Dr. Fischbach, Nordrhein:
Sehr verehrtes Präsidium! Meine lieben Kolleginnen und Kollegen! Lieber Herr
Peters, lieber Herr Seidel, ich danke Ihnen als Kinder- und Jugendarzt, der in
einer großen Gemeinschaftspraxis tätig ist, und auch als aktives Mitglied im
Berufsverband der Kinder- und Jugendärzte ganz ausdrücklich für Ihre beiden
sich so gut ergänzenden Referate. Das eine Referat konnte die emotionale Seite
des Problems sehr deutlich machen; das andere Referat hat sehr deutlich gezeigt,
dass man eine sehr gute Kenntnis der bestehenden Regelungen in unserem Lande
haben muss, damit man die ganzen Tücken des Systems erfassen kann.
Ich möchte vorausschicken, dass ich
glaube, dass zumindest die Versorgung von Kindern und Jugendlichen, die behindert
oder von Behinderung bedroht sind, in Deutschland im Vergleich mit der
internationalen Situation gut geregelt ist. Dennoch haben Sie, lieber Herr
Peters, völlig zu Recht auf einige Schwachpunkte hingewiesen, die wir als
Ärztetag sicherlich unbedingt einer Regelung zuführen sollten.
Ich will kurz einige Punkte
ansprechen. Sie haben die bürokratische Belastung der Eltern erwähnt. Das ist
auch aus meiner Erfahrung in der Praxis eines der Hauptprobleme. Insbesondere
Familien, die einen relativ niedrigen Sozialstatus haben, die bildungsfern
sind, finden sich in diesem ganzen Gestrüpp der Sozialgesetzgebung, in diesem
Dschungel von SGB V, SGB VIII, SGB IX und SGB XII überhaupt nicht zurecht.
Man muss sicherlich selbstkritisch
zugestehen: Viele unserer Kolleginnen und Kollegen finden sich dort auch nicht
zurecht, weil es ein außerordentlich kompliziertes Thema ist, das sich ständig
ändert.
Sie haben auf die SPZ-Problematik
hingewiesen. Das möchte ich ausdrücklich unterstützen. Wir sind froh, dass wir
Sozialpädiatrische Zentren haben, denn auch ein aktiver und in der
Behindertenbetreuung erfahrener Kinder- und Jugendarzt benötigt die
Unterstützung durch ein multiprofessionelles Team immer wieder. Da haben wir
entgegen der Bekundung von mancher Seite noch immer Nachholbedarf.
Ich komme aus Solingen, einer Stadt
mit 164 000 Einwohnern. Dort gibt es kein SPZ. In der Umgebung gibt es
SPZs, allerdings mit Wartezeiten von acht oder neun Monaten oder gar noch mehr.
Das ist inakzeptabel und ist den Eltern schon aus psychischen Gründen und den
Kindern aus medizinischen und sozialen Gründen nicht zuzumuten.
Ich möchte kurz etwas zur
interdisziplinären Frühförderung sagen, die hier nicht erwähnt wurde, die aber
in diesem Kontext genauso wichtig ist. Wir haben schon, wenn ich mich recht
entsinne, im Jahr 2003 eine Frühförderverordnung vom Bundesgesetzgeber
erhalten, die bislang nicht annähernd flächendeckend umgesetzt ist. Warum ist
sie das nicht? – Weil es nicht möglich war, sich im föderalen Kontext auf
gemeinsame Rahmenbedingungen der Umsetzung zu einigen. Somit ist es mehr oder
weniger dem Zufall oder der Finanzkraft der jeweiligen Kommune überlassen, die
ein Großteil der Kosten für die interdisziplinäre Frühförderung aufwenden muss,
ob es zu einem solchen Angebot kommt oder nicht.
Ich möchte kurz auf das Thema der
Honorierung zu sprechen kommen. Es ist in diesem Kontext natürlich ganz
schwierig, über Geld zu reden. Wir als Hausärzte – Kinder- und Jugendärzte sind
in der Regel Hausärzte – sind mit einem Regelleistungsvolumen ausgestattet, das
es sicherlich nicht ermöglicht, eine aufwendige Betreuung von
schwerstbehinderten Kindern unter wirtschaftlichen Gesichtspunkten zu
ermöglichen. Ich denke, hier besteht noch ein gewisser Nachholbedarf. Darum
müssten sich insbesondere die KVen und die Krankenkassen kümmern.
Zum Schluss noch zwei Punkte. Die
Familien dieser Kinder, insbesondere der schwerstbehinderten Kinder, sind
außerordentlich stark belastet. Wenn dann noch Geschwister in der Familie sind,
die gesund sind, ist es häufig so, dass diese Kinder irgendwo am Rande
untergehen. Das habe ich in meiner Praxis schon mehrfach erlebt. Ganze Familien
zerbrechen oftmals an der Bürde dieses Krankheitsbildes, beispielsweise einer
komplexen tetraspastischen Cerebralparese mit schwerster geistiger Behinderung
und Epilepsie-Krankheitsbildern, die gerade auch von Herrn Kollegen Peters
dargestellt worden sind. Ich glaube, wir müssen etwas tun, um die Entlastung
dieser Familien zu verbessern. Darüber sollten wir uns als Ärztinnen und Ärzte Gedanken
machen.
Ich komme zu meinem letzten Punkt.
Sie haben auf die Übertherapie hingewiesen. Auch das ist in der Tat ein
Problem. Das ist menschlich total verständlich, gerade in den bildungsnahen
Schichten. Man überlegt sich natürlich: Was kann ich noch alles tun, um die
Situation meines Kindes zu verbessern? Häufig ist dann viel eher weniger. Dann
haben wir das Problem, die Eltern wieder etwas herunterzuregulieren und sie
davor zu bewahren, zu viel zu tun. Das soll auch ein Appell dafür sein, sich nicht
zu sehr von den Eltern in Geiselhaft nehmen zu lassen und nachzugeben.
Natürlich tut auch uns das Herz weh, wenn die Eltern verzweifelt nach Hilfe
suchen und völlig ungeeignete Therapieformen für sich beanspruchen.
Ich denke, Transition kann nur vor
Ort funktionieren, kann nur funktionieren zwischen Kinder- und Jugendärzten und
Allgemeinärzten. Ich denke, das funktioniert immer so gut, wie die einzelnen
Kolleginnen und Kollegen miteinander klarkommen und miteinander arbeiten. Ich
möchte hier den Appell aussprechen, die Transition zu ermöglichen durch
Telefonate, durch persönliche Kontakte und durch die Hilfestellung für die
Familien, den Übergang vom 18. Lebensjahr ins Erwachsenenleben zu ermöglichen.
Ich danke Ihnen.
(Beifall)
Vizepräsidentin Dr.
Goesmann: Vielen Dank, Herr Fischbach.
(Zuruf)
– Es ist der Antrag auf Begrenzung
der Redezeit auf drei Minuten gestellt. Spricht jemand dagegen? – Ich sehe
niemanden. Dann stimmen wir darüber ab. Wer ist für die Begrenzung der Redezeit
auf drei Minuten? – Eine große Mehrheit. Wer ist dagegen? – Wenige. Wer enthält
sich? – Einige. Dann ist das so beschlossen. Herr Voigt ist leider der erste
Redner, der bei diesem Thema die drei Minuten einhalten muss. Bitte, Herr
Voigt.
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