Neitscher, Nordrhein:
Verehrtes Präsidium! Liebe Kolleginnen! Liebe Kollegen! Meine Damen und Herren!
Ich spreche zur Versorgung psychisch Kranker und Behinderter. Das „Deutsche
Ärzteblatt“ hat in seiner aktuellen Ausgabe auf Seite 4 die „Zahl der Woche“
veröffentlicht. Sie lautet: 21 Prozent Menschen in Deutschland haben im
vergangenen Jahr wegen psychischer Beschwerden ärztliche und
psychotherapeutische Hilfe aufgesucht.
Die Herausforderungen angesichts
der Epidemiologie psychischer Erkrankungen und die Anforderungen an die
notwendige ärztliche psychotherapeutische Kompetenz wurden auf dem Deutschen
Ärztetag 2006 diskutiert. Die Resonanz war erfreulich. Wir sind froh, dass Sie,
Herr Professor Hoppe, in Ihrer Rede am Dienstag an zwei Stellen diese Thematik
aufgegriffen haben. Im Zusammenhang mit der Debatte um den sogenannten
assistierten Suizid haben Sie zu Recht ärztlich-psychotherapeutische Hilfe für
diejenigen Menschen gefordert, die aufgrund schwerwiegender depressiver
Erkrankungen, Vereinsamung und wirtschaftlicher Not in suizidale Lebenskrisen
geraten sind.
Zu Recht haben Sie an zweiter
Stelle darauf hingewiesen, dass wir uns besonders um diejenigen Menschen
kümmern müssen, die sich aufgrund seelischer Erkrankungen nicht wehren können
und stigmatisiert sind.
An anderer Stelle aber fehlte mir
ein Hinweis. Sie sprachen davon, dass es in Deutschland eine halbe Million
Menschen mit geistiger und mehrfach körperlicher Behinderung gibt. Lieber Herr
Professor Hoppe, zu den Menschen mit Behinderungen gehören auch diejenigen
Menschen, die unter einer Behinderung als Folge einer seelischen Erkrankung
leiden. Ich bin Frau Haus dankbar für ihre Worte, die sie eben gefunden hat.
Nachdem wir jahrelang einen
bedauernswerten Rückgang an ärztlicher psychotherapeutischer Versorgung
aufgrund der desaströsen Honorierung zu beklagen hatten, sind wir froh, dass
mit der Honorarreform zum 1. Januar 2009 – bei aller berechtigten Kritik – hier
Abhilfe geschaffen wurde und psychotherapeutisch tätige Ärztinnen und Ärzte
aller Fachgruppen – ich betone: aller Fachgruppen – endlich ihrem
Versorgungsauftrag nachkommen können, ohne den wirtschaftlichen Ruin befürchten
zu müssen.
Dazu haben auch die Beschlüsse der
Deutschen Ärztetage der letzten Jahre beigetragen. Vielen Dank.
Umso irritierender ist für uns das,
was unter dem Titel „Gesundheitspolitische Agenda 2009 – Für ein verlässliches,
solidarisches und gerechtes Gesundheitswesen“ veröffentlicht und allen
Delegierten mit der Einladung zugeschickt wurde. Das ist ein Handlungskonzept,
das unter der Federführung von Professor Beske und unter Mitwirken maßgeblicher
Vertreter der ärztlichen Selbstverwaltung erarbeitet wurde. Auf Seite 56 dieses
Handlungskonzepts ist zu lesen, dass bei ambulanter Psychotherapie eine
Zuzahlung von 10 Prozent der Kosten pro Sitzung gefordert wird. Dies sieht man
als „Teil eines therapeutischen Prinzips“ an. Das entspricht bei einer
niederfrequenten Psychotherapie schnell einer Zuzahlung von 100 Euro pro
Quartal.
Liebe Kolleginnen und Kollegen,
hier drängt sich der Verdacht auf, dass unter dem Deckmantel eines mehr als
fragwürdigen, wenn nicht falschen Therapieverständnisses Kostenpolitik
betrieben wird. Nicht zum ersten Mal ist der Reflex zu beobachten, in diesem
Versorgungsbereich mit vorgeblicher Einsparung zu beginnen. Heißt
Priorisierung, dass bei notwendiger Begrenzung der Ressourcen wieder einmal bei
denen begonnen werden soll, die sich am wenigsten wehren können? Das kann es ja
wohl nicht sein, zumal ein Teil der in den letzten Jahren gefassten Beschlüsse
der Deutschen Ärztetage zur Versorgung psychisch Kranker damit konterkariert
würde.
Ich bitte darum, meinen
entsprechenden Antrag zu unterstützen, und danke für die Aufmerksamkeit.
(Vereinzelt Beifall)
Vizepräsidentin Dr.
Goesmann: Danke, Herr Neitscher. – Jetzt hat Herr Schäfer aus Hamburg das
Wort.
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