TOP I: Gesundheits-, Sozial- und ärztliche Berufspolitik

Dienstag, 11. Mai 2010, Nachmittagssitzung

Dr. Scholze, Bayern: Lieber Herr Hoppe, ich möchte zu einem Ihrer Lieblingsthemen sprechen, nämlich der Priorisierung. Ich habe den Eindruck, dass Sie dieses Thema von oben herab ein bisschen in die Ärzteschaft hineindrücken, dass von unten her gar nicht der Bedarf dafür besteht. Inzwischen ist es für mich auch ein Lieblingsthema geworden, aber mit negativem Vorzeichen. Das möchte ich ein bisschen begründen.

Ich habe den Eindruck, dass Sie mit diesem Thema die Ärzteschaft hoffnungslos ins Abseits schießen. Ich darf Ihnen kurz drei Zitate von maßgeblichen Kreisen der Politik vorlesen. Die Union sagte: Hoppe bleibt immer nur im Abstrakten und wird auch auf Nachfrage nicht konkret. Herr Spahn sagte dazu: Da erwarte ich mir von der deutschen Ärzteschaft etwas mehr als nur Überschriften von Ärztetagen.

Herr Rösler sagte – zwar nicht heute, aber heute hat er es in ähnlicher Weise bestärkt –: Ich halte von der Diskussion über Priorisierung nichts. Eine Rangordnung medizinischer Leistungen festzulegen sei mit seinen ethischen Vorstellungen als Arzt nicht in Einklang zu bringen.

Herr Tillich hat heute Vormittag gesagt, wir Ärzte sollten unsere Zeit nicht mit Diskussionen über die Priorisierung verschwenden, es seien wichtigere Dinge zu tun.

Ich möchte Sie auf zwei für mich grundlegende Widersprüche hinweisen, die im Rahmen der Priorisierungsdebatte auftauchen. Uns wird immer wieder gesagt, Priorisierung habe nichts mit Rationierung zu tun. Auf der anderen Seite wird aber gesagt, wenn man fragt, was das Ganze soll: Wir brauchen die Priorisierung, weil anderenfalls die Kosten im Gesundheitswesen nicht gesenkt werden können. Wie kann man denn die Kosten im Gesundheitswesen senken, wenn nicht über eine Rationierung? Herr Hoppe, für mich sind Rationierung und Priorisierung zwei Seiten einer Medaille.

Ein zweiter Widerspruch ist folgender. Sie sagen immer, Sie seien gegen eine Staatsmedizin. Jetzt sind Sie aber plötzlich dafür, dass ein nationaler Gesundheitsrat dem Staat zuarbeiten soll, der Staat aber soll sagen können: Hier mache ich schnipp, schnapp. Ich denke, das ist mit unserem ärztlichen Auftrag und mit unserem ärztlichen Selbstverständnis nicht zu vereinbaren. Ich möchte, dass Ärzte darüber entscheiden, was medizinisch notwendig ist, was sinnvoll ist und was getan werden soll. Man darf aber nicht sagen: Wir machen euch einen Vorschlag, dann soll der Staat entscheiden. Das ist für mich unärztlich.

Ich möchte den Ärztetag auffordern, dass die Priorisierungsdebatte, die Gott sei Dank noch nicht so weit fortgeschritten ist, zunächst einmal hintangestellt wird und wir erst einmal schauen, wie wir unseren Laden von überflüssigen Leistungen entrümpeln, von zum Teil schädlichen Leistungen. Ich denke, damit haben wir zunächst einmal genügend zu tun. In einem zweiten Schritt kann man überlegen, wie man das weiterführt.

Danke.

(Beifall)

Präsident Prof. Dr. Dr. h. c. Hoppe: Danke schön, Herr Scholze. – Der nächste Redner ist Herr Kollege Pickerodt aus Berlin.

© Bundesärztekammer 2010