TOP II: Versorgungsforschung

Donnerstag, 13. Mai 2010, Vormittagssitzung

Prof. Dr. Selbmann, Referent: Sehr geehrte Frau Vizepräsidentin! Sehr geehrte Damen und Herren! Ich darf mich bei Ihnen recht herzlich für die zustimmenden, aber auch für die kritischen Äußerungen bedanken. Sie werden wissen, dass ich aus dem Themenbereich Qualitätsmanagement komme. Da weiß man: Es gibt nichts, was nicht noch besser gemacht werden könnte. Das gilt auch für die Leitlinienentwicklung. Das ist der erste Punkt, den ich ansprechen möchte. Ich habe gehört: Leitlinien sind überholt, sie sind mehrfach vorhanden, sie sind korrumpiert und dergleichen mehr. Das mag alles für einzelne Leitlinien stimmen, aber nicht für die große Masse. Für die AWMF kann ich Ihnen nur sagen: Es gibt keine überholten Leitlinien in dem Register der 750. Sie haben alle ein Verfallsdatum. Nach dem Verfallsdatum existieren sie nicht mehr.

Es gibt ein ganz klares Regime, wie neue Leitlinien aufgenommen werden. Wenn sie sich mit anderen überschneiden, werden sie nicht weiter behandelt.

Die Abhängigkeit ist in der Tat ein Problem. Das wurde im Zusammenhang mit der Finanzierung von Arzneimittelstudien angesprochen. Wenn nur Studien publiziert werden, die positive Ergebnisse zeigen, können natürlich diejenigen, die die Leitlinien entwickeln, nur auf dieser Basis agieren. Was wir wirklich brauchen, sind neutral finanzierte Arzneimittelstudien. Da stimme ich völlig mit Ihnen überein.

(Beifall)

Wenn diese nicht existieren, können keine guten Leitlinien erstellt werden.

Die Finanzierung der Leitlinien ist ein Problem. Ich möchte Ihnen sagen, dass wir als AWMF natürlich zum BMG gegangen sind und gesagt haben: Wir produzieren etwas, was nachher der Versorgung zugute kommt, könnt ihr das nicht finanzieren? Das war vor anderthalb Jahren. Dann haben wir gehört – das hat ein Kollege von Ihnen vorhin auch schon gesagt –: Wissen Sie, wer zahlt, schafft an. Das war eine Situation, in der wir als wissenschaftliche Mediziner sofort zurückgeschreckt sind: Dann werden uns die Themen, das Verfahren und das, was herauskommen soll, diktiert.

Die Zeit kann anders geworden sein; ich glaube, es ist einen neuen Versuch wert.

Mehrfach ist gesagt worden: Leitlinien sind nicht alles. Es tut mir leid, dass ich mit meinem Referat die Diskussion so fokussiert habe. Leitlinien sind aber die Grundlage. Wir müssen ja wissen, was gute Versorgungsqualität ist, um messen zu können, ob wir sie erreichen, warum die Implementierung eventuell nicht funktioniert, beispielsweise aus systemischen Gründen.

Ich glaube, wir sind mittlerweile so weit – das haben Sie bei Ihrem ersten Beschluss vor fünf Jahren gesagt –, dass es nicht mehr ausreicht, dass man etwas fühlt oder etwas weiß, sondern man muss das heute auch belegen können. Das machen die anderen Partner im Gesundheitswesen mittlerweile extensiv, indem sie die Daten auswerten, die zur Verfügung stehen, und daraus ihre gesundheitspolitischen Ziele ableiten. Wir brauchen eine Versorgungsforschung, weil wir überprüfen müssen, was die anderen uns vorlegen. Es reicht nicht, Zugriff auf die Daten zu haben. Man muss auch die entsprechende Brainware haben, man muss die Menschen haben, die mit diesen Daten umgehen können. Man muss Strukturen haben: Wie kann ich schnell reagieren, wenn ein neues Thema politisch brisant wird? Wie kann ich da meine Position herausarbeiten? Wir brauchen die Daten, wir brauchen einen breiten Zugang zu den Daten. Wir brauchen aber auch die Menschen, die mit diesen Daten arbeiten können, die sie neutral auswerten und bewerten können.

Dies betrifft aber nur das Reagieren. Ich glaube, wir müssen aber auch agieren, nämlich dort, wo es um spezifische medizinische Themen wie den Physician Factor oder – das hat mich als Gast sehr überzeugt – die berufliche Situation der Ärztinnen geht. Das ist doch ein klassisches Thema. Ich glaube nicht, dass wir dafür vom BMG oder von den Kassen Mittel bekommen, sondern das müssen wir, glaube ich, selber in die Hand nehmen.

So gesehen gehe ich sehr positiv gestimmt aus dieser Sitzung. Ich glaube, das Grundverständnis ist vorhanden. Über die Umsetzung habe ich nicht zu entscheiden.

Vielen Dank.

(Beifall)

Vizepräsidentin Dr. Goesmann: Danke, Herr Professor Selbmann. – Jetzt bitte Herr Professor Mansky.

© Bundesärztekammer 2010