TOP I: Gesundheits-, Sozial- und ärztliche Berufspolitik

Dienstag, 11. Mai 2010, Nachmittagssitzung

Grauduszus, Nordrhein: Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Die Ärzteschaft wird aufgeteilt in diejenigen, die das Kollektivvertragssystem favorisieren, und diejenigen, die das Selektivvertragssystem favorisieren. Natürlich gibt es immer mehr Kolleginnen und Kollegen, die glauben, dass – jetzt spreche ich nicht von der Kostenerstattung – das direkte Vertragsverhältnis zwischen Arzt und Patient der richtige Weg ist. Lassen Sie mich zunächst einmal auf das Kollektiv- und das Selektivvertragssystem sowie auf das SGB V mit den §§ 73 b und 73 c eingehen.

Warum wurde das geschaffen? Warum wurde die Möglichkeit, Verträge abzuschließen, in das Gesetz aufgenommen? Angeblich geschah dies, um Wettbewerb herzustellen. Aber glauben wir das wirklich? Was ist tatsächlich geschehen? Die Politik unter Ulla Schmidt – namentlich mit Herrn Knieps – hat einen Keil zwischen die Verbände und die verfasste Körperschaft getrieben. Heute erleben wir einen gnadenlosen Kampf zwischen dem KV-System und den Protagonisten der Selektivverträge.

Was ich in Nordrhein erlebe, ist wirklich keine Erfolgsgeschichte mehr. Glauben wir denn, dass es im Selektivvertragssystem besser wird? Dass es ein Ende haben soll mit der Ideologie der Freiberuflichkeit, das wissen wir. Dass Herr Rösler das in der Kürze der Zeit nicht verhindern kann, sondern im Moment die Politik genauso fortgeführt wird, erleben wir alle. Es ändert sich ja nichts. Herr Dr. Rösler hat gesagt: Wenn es um mehr Geld geht, kann ich Ihnen nicht helfen. Wenn Kollegen vor Ort sagen, sie seien mit ihrem Honorar sehr abgestürzt, sie bräuchten Hilfe, dann kommt aus der Politik keine Unterstützung.

Das KV-System kann sich nicht mehr retten. Das Selektivvertragssystem macht groß Werbung. Aber letztendlich geht es nur um eines: uns in das Angestelltenverhältnis zu treiben, um dann zunächst zu verstaatlichen. Das war vielleicht eine Idee. Dahinter stehen Konzerne, die Geschäfte machen wollen mit der Versorgung, die wir realisieren. Dann haben wir gar kein Vertragsverhältnis mehr mit unseren Patienten, sondern nur noch mit unserem Geschäftsführer.

Deshalb appelliere ich an Sie: Denken Sie darüber nach. Wir sind im Arzt-Patient-Verhältnis dem Patienten verpflichtet, nicht der Obrigkeit, nicht dem System. Wir geraten aber in immer engere Verträge, die uns abhängig machen, die uns vorschreiben, welche Medikamente wir zu verordnen haben, wann wir bereitzustehen haben, wie lange die Patienten warten müssen. Da werden 30 Minuten Wartezeit in die Verträge hineingeschrieben. Hinterher wird behauptet: Das braucht ihr ja nicht einzuhalten.

Meine Damen und Herren, das kann doch nicht wahr sein! Solche Verträge lehne ich ab. Ich glaube, ich kann in den nächsten Jahren als Arzt meinen Patienten nur noch im direkten Vertragsverhältnis zwischen Arzt und Patient gerecht werden. Dafür braucht man ein anderes Erstattungssystem. Das nennt man landläufig Kostenerstattung. Arzt und Patient können entscheiden, ob der Betrag direkt zwischen Patient und Arzt fließt oder über eine Abrechnungsgesellschaft. Dann sind solche Argumente wie diejenigen, der Patient könne sich die Leistung nicht erlauben, es werde eine sehr hohe Hürde geben, zum Arzt zu gehen, als Unsinn entlarvt.

Damit unser Berufsstand seine Freiberuflichkeit erhalten kann, brauchen wir wirtschaftliche Unabhängigkeit und Unabhängigkeit von Kostenträgern und Obrigkeit.

Vielen Dank.

(Beifall)

Präsident Prof. Dr. Dr. h. c. Hoppe: Danke schön, Herr Grauduszus. – Jetzt kommt Herr Kollege Clever aus Baden-Württemberg.

© Bundesärztekammer 2010