TOP IV: Medizinische Versorgung von Menschen mit Behinderung

Donnerstag, 21. Mai 2009, Vormittagssitzung

Dr. Voigt, Niedersachsen: Frau Goesmann! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Zum Glück hat Herr Fischbach als Pädiater schon einige grundsätzliche Vorbemerkungen gemacht. Ich versuche, mit drei Minuten Redezeit auszukommen.

Zunächst einmal möchte ich beiden Referenten ganz herzlich für die Art und Weise danken, wie sie das Thema dargestellt haben. Ich glaube, wir müssen sehr deutlich den Appell aussprechen, dass wir ein behindertenfreundliches Klima schaffen müssen. Das halte ich für eine extrem wichtige Forderung. Ich als niedergelassener Pädiater erlebe zum einen, dass wir zwar ein recht gutes Versorgungsniveau haben, aber ich sehe auch, dass wir in der Gesellschaft ein großes Problem haben, Behinderung zu akzeptieren. Die Zahl der Down-Kinder in meiner Praxis sinkt beständig. Man muss sich fragen, woran das liegt. Es gibt die gesellschaftliche Grundhaltung, Behinderungen möglichst nicht zu akzeptieren und von vornherein das Eintreten dieser Behinderungen zu verhindern.

Ich möchte zu drei Punkten detailliert Stellung beziehen. Zum ersten geht es um die Hilfsmittelversorgung für Kinder mit Behinderungen. Wir erleben, dass in diesem Bereich mittlerweile eindeutig eine Priorisierung stattfindet. Sie wird delegiert an die Kolleginnen und Kollegen des Medizinischen Dienstes der Krankenkassen, die hier in großem Umfang eingreifen. Ich betreue zwei Kinder mit Rett-Syndrom. Hier weigern sich die Krankenkassen definitiv, über eine basale Physiotherapie hinaus irgendwelche weiteren Behandlungsmaßnahmen außerhalb des Regelfalls zu finanzieren. Das ist etwas, was ich für höchst skandalös halte. Ich denke, man kann den Kollegen im Medizinischen Dienst diese Verantwortung nicht übertragen. Ich halte das für unerträglich.

(Beifall)

Ein zweiter Punkt, der für Kinder und Jugendliche höchst problematisch ist, sind die Kriterien, die für die Beurteilung von Pflegestufen herangezogen werden. Auch hier werden Kriterien verwendet, die den spezifischen Problemen dieser Kinder und Jugendlichen nicht gerecht werden. Wir müssen dringend fordern, dass diese Bewertungskriterien verändert werden, damit wir den Bedarf der Kinder erfüllen können.

Es wurde hier schon mehrfach angesprochen, dass es einen großen Bedarf an Sozialpädiatrischen Zentren gibt. Auch ich sehe das grundsätzlich so. Ich möchte aber darauf hinweisen, dass wir das große Problem haben, dass in diesen Zentren im großen Umfang Kinder zur Vorstellung kommen, die einfach nicht dorthin gehören, sodass die Zentren mit solchen Fällen überflutet werden und sich nicht mehr den wirklich problematischen Fällen widmen können. Auch da ist es sicherlich wichtig, dass wir zusehen, dass wir eine Überdiagnostik bei Kindern mit leichten Störungen vermeiden und sie dort behandeln, wohin sie gehören, nämlich in den Praxen der niedergelassenen Kinder- und Jugendärzte.

Ich danke für die Aufmerksamkeit.

(Beifall)

Vizepräsidentin Dr. Goesmann: Vielen Dank, Herr Voigt. – Es folgt Herr Dr. Bolay aus Westfalen-Lippe.

© Bundesärztekammer 2009