Eröffnung

Dienstag, 18. Februar 2003

Berlin, Axica Kongress- und Tagungszentrum

Dr. Wolfgang Gerhardt, Vorsitzender der FDP-Bundestagsfraktion:

Vielen Dank, Herr Professor Hoppe. - Meine sehr verehrten Damen und Herren! Ich habe jetzt viel von Gesprächsangeboten gehört. Sie sind wichtig in einer Demokratie. Aber sie sind wiederum etwas ganz Normales, eigentlich nichts Besonderes.

(Beifall)

Ich muss Ihnen kein Gesprächsangebot machen; wir sind dauernd im Gespräch. Entscheidend ist, ob man zuhört. Entscheidend ist auch, was aus einem Gespräch herauskommt.

(Beifall)

Darauf will ich jetzt zu sprechen kommen, weil es unabhängig von einzelnen Regelungen und vom Ablaufprozess in den nächsten Monaten sehr darauf ankommt, welche Prinzipien man hat, denn erst auf der Grundlage von Prinzipien kann man Lösungsvorschläge machen.

Wenn ein Statiker gebeten würde, für einen demokratischen Staatsaufbau und für die Verfestigung der Demokratie eine Statik zu erstellen, käme er sehr wahrscheinlich auf zwei konstitutive Merkmale. Er würde sagen, dass eine Demokratie nicht existieren kann ohne das Prinzip eigener Verantwortung, eigener Wahlfreiheit und persönlicher Freiheiten, vom Patienten bis zur Arztseite.

Er würde zweitens schon aus ökonomischen Gründen zur Festigung einer Demokratie, die eine stabile mittlere und unabhängige Schicht braucht, den freien Beruf zu einem der zentralen Merkmale eines demokratischen Staatswesens benennen. Das sind die Kernpunkte.

(Beifall)

Weil hier der Bundesverband der Freien Berufe durch seinen Präsidenten Herrn Oesingmann vertreten ist, weise ich darauf hin: Natürlich haben wir eine Verfassungsordnung, in der das niedergelegt ist, durch die das ermöglicht wird. Aber die gesellschaftliche, ökonomische und politische Wirklichkeit des Landes macht es den freien Berufen in Gestalt des Arztes - das ist einfach wahr - durch Budgetierung, Reglementierung, Bürokratisierung schwerer, sich zu behaupten. Damit drängt sie ihn zurück. Das Prinzip würde aber bedeuten, ihn wieder hervorzuholen und zu seiner vollen Leistung zu bringen. Das gilt als Grundlage des Dialogs.

(Beifall)

Es ist von Ihnen, Herr Präsident Hoppe, erwähnt worden und ich kenne es
eben­so wie der Kollege Thomae und der hier ebenso anwesende Kollege Seehofer aus der leidvollen Geschichte - an dieser Stelle Ihres Vortrags haben Sie uns vorhin auch genau angeschaut -: Jedes Gespräch, das stattfindet, jedes Angebot, das gemacht wird, ist normal, aber Lahnstein II wird es mit den Freien Demokraten nicht mehr geben, meine Damen und Herren! Dem muss eine Absage erteilt werden.

(Beifall)

So sehr darüber auch geredet wird und so sehr noch Gespräche stattfinden, eines muss klar sein: Von dieser Art der Budgetierung, Reglementierung und Verbürokratisierung muss sich die gesamte Politik verabschieden. Sonst kann das nichts werden.

(Beifall)

Das bedeutet Vielfalt, Individualität, Freiberuflichkeit, Therapiefreiheit. Das bedeutet auf der anderen Seite, dass man, wenn man schon immer vom mündigen Bürger spricht, den mündigen Bürger auch darüber entscheiden lässt, wie hoch er sich wogegen und bei wem er sich versichern möchte. Wir müssen dem Bürger die Entscheidungsmöglichkeit wieder zurückgeben.

(Beifall)

Das sind Kernpunkte, die jetzt ausgefeilt werden können. Wir können beschreiben, wie wir es im Einzelnen mit der Ausgliederung von Versicherungsleistungen und Ähnlichem halten. Das alles sind Detailarbeiten. Kern muss sein, die Entscheidungsmöglichkeiten in größtmöglichem Umfang wieder an die Patienten zurückzugeben.

Das wird manchmal als zu riskant beschrieben, als ob Kollektive und der Staat mit den Menschen abgenommenen Entscheidungen Besseres für alle bewirken könnten als Tausende von Einzelentscheidungen, die täglich in unserer Gesellschaft getroffen werden.

Das ist nicht nur ein marktwirtschaftliches Prinzip, es ist zutiefst ein freiheitliches Prinzip einer Gesellschaft. Dieses Land wäre nicht auf die Füße gekommen, wenn dies nicht die Grundlage des Wiederaufstiegs der Bundesrepublik Deutschland nach dieser großen Katastrophe geworden wäre.

Die Politik ist am Ende angekommen, das kleine Einmaleins dauerhaft außer Kraft zu setzen. Wenn es in diesem Frühjahr nicht zu einer umfassenden Kurskorrektur kommt, fährt das System vor unser aller Augen an die Wand.

(Beifall)

Es geht überhaupt nicht darum, wer von uns besser ist, wer von uns mehr Recht hat, sondern hier steht die simple Notwendigkeit vor unser aller Augen, am Kurs etwas zu ändern, und zwar jeder an der Stelle, wo er im Deutschen Bundestag sitzt. Es interessiert niemanden mehr, wenn jemand nur mit seinem eigenen Programm herumläuft.

Ich will sehr prinzipiell sagen: Es kann in diesem Frühjahr keine andere Entscheidung als eine auf jenen Prinzipien beruhende geben, wie ich sie angedeutet habe. Da bin ich mir persönlich ziemlich sicher. Anders kann ein Gesundheitssystem gar nicht erfolgreich organisiert werden. Es können zehn oder 20 runde Tische aufgestellt werden - die Bundesgesundheitsministerin muss eine komplette Kurskorrektur vornehmen, sonst wird das nicht gelingen.

(Beifall)

Diese Kurskorrektur will ich in einigen Punkten zu beschreiben versuchen. Es wird unumgänglich sein, den Wettbewerb auch in der gesetzlichen Krankenversicherung auf der Leistungsseite zu intensivieren. Einen anderen Weg gibt es überhaupt nicht, der minimal erfolgreich wäre.

Wir werden soweit wie möglich bürokratische Regelungen und Kontrollen stärker abbauen müssen. Das gilt beispielsweise für die völlig unhandhabbare Aut-idem-Regelung. Wir werden die Kostenerstattung für alle Versicherten an die Stelle der bürokratischen Sachleistung treten lassen müssen, um ein Bewusstsein für Kosten und Leistungen zu schaffen.

(Beifall)

Im Übrigen wird - ich blicke jetzt einige Jahre voraus - auch nur diese Kostenerstattung europafest sein.

Wir brauchen die Abschaffung der Budgets und stattdessen klare Regelungen für die Vergütung in Form von festen Preisen in allen Leistungsbereichen, damit sie für alle durchschaubar sind. Wenn Transparenz ein Prinzip ist, dann hier!

(Beifall)

Wir brauchen keine staatlichen Institute. Wir brauchen in einer freien demokratischen Ordnung eigene Informationsmöglichkeiten in einem breiten und vielfältigen Angebot aus den Berufen und aus der Gesellschaft selbst. Der Staat muss endlich aufhören, zu glauben, er könnte bessere Vorhersagen treffen, er könnte bessere Qualitätssicherungsprogramme erstellen. Die Geschichte hat bewiesen, dass staatliche Lösungen meistens die schlechteren waren, wenn sie an die Stelle von gesellschaftlichen Lösungen gesetzt wurden.

(Beifall)

Wir können darüber streiten, was jemand als versicherungsfremde Leistungen ansieht. Aber klar ist, dass ein größerer Teil der Leistungen, welche die Systeme erbringen, ausgegliedert werden müssen. Das gebietet die Ehrlichkeit. Darüber kann dann im politischen Feld gestritten werden. Aber das Prinzip muss unter uns unstreitig sein.

(Beifall)

Wenn man, egal in welcher Partei man ist, über freie Berufe redet, ist man beweispflichtig für seine Glaubwürdigkeit. Wenn wir den freien Beruf des Arztes erhalten wollen, gehört die Qualitätssicherung zu den ureigenen Aufgaben der Ärzteschaft selbst. Niemand kann sich an deren Stelle setzen.

(Beifall)

Seit Jahren sagen der Kollege Thomae und ich: Wir müssen die Menschen so nehmen, wie sie sind. Wir sollten uns nicht aufmachen, sie umerziehen zu wollen. Deshalb sollten wir ihnen ein Beitragssystem anbieten, bei dem die Menschen Anreize erhalten, sich kostenbewusst zu verhalten. Das ist ein System, in dem Beitragsrückgewähr, Selbstbehalt und all das, was seit Jahren beschrieben wird, endlich zum Tragen kommen. Ich glaube, dass ein solcher Anreiz, ein solcher Wegweiser für die Systeme besser wäre als die ganze Diskussion, die wir seit Jahren führen, ohne zu Entscheidungen zu kommen. Die Wegweiser in den Systemen stehen falsch.

Die freie Arztwahl ist für mich ein konstitutives Element einer freiheitlichen Gesellschaft. Sie ist nicht nur ein Teil des Gesundheitswesens, sondern sie gehört zum Kernbestand des unbändigen Willens zur Selbstständigkeit und zur Unabhängigkeit. Nur die freie Arztwahl als Nachfrage produziert auf der anderen Seite das Bewusstsein für Qualität, für Leistungsanstrengungen, für Patientenzuwendung.

Die freie Arztwahl ist die Voraussetzung für die Vitalität des Arztberufs in der Bundesrepublik Deutschland. Das mag man als marktwirtschaftliche Konsumentennachfrage beschreiben; aber in Wirklichkeit ist es viel mehr.

Wenn der Arzt in seiner beruflichen Tätigkeit durch Anerkennung derer, die ihn brauchen und die ihn annehmen, den Zuspruch erfährt, dass er in seinem Leben eine effektive und hervorragende Aufgabe erfüllt, dann ist das ein Stück innerer Frieden durch berufliche Erfüllung, der unverzichtbar ist.

(Lebhafter Beifall)

Damit will ich sagen: Es geht nicht nur um Gesundheitspolitik, es geht in einem der größten wirtschaftlichen Bereiche, in einem - hoffentlich - Wachstumsbereich um eine Ordnungsvorstellung, die dem entspricht, was das Grundgesetz der Bundesrepublik Deutschland für das freiheitliche Zusammenleben von Menschen insgesamt zur Lebensgrundlage macht.

Deshalb: Gesprächsangebot - ja, immer; aber auch klare Prinzipien zur Ordnung des Gesprächs und hinsichtlich des Zieles, zu dem man gelangen will. Das gilt für uns auch weiterhin.

Herzlichen Dank, dass ich Gelegenheit hatte, zu Ihnen zu sprechen.

(Lebhafter Beifall)

© 2003, Bundesärztekammer.