TOP II: Versorgungsforschung

Donnerstag, 13. Mai 2010, Vormittagssitzung

Dr. Funken, Nordrhein: Frau Vizepräsidentin! Meine lieben Kolleginnen und Kollegen! Eigentlich hatte ich gedacht, dass das Thema der Versorgungsforschung in der Ärzteschaft schon so breit aufgegriffen worden ist, dass es ein Selbstgänger auf diesem Deutschen Ärztetag würde. Die Anträge 03 und 05 zeigen aber, dass wir doch noch ein bisschen daran arbeiten und in Bezug auf das aufklären müssen, was Versorgungsforschung leisten soll und leisten wird.

Die Versorgungsforschung leistet bereits jetzt, dass die gesetzlichen Krankenkassen Daten haben, die ihnen strategische Optionen geben, uns als Ärzteschaft wie kleine Hündchen auf Wege zu führen, die sie wollen, wobei dabei nicht die Versorgung der Patienten im Vordergrund steht, sondern, wie Sie natürlich alle wissen, die Versorgung der Krankenkassen mit Geldströmen im Rahmen einer sich liberalisierenden Marktwirtschaft.

Meine Damen und Herren, ich denke, es kann nicht Aufgabe der Ärzteschaft sein, sich einem solchen Feld nicht zu widmen. Deswegen möchte ich an die Verfasser der Anträge 03 und 05 appellieren, ihre Anträge zurückzuziehen. Ich glaube, hier gibt es einige Begriffsschwierigkeiten.

Ich möchte mich bei den Experten ausdrücklich für die guten Referate bedanken, in denen noch einmal klar gemacht wurde, dass die Leitlinienentwicklung ein erster Schritt bei der Versorgungsforschung ist, aber nicht der letzte Schritt sein kann. Wir müssen viel, viel weiter denken.

Ich möchte Ihnen folgendes Beispiel aus der Onkologie nennen. Wie Sie vielleicht wissen, habe ich eine Zeit meines Lebens damit zugebracht, Versorgungsforschung Onkologie zu betreiben. Vor ungefähr zehn Jahren wurde das Projekt eingestampft, nachdem Daten bekannt wurden, dass die regionalen Leitlinien nach der S2k-Leitlinie, also dem regionalen Expertenkonsens auf der Grundlage des vorhandenen Wissens, von den agierenden Persönlichkeiten der Ärzteschaft in ihren eigenen Kliniken und Praxen nur zu 50 Prozent umgesetzt wurden. Die Daten durften nicht veröffentlicht werden, weil man erst eine Fehleranalyse haben wollte. Die Fehleranalyse läuft immer noch.

Meine Damen und Herren, so sieht der Umgang mit der Versorgung in Deutschland aus. Gestern wurde der Begriff „gefühlte Versorgung“ genutzt. Auf diesem Niveau werde ich mich nicht mehr in die Diskussion einmischen. Ich will harte, klare Fakten haben. Bei der „gefühlten Versorgung“ geht es ja nicht um 5 Euro, sondern hier geht es um Millionen und Milliarden, die einer Fehlallokation unterliegen. Sie fehlen in der Versorgung.

Ich glaube auch nicht, dass wir langfristig darum herumkommen, das Thema so zu instrumentalisieren, dass wir damit klare Forderungen an die Politik stellen. Ich möchte zwei Beispiele anführen, die einen Großteil von Ihnen berühren. Zum einen geht es um das Thema Schlaganfall. Die Mittelallozierung im Bereich der Schlaganfallnachsorge ist so diffus, dass wir nicht wissen, wie viel Geld wir verlieren und wie viele Patienten davon tatsächlich profitieren können. Das ist ein Problem für die Versorgungsforschung.

Ein weiteres Beispiel – Ihnen bestens bekannt – ist die Katheterisierung von Herzpatienten: drug eluting stents gegen bare metal stents. Jetzt gibt es einen neuen drug eluting stent, der eingesetzt wird. Die Langzeitergebnisse sind allen nicht bekannt. Wir fordern aber alle kräftig, die neue Technologie einzusetzen, ohne uns über die lang wirksamen Ergebnisse überhaupt bewusst zu sein.

Meine Damen und Herren, hier sind Aufgaben zu lösen. Ich begrüße ausdrücklich den Antrag des Vorstands der Bundesärztekammer und bitte Sie, diesem Antrag zuzustimmen, ergänzt durch die Anträge 02 und 04, die eine Bereicherung des Gesamtantrags darstellen.

Vielen Dank.

(Vereinzelt Beifall)

Vizepräsidentin Dr. Goesmann: Auch Ihnen danke. – Es folgt jetzt Herr Professor Schulze vom Vorstand der Bundesärztekammer.

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