzdienstleistungssektor geführt hat, haben wir ja gesehen. Sie
fand nicht statt und wird jetzt mühsam nachgeholt. Wir werden sehen, ob das
gelingt.
Für mich ist auch wichtig, dass
Arztpraxen und Kliniken existieren als Vertrauensorganisationen, nicht als
Misstrauensorganisationen, die komplett bürokratisch überorganisiert sind. Da
ist mir ein Aspekt besonders wichtig, der auch in dieser Diskussion
angesprochen wurde. Es ist wichtig, dass auch Sie Ihre Kollegialität wahren,
über alle Grenzen hinweg. Das ist ein zentrales Element von Zusammenhalt und
Solidarität.
(Beifall)
Der Fundamentalismus der
spezialisierten Gruppen führt – auch das habe ich ausgeführt – zu drastischem
Machtverlust. Sie werden sich wundern, wenn Sie eine komplett segmentierte,
spezialisierte und auseinanderdriftende Berufsgruppe sind, wer Ihnen dann
überhaupt noch zuhört. Sie werden kaum noch jemanden finden. Politiker
jedenfalls haben ein gutes Gespür für Macht und übrigens auch ein gutes Gespür
für Machtverlust.
Deswegen sage ich, meine Damen und
Herren: Die Zukunftsaufgabe aller Professionen, in erster Linie der ärztlichen
Profession als einer Leitprofession, heißt: Sie müssen Ihre Autonomie auch
dadurch sichern, dass Sie ein Solidarsystem bleiben, ein selbstverantwortetes
Solidarsystem, das kollegiale Selbstkontrolle ernst nimmt, aber eben auch
Kollegialität. Nur so sind die Zentrifugalkräfte, die in der wissenschaftlichen
Entwicklung und in der Spezialisierung liegen, zu bändigen. Deswegen plädiere
ich für Exzellenz in selbstverantworteten Strukturen.
Vielen Dank.
(Beifall)
Präsident Prof. Dr. Dr. h.
c. Hoppe: Jetzt Professor Fuchs. Bitte.
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