TOP V: Tätigkeitsbericht der Bundesärztekammer

Freitag, 14. Mai 2010, Vormittagssitzung

Präsident Prof. Dr. Dr. h. c. Hoppe: Jetzt kommen wir zu einem zweiten prickelnden Thema innerhalb des Tätigkeitsberichts der Bundesärztekammer:

Aktuelle Diskussion zur Telematikinfrastruktur und
Zukunft der Telemedizin in Deutschland

Referent ist Herr Dr. Bartmann, der auf diesem Ärztetag sehr viel zu tun hat. Er macht das souverän. Er ist Präsident der Ärztekammer Schleswig-Holstein und Vorsitzender des Ausschusses „Telematik“ der Bundesärztekammer. Ich bedanke mich dafür, dass er auf diesem Ärztetag so viel Arbeit übernommen hat.

(Beifall)

Bitte, Franz Bartmann.

Dr. Bartmann, Referent: Herr Präsident, lieber Jörg! Vielen Dank für die nette Einführung. Liebe Kolleginnen und Kollegen! Es ist schon gute Tradition, dass ich Ihnen im Rahmen des Deutschen Ärztetages einen Sachstandsbericht über die weitere Entwicklung im Projekt Einführung der elektronischen Gesundheitskarte und der Telematikinfrastruktur gebe. Wir haben dieses Jahr eine gedrängte Tagesordnung. Ich habe im Vorstand der Bundesärztekammer dafür plädiert, dass wir diesen Punkt trotzdem aufnehmen, weil in dieser Entwicklung sehr viel Dynamik ist. Wir wollen Ihnen hier Rede und Antwort stehen und Sie sollen Gelegenheit haben, uns Hinweise zu geben, in welche Richtung wir unsere politischen Aktivitäten fokussiert weiterverfolgen sollen.

Warum beschäftigen Sie sich, warum engagieren wir uns als Bundesärztekammer so intensiv mit bzw. bei Fragen der Telematik im Gesundheitswesen? Ich denke, es ist die gemeinsame Erkenntnis über die Bedeutung des Themas für die Zukunft.

Das Ziel des Vorstands der Bundesärztekammer und natürlich auch mein persönliches Ziel ist es, einen Rahmen sicherzustellen, innerhalb dessen Ärzte zukünftig behandlungsrelevante Informationen über ihren Patienten sicher und zeitnah erhalten, und zwar dann, wenn der Patient dies ausdrücklich wünscht und autorisiert.

Dies setzt zwei Dinge voraus:

Erstens. Der Arzt ist vom Nutzen, der Qualität, der Verlässlichkeit und der Sicherheit der Behandlungsinformationen überzeugt – ich betone: überzeugt. Dies beinhaltet natürlich die freie Entscheidung des Arztes, ob er medizinische Anwendungen der Telematikinfrastruktur nutzen möchte.

Zweitens. Der Patient hat sich aus eigenem Antrieb entschieden, eine elektronische Patientenakte für sich anlegen zu lassen, weil er sich in seiner spezifischen Situation Vorteile durch eine solche Einrichtung erhofft.

Er hat in Abstimmung mit dem behandelnden Arzt im weiteren Verlauf gestattet, Behandlungsinformationen in die Akte aufzunehmen, und er erlaubt einem weiteren mitbehandelnden Arzt – ich betone: Arzt, nicht etwa Angehörigen anderer Gesundheitsberufe oder gar Mitarbeitern von Krankenkassen – den Zugriff auf seine verschlüsselten Daten, also auf aktuelle Untersuchungsbefunde, Arztbriefe, die Medikation oder auch die Originalaufnahmen bildgebender Verfahren. Es ist eindrucksvoll, was diese Medien heute gestatten.

Sie merken, wir sind bei der zentralen Frage: Wer ist Herr der Daten? Es ist einzig und allein der Patient, wer auch sonst. Diese zentrale Frage wird zunehmend wichtiger, da es heute bereits auf dem Markt kommerziell orientierte Patientenakten mit teilweise intransparenten Geschäftsmodellen beispielsweise von Google oder Microsoft gibt, mit denen wir, also Sie, gleichwohl zukünftig noch viel stärker konfrontiert werden. Hier gilt es, genau hinzuschauen und unseren Kolleginnen und Kollegen gegebenenfalls orientierende Informationen und Wertungen an die Hand zu geben. Aus diesem Grund haben wir auch den Antrag V-02 vorgelegt.

Welche Rolle nehmen wir, die behandelnden Ärzte, ein? Jeder Arzt wird sich ein Urteil bilden müssen über die Tauglichkeit der Anwendungen im Wirkbetrieb. Anwendungen, die keine Akzeptanz finden, weil kein Nutzen erkennbar wird, werden sehr schnell wieder verkümmern oder gar nicht erst zum Einsatz kommen.

Liebe Kolleginnen und Kollegen, als Gesellschafterin der gematik haben wir, die Bundesärztekammer, das vergangene Jahr und die politisch verordnete Bestandsaufnahme des eGK-Projekts dazu genutzt, viele zentrale Forderungen der zurückliegenden Deutschen Ärztetage umzusetzen.

  • Der Aufbau der Telematikinfrastruktur beginnt nach der jetzt vorliegenden Planung mit den drei Startanwendungen „elektronischer Arztbrief“, „Notfalldatenmanagement“ und „Online-Versichertenstammdatenmana­gement“. Die Telematikinfrastruktur unterstützt damit bereits zu Beginn auch medizinische Anwendungen. Das war bisher so nicht vorgesehen.
  • Die Forderung der Kostenträger, das Projekt alleine zu steuern, konnte abgewiesen werden.
  • Zukünftig haben die Kostenträger bei der inhaltlichen Beschreibung medizinischer Anwendungen kein Mitbestimmungsrecht. Das ist das Ergebnis der letzten Gesellschafterversammlung vom 19. April, auf der nach dem sogenannten Kümmerermodell den einzelnen Institutionen, die als Gesellschafter an der gematik beteiligt sind, bestimmte Aufgaben verbindlich zugeordnet worden sind. Die Bundesärztekammer verantwortet zunächst die Konzeption und die Einführung des Notfalldatensatzes auf der eGK, die KBV den elektronischen Arztbrief.
  • Anwendungen, die eine Speicherung von Patientendaten in einer Telematikinfrastruktur vorsehen, sind mit einem Moratorium belegt, bis alle damit in der Vergangenheit aufgeworfenen Fragen abschließend geklärt sind. Weiterhin müssen alle insbesondere haftungs- und berufsrechtlichen Fragen – beispielsweise der Erhalt der Schweigepflicht – geklärt sein. Die ergebnisoffene Testung dezentraler Speichermedien als Alternative zur Speicherung in der Telematikinfrastruktur – als Wahlrecht des Patienten – wird Bestandteil der weiteren Testung von Anwendungen wie beispielsweise der Patientenakte sein.
  • Die Onlineanbindung der Praxisverwaltungssysteme ist und bleibt freiwillig. Alle medizinischen Anwendungen der eGK bleiben für Patient und Arzt freiwillig.
  • Die Forderung der Kostenträger nach einer verpflichtenden Onlineanbindung wurde mit der kompletten Bank der Leistungserbringer – ich verwende diesen Begriff, obwohl ich weiß, dass er hier nicht gern gehört wird, aber man kann einen technischen Begriff, wie er in der gematik für die Bank derer, die dem Kostenträger gegenüberstehen, verwendet wird, nicht durch einen Ärztetagsbeschluss eliminieren – abgewehrt.
  • Die Bildung von „Bewegungsprofilen“ der Patienten-Arzt-Kontakte ist aufgrund der technischen Ansätze unmöglich.
  • Es ist gelungen, einen „Ärztlichen Beirat“ zu etablieren, der die Tests der Anwendungen der eGK unter Federführung der Ärztekammern vor Ort in den Testregionen begleiten wird.

Ich denke, liebe Kolleginnen und Kollegen, dies ist eine gute Bilanz. Diese Bilanz kann sich sehen lassen. Wir haben sie in Antrag V-04 zusammengefasst. Wir sitzen nicht am Katzentisch, wir mischen mit, wir können uns konstruktiv einbringen.

Kolleginnen und Kollegen, lassen Sie mich nun auf eine Kernforderung im Besonderen eingehen: die Freiwilligkeit für Ärzte und Patienten.

Wir Ärztinnen und Ärzte fordern seit Jahren, dass die Nutzung medizinischer Anwendungen der Telematikinfrastruktur freiwillig sein muss. Dahinter steht zum einen die Überzeugung, dass wir in einem freiheitlichen Gesundheitswesen am besten beurteilen können, welche Anwendungen und Instrumente uns bei der Patientenbehandlung unterstützen und welche nicht.

Zum anderen steckt dahinter die Überzeugung, dass eben nur durch diese Freiwilligkeit sicherzustellen ist, dass sich Anwendungen entwickeln, die so gut sind, dass Ärzte sie von sich aus gerne in Anspruch nehmen und sie ihren Patienten empfehlen. Die Hersteller solcher Lösungen brauchen diesen Druck der Freiwilligkeit. Uns ist nicht damit gedient, dass man uns Produkte vorsetzt und dann sagt: Seht mal zu, was ihr damit machen könnt! Dieser Druck der Freiwilligkeit auf die Hersteller von Lösungen ist einfach unverzichtbar. Akzeptanz durch Nutzen und Akzeptanz durch Freiwilligkeit!

Der zweite Aspekt der Freiwilligkeit bezieht sich auf die Onlineanbindung der Praxis-IT an die Telematikinfrastruktur. Auch diese Freiwilligkeit, meine lieben Kolleginnen und Kollegen, besteht und wird bestehen bleiben.

Alle Zeichen deuten darauf hin, dass der Gesetzgeber eine Regelung im SGB V schaffen wird, die eine Prüfung der Leistungspflicht der Krankenkassen zu Anfang eines jeden Quartals vorsieht.

Was bedeutet dies konkret und wie ist unsere Position hierzu?

Im stationären Bereich ist die Überprüfung der Leistungspflicht der Krankenkasse ein üblicher Vorgang. Hier findet immer eine Kontaktaufnahme des Krankenhauses mit der gesetzlichen Krankenversicherung des Patienten statt, die das Ziel hat, zu bestätigen, dass der stationär aufgenommene Patient versichert ist. Diese Prüfung erfolgt, um eine ungerechtfertigte Inanspruchnahme medizinischer Leistungen – sprich: Missbrauch – zu verhindern. Anderenfalls würde das Krankenhaus auf seinen Kosten sitzen bleiben. Dies soll nun auch für den ambulanten Bereich gelten. Die Abfrage soll über die Telematikinfrastruktur und damit natürlich über die elektronische Gesundheitskarte ablaufen. Onlineprüfung der Versichertenstammdaten ist das Stichwort – oder genauer: Onlineprüfung der Gültigkeit der Karte.

Beim ersten Praxisbesuch im Quartal soll die elektronische Gesundheitskarte in ein Lesegerät gesteckt werden. Dann erfolgt über ein komplexes Routersystem, welches keine Rückverfolgung zur abfragenden Stelle erlaubt, eine Anfrage bei der zuständigen Krankenkasse, ob ein gültiges Versicherungsverhältnis besteht, das heißt, dass ein Anrecht zur Behandlung zulasten der gesetzlichen Krankenversicherung besteht. Letzteres bedingt den Vergütungsanspruch für den behandelnden Arzt. Ist die Karte als verloren oder gestohlen gemeldet, wird ein Sperrvermerk auf der eGK eingetragen, der besagt, dass für diese Karte kein Versicherungsverhältnis vorliegt. Das sind die Fakten.

Das häufig vorgetragene Argument an dieser Stelle, dass die Überprüfung nicht in der Arztpraxis, sondern beispielsweise in der Filiale einer Krankenkasse stattfinden soll, unterstellt die Blödheit eines Diebes, die gestohlene Karte selbst für den angestrebten Zweck wertlos zu machen. Ich glaube, das entspricht nicht wirklich der Realität.

Der Gesetzgeber wird die Problematik der ungerechtfertigten Inanspruchnahme von medizinischen Leistungen angehen. Das ist sicher. Zukünftig soll es unmöglich werden, dass mit gestohlenen oder mit verloren gegangenen Krankenversicherungskarten Leistungen – ich formuliere es jetzt einmal so – „erschlichen“ werden.

Dies ist grundsätzlich zu begrüßen, da es auch einer Forderung der Ärzteschaft seit Einführung der Krankenversicherungskarte Mitte der 90er-Jahre des vergangenen Jahrhunderts entspricht. Denn diese missbräuchliche Inanspruchnahme hat in Zeiten der Budgetierung immer nur den Ärzten geschadet, nämlich über einen sinkenden Punktwert oder unmittelbarer durch regelmäßig, vorwiegend im zeitlichen Umfeld von Budgetverhandlungen entfachte Skandalisierungen angeblicher Betrügereien, beispielsweise die Abrechnung von Leistungen bereits verstorbener ehemaliger Karteninhaber.

Dass bei diesem Vorgang der Gültigkeitsprüfung der jeweils bei der Kasse hinterlegte aktuelle Stammdatensatz übertragen wird, ist doch kein Service für die Kasse oder, wie ich gelesen habe, Arbeit, die wir für die Kasse erledigen. Es ist einzig und allein ein für Sie völlig schweißfreier Service für Ihren Patienten, denn dieser müsste anderenfalls jedes Mal, nachdem er das Management schriftlich, telefonisch oder elektronisch mit seiner Kasse ausgehandelt hat, irgendwohin gehen, um die Aktualisierung vornehmen zu lassen. Das wird wahrgenommen werden. Viele Patienten werden unmittelbar, wenn sie mit der Kasse einen neuen Status verhandelt haben oder wenn sie umgezogen sind, sicher sein wollen, dass das auf der Karte registriert ist, und gehen zur Kasse oder zum Kiosk, um die Karte aktualisieren zu lassen. Wenn Sie in der Praxis die Gültigkeitsprüfung machen, wird automatisch immer der aktuelle Datensatz dort hinterlegt.

Die Alternative wäre, dass man sagt, der Patient soll die Karte einschicken, damit sie aktualisiert wird. Das würde bedeuten, dass der Patient über mehrere Tage keinen Versichertenstatus nachweisen könnte.

Sie ersparen Ihren Patienten also erhebliche Unannehmlichkeiten, ohne dass es Sie zusätzlich belastet.

Wie ist nun unsere Position? Die Intention des Gesetzgebers ist klar, die Mehrheiten im Deutschen Bundestag sprechen dafür, dass diese Regelung so kommen wird. Das Ziel der Missbrauchsverhinderung entspricht, wie gesagt, auch einer unserer langjährigen Forderungen.

Um das Primat der Freiwilligkeit aufrechtzuerhalten, haben wir einen Vorschlag erarbeitet, der diese Abfrage mittels Onlineanbindung der Praxis ermöglicht, ohne mit dem Praxisverwaltungssystem online gehen zu müssen. Das ist zunächst einmal schwierig zu verstehen, ist aber ganz einfach. Wenn Sie die Karte stecken, um die Gültigkeit zu prüfen, müssen Sie nicht unbedingt am Praxisnetz sein, sondern Sie sind über das Lesegerät und den Router verbunden. Es wird die automatische Gültigkeitsprüfung vorgenommen, eventuell – falls erforderlich – der Stammdatenabgleich; erst dann gehen Sie mit der Karte an Ihr eigenes Praxissystem. Dort werden dann die aktualisierten Stammdaten eingelesen.

Das ist natürlich für diejenigen, die offline sind, ein zusätzlicher Steckvorgang. Wenn Sie aber, was später häufiger der Fall sein wird, von vornherein online sind, entfällt diese zusätzliche Aktion.

Niemand wird gezwungen, sein Praxisverwaltungssystem an die Telematikinfra­struktur anzuschließen.

Ein Vorteil, den man durch diese Regelung zusätzlich hat, besteht darin, dass Sie dann, wenn Sie sich später entschließen, ebenfalls online zu gehen, bereits die komplette Technik, die dazu erforderlich ist, bei sich installiert haben.

Dieses Konzept bedingt also, dass das Recht auf Freiwilligkeit nicht angetastet wird. Trotzdem wird ein möglicher Missbrauch weitgehend unterbunden und dabei bereits eine sichere Technik installiert, die man für eine spätere Nutzung medizinischer Anwendungen benötigt, wenn man sich denn dafür entscheiden sollte.

Meine Kolleginnen und Kollegen, natürlich kenne ich seit Jahren den Ablauf der Diskussionen zum Thema Telematik. Es wird in der gleich anstehenden Diskussion wohl weniger um die positive Bilanz gehen als vielmehr um Fragen, die der fortbestehenden Skepsis und den tief verwurzelten Vorbehalten entspringen, die nun einmal vorhanden sind und die ich auch nicht wegreden kann. Was passiert zum Beispiel mit einem Totalverweigerer, also dem, der sich entgegen der gesetzlichen Vorgabe dafür entscheidet, die Leistungspflicht der gesetzlichen Krankenversicherung eben nicht zu prüfen? Die Konsequenz wird sein, ähnlich wie im Krankenhaus, wenn man auf die Prüfung verzichtet und die Karte missbräuchlich eingesetzt hat, dass der Behandlungsfall – aber auch nur dieser – nicht vergütet wird. Weitergehende Sanktionen wird es nicht geben.

(Unruhe – Zurufe: Aufhören!)

– Nein, ich werde hier zu Ende reden. Sie werden nachher ja auch zu Wort kommen.

(Beifall)

Es ist natürlich unbequem, mit Tatsachen konfrontiert zu werden, die man vielleicht etwas anders darstellt, um es vorsichtig auszudrücken. Aber ich kann nicht anders, als die Position zu vertreten, die sich aus der jahrelangen Beschäftigung mit der Materie bei uns im Vorstand und bei mir persönlich zunehmend herausgebildet hat.

Ich möchte es zunächst bei diesem Überblick belassen und mich einer etwas anderen Fokussierung zuwenden. Vor zwei Jahren auf dem 111. Deutschen Ärztetag in Ulm hatten Sie uns beauftragt, einen E-Health-Report der Ärzteschaft zu erstellen. Ausgehend von einem Mangel an validen Daten über die Einstellung von Ärztinnen und Ärzten gegenüber Telematik und Telemedizin, sollte Ziel des Reports sein, festzustellen,

welche Technologien und Einsatzgebiete von Telematik aus Sicht der in den verschiedenen Versorgungsbereichen tätigen Ärztinnen und Ärzten als besonders förderungswürdig erachtet werden.

Die Befragung haben wir gemeinsam mit dem Institut für Demoskopie Allensbach durchgeführt. In einer repräsentativen Umfrage unter Ärztinnen und Ärzten haben wir deren Einstellung erfragt. Die ersten Ergebnisse liegen vor und ich möchte sie Ihnen nicht vorenthalten:

  • Neun von zehn Befragten gehen davon aus, dass Telematik und Telemedizin im Gesundheitswesen generell an Bedeutung gewinnen werden.
  • Von den Vorteilen der Telematik und Telemedizin ist die überwiegende Mehrheit der Ärzteschaft überzeugt; fast vier Fünftel der Befragten bestätigen das.
  • Krankenhausärzte unterscheiden sich im Hinblick auf diese Frage deutlich von den niedergelassenen Ärzten. Aber auch bei den niedergelassenen Ärzten ist noch mehr als die Hälfte von den Vorteilen überzeugt.

Ich frage Sie: Welchen der folgenden Anwendungen wird von den befragten Ärztinnen und Ärzten der größte Nutzen zugemessen: Notfalldaten auf der eGK, AMTS, elektronischer Arztbrief, elektronische Patientenakte oder elektronisches Rezept? – Es sind die Notfalldaten. Zwei Drittel der Befragten sehen hierin den größten Nutzen, gefolgt von AMTS, elektronischem Arztbrief und elektronischer Patientenakte. Alle bisher genannten Anwendungen liegen relativ dicht beieinander. Weit abgeschlagen landet das elektronische Rezept, was uns alle wohl nicht wundert.

Wo aber liegen die größten Bedenken seitens unserer Kolleginnen und Kollegen?

  • Mehr als die Hälfte der Niedergelassenen befürchtet, dass der Einsatz der Telematik für sie mit hohen Kosten verbunden sein wird.
  • Beide – Krankenhausärzte und niedergelassene Ärzte – haben deutliche Zweifel, dass der Schutz der Patientendaten tatsächlich sichergestellt ist.

Auch die Anwendungsfelder der Telemedizin werden überwiegend positiv beurteilt: acht von zehn Ärzten versprechen sich einen großen Nutzen von den Möglichkeiten der Teleradiologie, gefolgt von Telekonsultationen und Telemonitoring.

Vielleicht hat der eine oder andere von Ihnen die Möglichkeit wahrgenommen, sich im Foyer über verschiedene arztgetriebene Telemedizinprojekte zu informieren. Es sind bei ungefähr 600 bestehenden Projekten in diesem Bereich circa 200 Projekte, die bundesweit von uns katalogisiert wurden. Wir haben neulich einen großen Workshop mit Beteiligten veranstaltet. Wir hatten einen Riesenerfolg auf dem Hauptstadtkongress mit unseren Präsentationen zur Telemedizin.

Das waren nur einige wenige Kernaussagen der Befragung. Wir werden uns noch genau mit den Detailergebnissen beschäftigen – Fachgruppen, Altersgruppen, ambulant oder stationär – und eine Analyse in den nächsten Wochen im „Deutschen Ärzteblatt“ veröffentlichen. Ich bin mir schon heute sicher, dass wir damit eine belastbare Grundlage unserer weiteren Meinungsbildung und Politikgestaltung haben werden.

Zusammengefasst kann man sagen: Telemedizin und Telematik kommen, sie werden von unseren Kollegen begrüßt, die Befürchtungen hinsichtlich der Kosten und des Datenschutzes sind groß. Zu den Kosten möchte ich sagen, dass der Grundsatz aus § 291 a SGB V gilt: Telematikbedingte Aufwendungen sind von den Kostenträgern zu übernehmen. Das ist sowohl von der früheren Bundesregierung als auch von der jetzigen Bundesregierung nicht infrage gestellt worden. Es ist uns immer wieder bestätigt worden: Ja, so ist es, das hat Bestand.

Geschieht dies nicht, wird auch nichts passieren. So einfach ist das!

Die Bedenken hinsichtlich des Datenschutzes allerdings sind ernst zu nehmen. Die vorhin zitierte Befragung zeigt nämlich auch, dass selbst dem Bundesamt für die Sicherheit in der Informationstechnologie und den Datenschutzbeauftragten von Bund und Ländern von vielen Ärzten nicht vertraut wird. Ich glaube, das hat weniger mit diesen beiden Institutionen zu tun, sondern ist vielmehr Ausdruck des Misstrauens großer Teile der Ärzteschaft und übrigens auch der Gesamtbevölkerung gegenüber der Politik. Hier ist die Politik gefordert, das in den letzten Jahren verloren gegangene Vertrauen Schritt für Schritt wieder zurückzugewinnen. Das geht nicht von heute auf morgen durch Sonntagsreden, sondern das muss durch gelebte Praxis bewiesen werden.

Kolleginnen und Kollegen, wir haben in der Bundesärztekammer die Kompetenz, zu beurteilen, ob die Telematikinfrastruktur und ihre Komponenten sicher sind. Das sage ich im Brustton der vollen Überzeugung. Wir müssen uns – das deute ich jetzt nur an – nicht vor dem Chaos Computer Club verstecken. Warum, verrate ich Ihnen nicht. Sie können sich darauf verlassen, dass wir mit Argusaugen darüber wachen, dass das heute geplante und in den Spezifikationen festgeschriebene hohe technische Sicherheitsniveau erhalten bleibt.

Die gesetzlichen Krankenversicherungen haben zum Beispiel im Zuge der Bestandsaufnahme des eGK-Projekts unter dem sympathisch klingenden Motto „Komplexität reduzieren“ versucht, den hohen technischen Datenschutz zu reduzieren. Man muss redlicherweise auch sagen, dass sie dies nicht getan haben, um an Patientendaten heranzukommen, sondern aus finanziellen Gründen.

Das zu registrieren und das Bundesamt für Sicherheit in der Informationstechnologie, den Bundesdatenschutzbeauftragten und das Bundesministerium für Gesundheit einzuschalten, war uns eine Selbstverständlichkeit. Das Signal, dass die Bundesärztekammer ein solches Vorgehen keineswegs mittragen wird, hat maßgeblich dazu geführt, dass dem Ansinnen kein Erfolg beschieden war.

Eine ernüchternde Erfahrung aus der Arbeit in der gematik bis zum 19. April, dem Datum des neuen Beschlusses der Gesellschafterversammlung, ist die Erkenntnis, dass die Verbände der Krankenkassen ein – ich untertreibe mit dieser Formulierung – stark unterentwickeltes Interesse an medizinischen Anwendungen der Telematikinfrastruktur haben. Man muss den Eindruck gewinnen, dass es denen am liebsten wäre, wenn die Telematikinfrastruktur nur die Onlinegültigkeitsprüfung der eGK gerade so eben schafft, und das auf dem niedrigst denkbaren und damit auch billigsten Niveau, aber keine medizinischen Anwendungen unterstützt, die unsere Kollegen in der Umfrage eindrucksvoll befürwortet haben.

Auch ein Ergebnis der Befragung war, dass die Ausbreitung von Telemedizin Auswirkungen auf die Arzt-Patient-Beziehung haben wird. Wir sind also gefordert, Rahmenbedingungen für gute Telemedizin in Deutschland zu definieren, damit sich diese im Sinne einer Verbesserung der Patientenversorgung und der Steigerung der Attraktivität des Arztberufs weiterentwickeln kann.

Ich möchte abschließend kurz auf den Vorstandsantrag V-03 mit dem Titel „Voraussetzungen für gute Telemedizin“ verweisen. Telemedizin braucht eine sichere Telematikinfrastruktur. Diese muss diskriminierungsfrei sein, sie muss einheitliche Instrumente anbieten, damit Patientendaten verschlüsselt und sicher ausgetauscht werden können. Das Gegenteil wären technische und organisatorische Insellösungen, die nicht kompatibel sind. Das kann nicht unser Ziel sein. Die Instrumente sind da: eine Telematikinfrastruktur außerhalb des öffentlich zugänglichen Internets, eGK und elektronischer Arztausweis sowie der Konnektor als Werkzeuge für eine sichere Vernetzung der Ärzte.

Diese Instrumente stellt uns das eGK-Projekt mit seinen ersten Anwendungen – Notfalldaten auf der eGK, elektronischer Arztbrief und Versichertenstammdatenprüfung – zur Verfügung. Und die Ergebnisse des E-Health-Reports haben gezeigt, dass Ärztinnen und Ärzte diese medizinischen Anwendungen nutzen wollen. Sorgen wir für einen sicheren Rahmen und lassen die Kollegen frei entscheiden, wann und welche medizinischen Anwendungen sie nutzen möchten.

Liebe Kolleginnen und Kollegen, Sie werden es mir kaum abnehmen, aber ich sage ganz ehrlich: Ich freue mich auf die nun folgende Diskussion. Wir alle sind in Verantwortung für die weitere Entwicklung der Telematik und der Telemedizin im Sinne einer effektiven und effizienten Patientenversorgung der Zukunft. Nur durch aktive und konstruktive Zusammen- und Mitarbeit können wir unsere ureigensten ärztlichen Ideen und Interessen dabei einbringen und vertreten. Verweigerung oder gar Fundamentalopposition führt zwangsläufig dazu, dass wir als Ärzteschaft auf der Tribüne sitzen, während das Spiel auf dem Feld entschieden wird.

Ich bitte Sie also: Lehnen Sie alle Anträge ab, mit denen wir uns selbst auf die Tribüne verdammen. Ansonsten sind wir froh über jeden Input, für jede Anregung, die uns wie in der Vergangenheit hilft, Ihre Vorstellungen in unsere politischen Aktivitäten zu integrieren.

Ich danke Ihnen für Ihre Aufmerksamkeit.

(Beifall)

Präsident Prof. Dr. Dr. h. c. Hoppe: Vielen Dank, Franz Bartmann, für diese Einführung und die klare Strukturierung. – Wir treten nun in die Diskussion ein. Es gilt nach wie vor die Redezeitbeschränkung von zwei Minuten. Als ersten Redner rufe ich Herrn Holzborn aus Nordrhein auf. Bitte schön.

© Bundesärztekammer 2010